Seit zwei Jahren liegt er da, unberührt. Der graue Pullover einer Skatemarke, den ich unbedingt haben wollte. Viele meiner Freund*innen trugen ihn, Jungs, die ich toll fand, und auch die Sängerin Rihanna. Ich musste den Pullover besitzen. Ich habe ihn geliebt, neun Monate lang, um ihn dann wie eine missglückte Romanze langsam auszublenden. Das Schrankfach verlässt er seither nicht mehr.
Aber wohin mit dem Fehlkauf? Für den Müll ist er bis auf einen ausgeleierten Ärmelsaum zu gut erhalten. Ich entscheide mich, ihn in einen Altkleidercontainer zu werfen. Schließlich will ich gleichzeitig etwas Gutes tun, so wie viele Menschen in Deutschland. Im Durchschnitt spendet jede*r zwölf Kilogramm alte Kleider im Jahr, 160.000 gefüllte Altkleidercontainer kommen so zusammen. Doch nicht alle dienen karitativen Zwecken. Immer mehr illegale Container werden auf Privatgrundstücken aufgestellt. Manche Firmen wollen damit Profit machen, denn das Geschäft mit den alten Hosen und Sweatshirts ist lukrativ. Für einen vollen Container bekommen sie bis zu 450 Euro.
Die Fotos hat der Fotograf Paolo Woods in Haiti aufgenommen. Berge von Altkleidern türmen sich auf dem dortigen Markt.
Die meisten Haitianer*innen tragen „Pèpè“, Klamotten, die zuvor irgendjemand in den USA getragen hat.
Das Internet verrät mir, woran ich seriöse Container erkenne: Auf ihnen müssen Adresse sowie Rufnummer der sammelnden Organisation stehen. Wenig später stehe ich vor einem roten, leicht zerbeulten Container des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Ich entziffere die Anschrift und die Telefonnummer, unter der sich tatsächlich ein Anrufbeantworter meldet und eine freundliche Stimme darauf hinweist, dass es sich hier um einen Altkleidercontainer des DRK handelt. Wird schon stimmen. Test bestanden. Ich bin zufrieden und werfe meinen Pullover hinein.
Gut genug für die Kleiderkammer?
Das DRK gibt an, dass es im Jahr knapp 100.000 Tonnen Altkleider sammelt, den Großteil verkauft es an eine Verwertungsfirma. Nur fünf Prozent verteilt das DRK in Kleiderkammern an Bedürftige in Deutschland. Ich bin neugierig und will herausfinden, ob mein Pullover in einem Umsonstladen des DRK gelandet ist.
In einem kleinen Häuschen treffe ich Frau Camps von der Kleiderkammer und Frau Ahmed, eine der vier Frauen, die drei- bis viermal die Woche ehrenamtlich helfen. Frau Ahmed steht hinter einer Theke, hinter ihr ein Regal, das voll ist mit Büchern, Gläsern, Vasen und einem Teddybären.
Auch der restliche Raum ist vollgestopft, mit Kleiderständern, Boxen und Tüten voller Kleidung. Ich finde schwarze Lederstiefel einer Fast-Fashion-Marke, einen Parker eines nachhaltigen Labels, sogar eine Jacke eines großen Designers.Aber keine Spur von meinem Pullover. „In unserer Kleiderkammer landen nur Sachen, die Leute direkt vorbeibringen oder in den Container vor unserer Tür werfen“, sagt Frau Camps. Wohin ging dann mein Pullover? Der wurde wahrscheinlich weiterverkauft.
I’m in Haiti, Bitch: Die „Pèpè“-Klamotten haben einen interessanten Kreislauf durchlaufen …
… es kann passieren, dass ein in Haiti produziertes Walmart-T-Shirt von einem US-Amerikaner gekauft wird, als Kleiderspende wieder auf der Karibikinsel landet – und dort von einer Frau getragen wird, die in einem der Sweatshops arbeitet.
Vom Pullover zum Putzlappen
Die Verwertungsfirmen, die die Kleidung ankaufen, sortieren sie nach Qualität. Etwa die Hälfte landet direkt im Müll oder wird zu Putzlappen und Dämmmaterial für die Autoindustrie verarbeitet. Einen kleinen Teil der sauberen, gut erhaltenen Kleidung verkaufen die Firmen an Secondhandläden in Deutschland. Der Rest landet in unterschiedlichen Ländern. Neben West- und Osteuropa, dem Nahen Osten und Asien geht das meiste nach Afrika.
Dort können Großhändler die Klamotten nach unterschiedlichen Kriterien bestellen. Wintermäntel? Eher was für die Ukraine als für Uganda. Am wahrscheinlichsten ist es, dass mein Pullover mit dem ausgeleierten Ärmelsaum in einem Flieger nach Afrika liegt. Wo er von einem Großhändler an einen Secondhandladen verkauft und vielleicht von einem skatebegeisterten Mädchen auf einem Wühltisch gefunden und gekauft wird.
T-Shirts sind für viele US-Amerikaner*innen eine Art persönliche Werbetafel, auf der sie politische, philosophische und religiöse Überzeugungen teilen …
… auf Haiti suchte der Fotograf nach den absurdesten Prints.
Eine schöne Vorstellung, finde ich. Aber ist das vertretbar? Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Kritiker*innen argumentieren, dass durch den Export von Secondhandkleidung die regionale Textilindustrie in Afrika zerstört werde: Mit den billigen Preisen könne die nicht mithalten. 2019 hat Ruanda deswegen ein Importverbot verhängt, um die lokale Industrie wiederaufleben zu lassen.
Befürworter*innen sehen das anders: Von einem Verbot profitiere nicht zwangsläufig die lokale Textilindustrie, sondern chinesische T-Shirts, Hosen oder Jacken könnten den Markt überschwemmen. Viele Menschen in Afrika würden gerne Secondhandkleidung tragen, weil sie den westlichen Modetrends entspräche, die durch Social Media auch in Afrika ankommen.
Ernüchtert stelle ich fest, dass mein Versuch, meine Spende sinnvoll einzusetzen, nicht ganz geglückt ist. Altkleiderspenden sind nur eine halbherzige Lösung für ein Problem, das viel tiefer liegt. Das eigentliche Problem bin ich, die Konsumentin, die zu vielen kurzlebigen Modetrends nacheifert.
Am Tag nachdem ich meinen Pullover in den Container warf, kam ich an einem Schaufenster vorbei. Darin hing ein Pullover, den ich mir schöner kaum vorstellen kann. Es tat fast ein bisschen weh, als ich die Ladentür nicht öffnete, weiterlief und mir fest vornahm, einen ähnlichen im Secondhandladen zu suchen.
Fotos: Paolo Woods