Wenn jemand fragt „Was arbeitest du?“, dann meint er oder sie damit meistens: „Womit verdienst du dein Geld?“ Dabei arbeiten viele Menschen auch, bevor sie „zur Arbeit“ gehen und nachdem sie das Büro verlassen haben: Sie bringen ihr Kind zur Kita, zum Arzt oder ins Bett, kaufen ein und kochen, spülen und putzen, helfen der Mutter, die nicht mehr gut zu Fuß ist, pflegen den Bruder mit Behinderung oder engagieren sich ehrenamtlich. Diese Tätigkeiten der Pflege, Zuwendung und Versorgung für sich und andere werden als „Care Work“ oder „Sorgearbeit“ bezeichnet. Durch sie bleiben Menschen gesund, oder es geht ihnen besser, und sie halten Familien und die Gesellschaft zusammen. Doch weil sie nicht bezahlt werden und damit nicht im Bruttosozialprodukt auftauchen, bleibt ihr Wert „unsichtbar“.
Eine Frau in Deutschland leistet im Schnitt 90 Minuten mehr Sorgearbeit als ein Mann – pro Tag
Darum ist es auch so schwer, Sorgearbeit zu „messen“, alle Studien dazu basieren auf Umfragen, Erinnerungen und freiwilligen Angaben. Was sie jedoch alle bestätigen: dass Frauen den Großteil der Sorgearbeit übernehmen. Eine aktuelle Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat ergeben, dass weltweit mehr als 76 Prozent der unbezahlten Sorgearbeit von Frauen erledigt werden. In Deutschland wenden Frauen laut Bundesfamilienministerium täglich 52,4 Prozent mehr Zeit dafür auf als Männer – ein „Gender Care Gap“ von fast 90 Minuten. Auch die bezahlten Sorgetätigkeiten, also Jobs wie Altenpfleger*in oder Erzieher*in, werden hauptsächlich von Frauen ausgeübt – häufig unter schlechten Bedingungen und mit geringer Bezahlung.
Gründe für diesen „Gender Care Gap“ sind unter anderem traditionelle Geschlechterrollen und eine Erziehung, in der Mädchen oft in Richtung „(Für-)Sorge“ gefördert werden. Dazu kommt der wirtschaftliche Faktor, auch bekannt als „Gender Pay Gap“: In Deutschland verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer – unter anderem, weil sie häufiger in sozialen Berufen und in Teilzeit arbeiten. Wenn ein heterosexuelles Paar zum Beispiel die Kinderbetreuung verhandelt, lohnt es sich darum finanziell meist mehr, wenn die Frau eine längere Auszeit nimmt oder nicht mehr Vollzeit arbeitet. Der „Gender Pay Gap“ und der „Gender Care Gap“ hängen also zusammen.
Um Sorgearbeit sichtbarer zu machen, die gesellschaftliche Wertschätzung zu erhöhen und für eine fairere Verteilung und Entlohnung zu sorgen, gibt es verschiedene Initiativen wie das Netzwerk „Care Revolution“ oder eben den bundesweiten Aktionstag „Equal Care Day“, der am 29. Februar stattfindet. Eine der Unterstützerinnen und Referentinnen ist Hanna Völkle von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin. Auf die Frage, wie eine fairere Verteilung der Sorgearbeit erreicht werden könnte, sagt Völkle: „Natürlich kann man es individuell als Paar anders machen – aber das geht nur, wenn einem die 300 Euro, die man dadurch verliert, am Ende des Monats nicht fehlen.“
Es gibt einige Vorschläge, wie sich das ändern ließe – zum Teil recht radikale
Damit alle profitieren, müsse das Problem politisch und strukturell gelöst werden, zum Beispiel indem man soziale Berufe besser bezahlt und steuerliche Vorteile abschafft, wie etwa das Ehegattensplitting, welches das „Familienernährer-Modell“ fördert. Völkle wünscht sich außerdem mehr Maßnahmen von den Unternehmen: „Sie sollten Modelle schaffen, mit denen sich Karriere und Sorgearbeit vereinbaren lassen – und dann die Vorbilder sichtbar machen.“
Weil Männer weltweit rein rechnerisch vier Jahre bräuchten, um so viele Care-Arbeit zu leisten, wie Frauen in nur einem Jahr, wurde der Equal Care Day auf den Schalttag gelegt. Der Aktionstag findet dieses Jahr zum ersten Mal bundesweit statt, unterstützt wird er unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Das Thema lässt sich aber auch noch grundsätzlicher denken: „Wir brauchen eine andere Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeitszeit“, sagt Völkle und verweist auf das „Erwerb-und-Sorge-Modell“, das die Bundesregierung in ihrem „Zweiten Gleichstellungsbericht“ vorgestellt hat. Demnach sollen politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Frauen wie Männern ermöglichen, zu gleichen Teilen Erwerbs- und Sorgearbeit zu leisten – zum Beispiel indem sie beide täglich nur sechs Stunden mit Lohnarbeit verbringen. Ein radikalerer Vorschlag stammt von der Soziologin Frigga Haug: Deren „Vier-in-eins-Perspektive“ besagt, dass wir täglich acht Stunden Schlaf brauchen – die restlichen 16 Stunden sollten wir in vier gleichen Teilen für Lohnarbeit, Sorgearbeit, Müßiggang und zivilgesellschaftliches Engagement verwenden können.
Die möglichen Lösungen, sagt Hanna Völkle, seien genauso komplex wie die Ursachen. „Das ist kein Wohlfühlthema, aber wir dürfen nicht aufhören, dafür zu streiten, dass es besser wird“, sagt sie. „Und vor allem dürfen wir nicht einfach sagen: Die Frauen sind schuld, weil sie schlecht verhandeln. Damit würden wir allen unrecht tun, die schon vor uns für mehr Gleichberechtigung gekämpft haben.“
Titelfoto: Johan Bävman