Thema – Gender

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Daraus folgt: Frauen können nicht rechnen

Über das Klischee, Mathe wäre nichts für Mädchen – und ob was dran ist

Taschenrechner

„In Mathe bin ich Deko“: Ein T-Shirt mit dieser Aufschrift sorgte vor einigen Jahren für einen Shitstorm. Das Shirt vom Otto-Versand gab es nur für Mädchen – und es hat sich sogar ganz ordentlich verkauft. Warum aber glauben viele Menschen tatsächlich, Jungs seien besser in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, während den Mädchen angeblich „softere“ Fächer wie Deutsch und Fremdsprachen lägen?

Tatsächlich sind Frauen an den Universitäten in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) in der Minderheit. Die Fields-Medaille, so etwas wie der Nobelpreis für Mathematik, hat seit 1936 nur eine einzige Frau gewonnen. Und in den PISA-Studien, die in zuletzt 79 OECD-Ländern schulische Leistungen von Kindern untersuchten, schneiden in Deutschland Mädchen in Mathematik immer noch schlechter ab als Jungen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt aber auch: Mädchen schätzten sich schon ab der fünften Klassenstufe schlechter in Mathe ein, ganz egal, ob sie in Wirklichkeit ebenso starke oder sogar bessere Leistungen im Vergleich zu Jungen erzielten.

Hier könnte also einer der Gründe für das immer noch verbreitete Klischee der mathematikbegabteren Jungen liegen: Mädchen trauen sich in Mathematik weniger zu – und schneiden dann tatsächlich schlechter ab, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung also. Denn ohne Selbstvertrauen kein Erfolg.

Erziehung und Sozialisation verfestigen die Vorstellung, Mädchen könnten kein Mathe

In Bildungsstudien anderer Länder schnitten Mädchen in Mathematik genauso gut oder besser ab als die Jungen – allein das zeigt bereits, dass Jungen nicht von Natur aus besser mit Zahlen umgehen können als Mädchen. Hinter den Leistungsunterschieden zwischen Jungen und Mädchen steckt wahrscheinlich vielmehr die Sozialisation – also die Einflüsse von außen, mit denen Kinder aufwachsen. Wenn einem kleinen Kind entweder ein Bagger oder eine Puppe geschenkt wird, wenn Jungen im Kindergarten eher in die Bauecke geschickt werden und die Mädchen zu den Bügelperlen, dann bilden sich stereotype Rollenmuster heraus.

Stevie Schmiedel arbeitet für „Pinkstinks“. Die Organisation setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Sexismus ein. „Gender-Marketing für Kinder hat sich in den vergangenen 20 Jahren immer weiter intensiviert. Es setzt auf niedlich, Glitzer, häuslich und Beauty für Mädchen. Und auf Action, Technik und Eroberung für Jungen“, sagt Schmiedel. Wenn Mädchen wie Jungen schon früh an technisch herausforderndes Lego oder andere Bausätze herangeführt würden, hätten sie auch ein besseres räumliches Denken.

Zu welchem Geschlecht gehöre ich? Dafür entwickeln Kinder bereits im Kindergartenalter ein Gefühl, wobei gesellschaftliche Erwartungen eine große Rolle spielen. Wer statt eines Baukastens eine Puppe geschenkt bekommt, wird damit auch spielen. Später in der Schule, das zeigen die bereits erwähnten Studien, bekennen sich Mädchen bewusst und offensiv zu ihrem angeblichen „Mathedefizit“ – weil ihnen seit Jahren von Bezugspersonen wie Eltern, Lehrkräften und Erziehern und Erzieherinnen vermittelt wurde, dass Mathe und Naturwissenschaften nicht ihr Ding seien.

Kleinere Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, die von Eltern, Lehrkräften und anderen Bezugspersonen immer wieder betont werden, können so zu Gräben werden. Dazu forscht Inge Schwank. Sie ist Professorin für Mathematik und deren Didaktik an der Universität zu Köln und untersucht seit vielen Jahren, wie Jungen und Mädchen in der Grundschule an mathematische Probleme herangehen. Eine Aufgabe aus Schwanks Studien: „Im Zirkus Knobelix sitzen 224 Zuschauer. Es sind 38 Erwachsene mehr als Jungen und 6 Jungen mehr als Mädchen. Wie viele Mädchen, Jungen und Erwachsene sitzen auf den Zuschauerbänken?“ Um Aufgaben wie diese lösen zu können, ist funktional-logisches Denken gefragt – hierbei geht es um die gedankliche Konstruktion von Prozessen. Darin sind Jungen, das zeigen Schwanks Forschungen, stärker als Mädchen. Mädchen neigen eher zum sogenannten prädikativ-logischen Denken. Das heißt: Sie denken eher in Beziehungen als in Funktionsweisen. Um aber den mathematischen Stoff der Grundschule gut zu bewältigen, ist laut Inge Schwank fast ausschließlich funktional-logisches Denken gefragt. Es sei also nicht auszuschließen, dass schon in der Grundschule die Weichen dafür gestellt werden, dass später mehr Jungen den Weg in den MINT-Bereich fänden.

Wo junge Frauen die Relativitätstheorie erklären

„Lehrkräfte müssen so ausgebildet werden, dass ihnen die unterschiedlichen Herangehensweisen von Mädchen und Jungen bewusst sind und sie Jungen und Mädchen gleichermaßen je nach ihren Bedürfnissen und Talenten fördern können“, so Schwank. So könnten Mädchen im Unterricht ermutigt werden, durch Ausprobieren einer Lösung näher zu kommen. Zudem würden sie von angeleiteter Gruppenarbeit und kooperativem Erarbeiten von Lösungen profitieren.

Aber warum sind in manchen Ländern Mädchen genauso gut in Mathe wie Jungen? In China und anderen asiatischen Ländern liegt es daran, dass die Kinder einfach geschlechterübergreifend gedrillt werden.

In Skandinavien wiederum sieht man, dass der Stand der Gleichberechtigung einen Einfluss auf die Matheleistung hat. Kurz gesagt: je weniger Benachteiligung der Frauen, desto bessere Matheleistungen der Mädchen. Aber auch Vorbilder sind wichtig. Hier hat sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan, etwa im Fernsehen und in den Sozialen Medien – wo junge Frauen Mathe oder auch die Relativitätstheorie erklären. Durch solche Vorbilder ändert sich das gesellschaftliche Bewusstsein. Und wenn die Rechnung aufgeht, könnte das „In Mathe bin ich Deko“- T-Shirt in Zukunft nur noch Kopfschütteln auslösen.

Titelbild: Hakotowi

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.