Thema – Corona

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„Die Einkaufsliste des Mannes war sehr wursthaltig”

Tausende helfen, um die Corona-Krise zu bewältigen. Sie nähen, programmieren oder kaufen ein – fünf Geschichten

Corona Helfer

Update, 31. Juli Die Corona-Fallzahlen steigen wieder, die Ämter aber sind immer noch knapp besetzt. Warnt zumindest Ute Teichert, die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Teichert empfiehlt ein bundesweites Freiwilligen-Register, eine Art Jobbörse, die im Ernstfall Mitarbeiter vermitteln kann. Wie verschieden Freiwilligenhilfe aussehen kann, erfahrt ihr hier.

„Einmal musste ich die Eltern einer kompletten Kindergartengruppe anrufen“

Leoni Riedel, 21, Medizinstudentin aus Jena, arbeitet im Gesundheitsamt.

„Meine Semesterferien waren komplett durchgeplant. Als dann alles ausgefallen ist, war klar, dass ich irgendwo helfen möchte. Ich arbeite seit knapp zwei Wochen in einem Team aus sieben Studierenden im Gesundheitsamt Jena, mit Vertrag und Gehalt. Wer positiv getestet wurde, wird von uns angerufen. Die Infizierten sollen uns alle Menschen nennen, mit denen sie seit zwei Tagen vor den ersten Symptomen Kontakt hatten. Diese Personen versuche ich zu erreichen und informiere sie, dass sie in Quarantäne gehen sollten.

Wenn jemand nicht damit gerechnet hat, infiziert zu sein, sind ziemlich viele Kontaktpersonen zu ermitteln. Einmal musste ich die Eltern einer kompletten Kindergartengruppe anrufen, ein anderes Mal ging es um alle Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsam im Wartezimmer beim Arzt gesessen haben. An einem meiner ersten Tage habe ich über hundert Anrufe gemacht. Die meisten Menschen, mit denen ich spreche, sind supernett und verständnisvoll, viele bedanken sich für meine Arbeit. Durch den Job verstehe ich die Abläufe rund um die Tests und die Quarantänen viel besser. Das hilft mir, mit der Situation umzugehen.“

„Das gesamte Flüchtlingsheim wurde in Quarantäne gesetzt“

Affan Ahmed Ghafoor, 28, ist Chirurg am Klinikum Hochsauerland und hilft bei der medizinischen Beratung von Geflüchteten.

„Anfang März wollte ich eigentlich mit der Hilfsorganisation Humanity First bei einem Projekt in Benin helfen. Das wurde wegen der aktuellen Situation abgesagt. Als die Anfrage der thüringischen Landesregierung kam, ob jemand in Suhl in der Erstaufnahme für Flüchtlinge unterstützen kann, habe ich direkt zugesagt.

Ein Bewohner war positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden, die gesamte Einrichtung daraufhin in Quarantäne gesetzt. Bei vielen der 500 Bewohner hat das zu Panik geführt, und es kam zu einem Polizeieinsatz, bei dem ein Teil der Menschen verlegt wurde. Zusammen mit zwei anderen Ärzten sollte ich die Bewohner kurzfristig medizinisch versorgen, weil auch der Arzt, der normalerweise in der Einrichtung arbeitet, in Quarantäne gehen musste.

Wir haben Schnittwunden und Bluthochdruck behandelt, Corona-Abstriche gemacht und vor allem: Fragen beantwortet. Welche Symptome treten auf, wenn man mit dem Virus infiziert ist? Wie lange dauert die Quarantäne? Wie kann man sich schützen? Wie im Rest der Bevölkerung herrscht natürlich auch im Flüchtlingsheim Unsicherheit, was das Thema angeht.

„Anfangs waren die beliebt, die Desinfektionsmittel abzugeben hatten“

Noah Adler, 16, Schüler aus Berlin, hat coronaport.net programmiert, ein Portal für Nachbarschaftshilfe.

„Das Portal soll Menschen, die Hilfe suchen, und Nachbarn, die helfen möchten, zusammenbringen. Dafür wollte ich eine schnelle und pragmatische Lösung finden. Und weil ich gerade keine Schule und deshalb Zeit habe, habe ich einfach drauflosprogrammiert. Ich bin darauf gekommen, als ich vor ein paar Wochen gelesen habe, dass es Menschen aus verschiedenen Risikogruppen während der Corona-Pandemie besonders schwer haben werden.

Bisher haben sich allein in Berlin etwa 3.200 Helfer auf coronaport.net registriert. Einige haben mir geschrieben, dass sich so viele Menschen bei ihnen gemeldet haben, dass sie ihr Angebot wieder runternehmen wollen. Anfangs waren vor allem diejenigen beliebt, die Desinfektionsmittel abzugeben hatten. Mittlerweile sind die Angebote aber oft sehr kreativ: Es gibt Menschen, die Onlinetanzkurse anbieten, um den ‚Stress wegzuschütteln‘, die eine gemeinsame Reise aufs Land planen, sobald man wieder zu mehreren rausdarf, oder die schreiben, dass sie auch einfach mal vorbeikommen und winken können.“

„Die Einkaufsliste des Mannes war sehr wursthaltig“

Kim Gerlach, 27, Business Developerin, bietet Hilfe in ihrer Berliner Nachbarschaft an.

„Bisher habe ich drei Einkäufe gemacht. Das läuft so ab: Ich gehe zu den Menschen in den Hausflur, sie schieben mir in einer Schüssel Geld und die Einkaufsliste hin, ich lasse meinen Ausweis als Pfand da und gebe später die Einkäufe und das Wechselgeld ab. Zuerst hat sich über coronaport.net ein junges Paar bei mir gemeldet. Sie hatten Fieber und baten mich, ein Thermometer zu besorgen. Ich hatte ein etwas mulmiges Gefühl – aus Angst vor dem Virus. Ein anderes Mal habe ich für eine ältere Frau in der Nachbarschaft eingekauft, die sich bestimmt noch mal bei mir melden wird.

Gerade komme ich von meiner dritten Tour, für die ich insgesamt 18 Kilometer Fahrrad gefahren bin – sogar durch einen kleinen Schneesturm. Ich kam klitschnass bei dem Mann an. Er saß im Rollstuhl, aber vor Corona hatte er keine Angst. Er wollte mir sogar die Hand geben und mich reinbitten. Ich habe ihm erklärt, dass wir uns auch ohne Symptome gegenseitig anstecken können. Die Begegnung hat mich nachdenklich gemacht: Ich glaube, die aktuellen Hilfsangebote werden auch von Menschen genutzt, die sie vor der Corona-Krise schon genauso gebraucht hätten – aber nicht bekommen haben. Der Einkauf für ihn war ganz witzig: Ich lebe vegan – und die Liste des Mannes war sehr wursthaltig. Ich kannte mich überhaupt nicht aus und musste bei der Hälfte nachfragen.“

„Alte Tischdecken eignen sich besonders gut“

Louisa Strahl, 30, ist gelernte Schneiderin und schult aktuell zur Industriekauffrau um. Sie näht ehrenamtlich Mund-Nase-Masken für ein Krankenhaus.

„Wenn ich hier zu Hause sitze und sehe, was in der Welt passiert, fühle ich mich hilflos. Wenn ich nähe, habe ich aber das Gefühl, ein bisschen helfen zu können. Meine Abschlussprüfungen Ende April wurden verschoben. Ich habe also viel Zeit und über Social Media mitbekommen, dass ein Krankenhaus in Dresden Menschen dazu aufruft, Masken zu nähen. Das Krankenhaus hat eine Anleitung geteilt: Die Masken sollen mindestens zweilagig sein, aus dicht gewebtem Baumwollstoff und mit Schnüren zum Zubinden, weil Gummibänder nicht bei 95 Grad gewaschen werden können. Sie nennen sie ,behelfsmäßige Gesichtsbedeckung‘ und nicht ,Mundschutz‘, wahrscheinlich aus rechtlichen Gründen. Ich weiß gar nicht, wer sie im Krankenhaus trägt, ob das Angehörige sind, die zu Besuch kommen, oder jemand am Empfang.

Für eine Maske brauche ich zehn Minuten. Ich habe in knapp zwei Wochen schon über 100 Stück hergestellt und nach Dresden gesendet. In meinem Arbeitszimmer habe ich einen so großen Stoffvorrat, dass ich damit auch Freundinnen versorge, die mithelfen wollen. Alte Tischdecken eignen sich besonders gut, weil sie aus kochfester Baumwolle sind. Die Masken sehen ganz unterschiedlich aus: Ich habe zum Beispiel einen Stoff mit Schmetterlingen und einen mit einem ganz wilden Achtziger-Jahre-Muster genutzt. Das war früher Bettwäsche. Wenn ich rausgehe, trage ich natürlich selbst auch Maske – eine aus Eulenstoff.“

Illustrationen: Renke Brandt 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.