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Zurück in die Eiszeit?

Mit der gemeinsamen Eishockeymannschaft von Nord- und Südkorea bei den Olympischen Spielen wurde große Hoffnung auf Annäherung geweckt. Das letzte Match ist gespielt – was wird bleiben?

  • 11 Minuten

Es ist das letzte Spiel, und das südkoreanische Publikum in der Eishockeyhalle hat das Team für sich allein. Keine Spur von den nordkoreanischen Cheerleadern, die mit ihren politischen Choreinlagen das Interesse am gemeinsamen Eishockeyteam beider Landesteile in den ersten Tagen der Olympischen Spiele monopolisiert hatten. In der Partie gegen Schweden geht es um den vorletzten und letzten Platz, und die Chancen stehen mäßig: In der Vorrunde haben die Koreanerinnen gegen die Skandinavierinnen bereits mit 0:8 verloren. Nicht wirklich ein Szenario, das nach propagandistischer Ausschlachtung schreit.

Die „Armee der Schönheit“ – wie sie in Nordkorea genannt wird – mag deshalb weit weg sein, aber trotzdem wird an diesem Dienstagmittag agitiert. Eine Gruppe, die sich auf Englisch übersetzt „North and South Cheerleading Union“ nennt, verteilt vor der Eishockeyhalle in einer Universität der Küstenstadt Gangneung die Flaggen des vereinigten Koreas: der hellblaue Umriss der Halbinsel auf weißem Grund. Die Gruppe gehört zur Organisation „15. Juni“, die für die Wiedervereinigung Koreas arbeitet. Am 15. Juni 2000 verkündeten der damalige Präsident des Südens, Kim Dae-jung, und der nordkoreanische Ex-Diktator Kim Jong-il in einer gemeinsamen Erklärung mehr Einsatz für die Wiedervereinigung: Der politische Dialog und die wirtschaftliche Kooperation sollten ausgeweitet, mehr Familienkontakte ermöglicht werden. Es war der Höhepunkt der „Sonnenscheinpolitik“, die darauf abzielte, den Konflikt auf der Halbinsel durch Annäherung friedlich zu lösen, und für die Kim Dae-jung im selben Jahr den Friedensnobelpreis erhielt.

Seitdem ist viel passiert, aber wenig Gutes. Bis einen Monat vor den Olympischen Spielen waren die Beziehungen angespannter denn je. Seit 2008 sind die Grenzen komplett geschlossen. 2016 wurde auch die gemeinsame Sonderindustriezone in Kaesong dichtgemacht, wo zuvor rund 50.000 nordkoreanische Arbeiter südkoreanische Produkte herstellten. Die fortgesetzten Atomtests des seit 2011 im Norden amtierenden Machthabers Kim Jong-un sind ein besonders gefährliches, aber nur das jüngste Kapitel einer Konfrontation, die nach dem brutalen Koreakrieg zwischen 1950 und 1953 nur mit einem Waffenstillstand, aber nie mit einem Friedensabkommen beendet wurde und deren Konflikte seither mehrere hundert Leben kosteten.

Anfang Januar überraschte Kim Jong-un mit einem unerwarteten kommunikativen U-Turn, als er die Teilnahme des Nordens an den Spielen im Süden verkündete. Da alle Zulassungsfristen längst abgelaufen waren, konnten nur durch Sondergenehmigungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) noch nordkoreanische Skifahrer, Shorttracker, Langläufer und Eiskunstläufer an den Wettkämpfen teilnehmen. Erstmals seit den Spielen in Turin 2006 lief zur Eröffnungsfeier wieder ein gemeinsames koreanisches Team ein.

Für die südkoreanischen Spielerinnen und ihre amerikanische Trainerin Sarah Murray brach fast eine Welt zusammen

Zum Herzstück der Annäherung in Trainingshosen avancierte jedoch die Zustimmung zu einem Projekt, das der internationale Eishockeyverband seit Jahren hinter den Kulissen angeschoben hatte: ein gemeinsames Team der Frauen. 

Ein starkes Symbol – über das anfangs nicht alle begeistert waren. Dass der amerikanische Sportartikelgigant Nike wegen der Sanktionen gegen Nordkorea nicht mehr die Teamkleidung stellen konnte, war dabei das geringste Problem. Für die südkoreanischen Spielerinnen und ihre amerikanische Trainerin Sarah Murray brach dagegen fast eine Welt zusammen.

Als Gastgeber erstmals für Olympische Spiele qualifiziert, steckten sie am Ende einer vierjährigen Vorbereitung. Innerhalb von zehn Tagen sollten nun zwölf Nordkoreanerinnen eingebaut werden, um die das IOC per Sondergenehmigung den Kader aufstocken ließ. Mindestens drei mussten nach der Abmachung in jedem Match zum Einsatz kommen.

 

Sicher war dieser Trubel den Leistungen der Sportlerinnen nicht zuträglich, aber es wäre unfair zu behaupten, dass die Südkoreanerinnen ohne die Spielerinnen aus dem Norden gewonnen hätten. Sowohl in Nord- als auch in Südkorea steht Profi-Eishockey noch ganz am Anfang, besonders bei den Frauen. Auch gegen Schweden war das Team zum Abschluss erneut chancenlos. Immerhin gelang beim 1:6 noch mal ein Tor, das zweite im Turnierverlauf.

Als sich alle Spielerinnen vom Publikum verabschieden, kullern Tränen über Murrays Wangen, und als sie danach vor den Reportern steht, zieht sie ein ergreifendes Resümee. „Ich habe den Spielerinnen gesagt, dass sie wirklich stolz auf sich sein können. Wir haben definitiv den Druck gespürt. Die Politik hat eine Entscheidung getroffen, und wir waren diejenigen, die sie umsetzen mussten.“ Murray spricht von Freundschaften zwischen den Spielerinnen, davon, dass es ein trauriger Abschied voneinander sein wird und dass man hoffe, sich künftig wenigstens für Testspiele wiederzusehen. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass das Team so gut miteinander klarkommt. Der Sport bringt Menschen zusammen, er bricht Barrieren.“

Die Botschafterinnen der „Spiele des Friedens“

Stolz haben sie die Rolle also letztlich angenommen, als Botschafterinnen der „Spiele des Friedens“, wie Südkoreas Präsident Moon das Winterspektakel definierte. In den ersten Tagen empfing er eine nordkoreanische Delegation, zu der auch Kim Jong-uns Schwester und enge Vertraute Kim Yo-jong zählte – es war das erste Mal überhaupt, dass ein Familienmitglied der Erbdiktatur seinen Fuß auf südkoreanischen Boden setzte. In freundlicher Gesprächsatmosphäre und vor einem gemeinsamen Besuch bei einem Auftritt einer nordkoreanischen Theatergruppe in Seoul überbrachte sie Moon eine Einladung ihres Bruders zu einem Gipfeltreffen in Pjöngjang.

 
Sarah Murray (Foto: imago)

Trainerin Sarah Murray im Einsatz – vergeblich

(Foto: imago)

Moon, der seit Mai 2017 amtiert, gilt als linksliberal und überlässt die Rolle des Hardliners im aktuellen Atomstreit gern den USA. Für das Verständnis seiner Politik ist aber auch seine Biografie entscheidend. Seine Eltern waren Nordkoreaner und flohen mit 14.000 Flüchtlingen auf einem einzigen amerikanischen Schiff – das sogenannte „Weihnachtswunder“ – während des Koreakriegs auf die südkoreanische Insel Geoje. Dort wurde er 1953 geboren. Wie Moon wurden rund zehn Millionen Koreaner durch die folgende Teilung des Landes von ihren Verwandten abgeschnitten.

In der Hockeyhalle hat allenfalls jeder zweite Besucher die angebotene gemeinsame Fahne akzeptiert. Drinnen gab die „Cheerleading Union“ zwar alles: Einpeitscher in blauen Sweatshirts mit einer Abbildung von Gesamtkorea choreografierten unter ihren Claqueuren immer wieder den Schlachtruf „Wir sind eins“. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Meinungen unter den Zuschauern geteilt sind. Wie in ganz Korea.

„Das ist eine komplizierte Angelegenheit“ – damit beginnen viele Erklärungen der wenigen Leute, die hier überhaupt Englisch sprechen. Der Olympia-Austragungsort Pyeongchang ist südkoreanische Provinz und auch in dieser Hinsicht weit entfernt vom trendsetzenden Seoul, in dessen Ballungsraum rund die Hälfte aller Koreaner leben. Der entscheidende Unterschied freilich verläuft nicht entlang der Grenze von Orten, sondern von Generationen.

 

Kim Hyong-hon ist einer derjenigen, die sich eine Fahne geben ließen. Der 56-Jährige aus Gangneung hat seine Großeltern und die übrige Familie väterlicherseits nie kennengelernt. „Es ist traurig und kein natürlicher Zustand“, sagt er über die Teilung – seine Tochter dolmetscht. „Ich hoffe, das Hockeyteam hat dazu beigetragen, das Problem zu verbessern. Und ich hoffe, auch die jungen Leute verstehen das.“

„Die Sehnsucht nach der Vergangenheit ist ein Problem unserer alten Politiker. Wir haben ganz andere Probleme: Jobs, Bildung und so weiter”

Für die jungen Koreaner ist ein vereinigtes Korea nur noch Geschichte und die Teilung Realität. 1953 bis 2018, das sind 65 Jahre, 25 mehr, als die zwei deutschen Staaten überdauert haben (1949 bis 1989). „Ich will überhaupt nicht sagen, dass ich das mit dem gemeinsamen Team falsch finde“, sagt Park Sun-mi, die mit ihren Freundinnen und Südkorea-Flagge zum Spiel gegangen ist. „Aber diese Sehnsucht nach der Vergangenheit ist ein Problem unserer alten Politiker. Wir haben ganz andere Probleme: Jobs, Bildung und so weiter. Ich würde mich freuen, wenn es den Nordkoreanern besser geht. Aber an eine Vereinigung glaube ich nicht.“ Eines gibt Park nach der Partie allerdings zu: „Die Cheerleader hätte ich schon gern gesehen. Ich habe ja noch nie in meinem Leben mit Leuten aus Nordkorea zu tun gehabt.“

Um kurz beim Vergleich mit Deutschland zu bleiben: Dort wurde schon nach 40 Jahren diagnostiziert, dass sich die Menschen in beiden Teilen auseinandergelebt hätten. Der kulturelle Graben zwischen dem amerikaorientierten Wirtschaftswunderland Südkorea und dem ultrakommunistischen, rigide abgeschotteten Norden dürfte das noch um ein Vielfaches übertreffen. Die älteren Besucher etwa mochten sich vielleicht über manche der alten Volkslieder gefreut haben, die die Cheerleader in der Halle sangen, die jüngeren kannten diese Lieder gar nicht mehr. Und aus der Eishockeymannschaft wurden zunächst erhebliche Kommunikationsprobleme gemeldet. Die englischen Fachausdrücke der Sportart hatten die Nordkoreanerinnen noch nie gehört.

Wer die Tanzmädchen unter allenfalls schüchternen Blicken auf die übrigen Besucher stur ihre Show abziehen sah oder die Spielerin Jung Su Yuon bei einer beachtlichen Pressekonferenz – normalerweise sprechen nordkoreanische Sportler nicht mit ausländischen Medien – devot ihre Führer loben hörte, der konnte erschaudern bei dem Eindruck, wie tief die Propaganda in den Nordkoreanern verankert zu sein scheint. Ob es da eine wirkliche Entspannungspolitik geben kann, vielleicht sogar mit nachhaltigerem Erfolg als um 2000, als erstmals nord- und südkoreanische Sportler unter gemeinsamer Flagge bei der Eröffnungsfeier einliefen? Alles liegt an Nordkorea, und das ist so unkalkulierbar, dass die letztliche Olympiaannäherung selbst die Experten überraschte. Präsident Moon jedenfalls plant vorerst nicht, die Einladung nach Pjöngjang anzunehmen, dazu fehle noch viel. Und selbst Kim Hyong-hon, der Vereinigungsfan in der Hockeyhalle, ist skeptisch: „Nicht mal ich glaube an eine Demokratisierung des Nordens.“

Während das IOC-Mitglied Angela Ruggiero, eine ehemalige Eishockeyspielerin, das gemeinsame Team für den Friedensnobelpreis vorschlug, reisen die Nordkoreanerinnen jetzt wieder ab. Zurück in ihre Welt der Isolation und der Sanktionen. Die Schläger, die sie für die Spiele bekommen haben, müssen sie vorher abgeben.

Titelbild:  The Asahi Shimbun via Getty Images

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