Thema – Identität

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Die Passion Pho Da

In einem Ostberliner Industriegebiet steht eine kleine Pagode. Vielen Vietnamesinnen und Vietnamesen ist sie heilig. Aber wegen des deutschen Baurechts soll sie weichen

Pagode

Mitten im Zimmer steht ein Baum. Was nur deshalb niemanden wundert, weil er tot ist, die Äste gehen schon ins Dunkelgräuliche, aber an den Zweigenden leuchten hellgelbe Blüten. „Plastik“, sagt Van Ly Nguyễn. Die hoa mai, eine gelbe Nagelbeere, wachse leider nicht in Deutschland. Aber nun, zu Tết, dem vietnamesischen Neujahr, soll es aussehen wie in Vietnam, da dürfe die gelbe Blüte nicht fehlen, sagt Nguyễn und hilft den anderen beim Schmücken des Baumes.

In der Phổ Đà-Pagode in Berlin-Lichtenberg geht es wegen der Vorbereitungen heute etwas lebhafter zu als sonst an Samstagen. Sonntags dagegen ist das kleine Häuschen immer gut besucht, viele der knapp 200 Gemeindemitglieder versammeln sich. Dem Gebet folgt oft eine vegetarische Mahlzeit in der Küche im Hinterzimmer. Die vietnamesischen Kräuter und das Gemüse, die sie hier zubereiten und verzehren, wachsen im kleinen Garten rechts der Pagode.

Manche würden es „behördliche Schließung“ nennen, andere eine Entweihung

Ein paar Hundert Menschen empfing die Phổ Đà zum Neujahrsfest Ende Januar, darunter Kevin Hönicke, Vize-Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat der Abteilung Stadtentwicklung in Lichtenberg. Seit einiger Zeit wird viel über die Pagode gesprochen, in Lokalsendern, aber auch großen Tageszeitungen. Ob das nerve, dass ständig Leute kämen und Fragen stellen? „Vielleicht“, antwortet Van Ly Nguyễn und rückt seine Brille zurecht. Aber dass viele von Phổ Đà erfahren, könnte der Gemeinde nutzen. Sie hat ein Problem: Die Pagode darf nicht bleiben.

Buddhisten haben – im Gegensatz zu christlichen und jüdischen Gemeinden – in Deutschland nicht den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Aus dem Amtsdeutschen übersetzt heißt das: Die Pagode gilt nicht als Religionsstätte, sondern als Kulturzentrum. Und das habe hier, auf dem Gewerbegebiet an der Marzahner Straße 17, nichts zu suchen, argumentiert zumindest das zuständige Bezirksamt.

Die Pagode zog schon 2006 auf das Gelände des Pacific-Centers, das ehemalige Pförtnerhäuschen hat die Gemeinde selbst renoviert. Seitdem werden dort Gottesdienste, Geburten- und Totenrituale gefeiert. 2010 berief die Gemeinde sogar einen Mönch aus Vietnam als neuen geistigen Führer. Die Betreiberin des Centers, selbst Vietnamesin, nimmt für die Nutzung keine Miete, die Gemeinde zahlt lediglich die Betriebskosten. Und da zunächst nichts gebaut wurde, ging niemand davon aus, dass eine Genehmigung nötig sei. Es hätte aber eine planungsrechtliche Umwidmung gebraucht, sagt das zuständige Bauamt, das laut eigener Aussage erst 2016 von der Existenz der Pagode erfuhr.

Van Ly Nguyễn und viele andere in der Gemeinde erstaunt das. Die Türen stehen hier offen, viele Gemeindemitglieder gehen im benachbarten Asiamarkt ein und aus. Und im Eröffnungsjahr 2006 begrüßte die Gemeinde auch die damalige Bezirksbürgermeisterin zu einer Zeremonie in der Pagode. 2016 entschloss sich die stark gewachsene Gemeinde anzubauen. Der Antrag wurde abgelehnt: Nicht nur ein Anbau, sondern die ganze Pagode könne auf Gewerbegebiet nicht genehmigt werden. Die Gemeinde baute dennoch. Es dauerte, bis das Bauamt den Schwarzanbau bemerkte. 2019 dann der Schock: Das Amt kündigt an, die Nutzung zu untersagen, Phổ Đà soll den Betrieb einstellen.

Immer wieder wendet sich die Gemeinde an das Bezirksamt, pocht auf Gesetze – in Deutschland gilt Religionsfreiheit, dazu später mehr – und auf Metaphysisches. Nach buddhistischem Glauben wären die Seelen der Verstorbenen aus den Ahnenschreinen verdammt, im Jenseits umherzuirren, wenn die Pagode umziehen muss. Das Amt hält an seiner Entscheidung fest. Die Gemeinde erhält lediglich Fristverlängerungen, um einen neuen Standort zu finden.

Als die letzte Nutzungsuntersagung im Sommer 2022 rausging, sei er gerade krank gewesen, versichert Bezirksstadtrat Hönicke am Telefon. Mittlerweile sei die wieder „eingefangen“. Die Berichterstattung und eine Petition der Gemeinde haben dem Amt Druck gemacht, sagt Hönicke. „Wir mussten einsehen, dass sich die Sache nicht nebenbei abfrühstücken lässt.“ Im Dezember verlängert das Lichtenberger Bauamt die Duldung bis 2026. Glaubt man Hönicke, soll die Pagode an ihrem Standort bleiben.

Das wäre leichter, wenn Phổ Đà nach deutschem Recht eine Kirche wäre. Dass die Nutzungsverordnung fast ausschließlich das Christen- und das Judentum als Religionen anerkennt, nennt Hönicke „einen Wahnsinn“. Aus seiner Sicht sei das nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Dort heißt es in Artikel 3: „Niemand darf wegen (…) seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Gewerbe, Wohnen, Religion: Das Bauamt hat‘s gern gut sortiert 

Das letzte Mal wurde in den 1980er-Jahren ein Gotteshaus in Berlin auf behördliche Anordnung abgerissen. In Ostberlin ließ die Staatspartei SED eine Kirche sprengen, sie stand zu nah an der Mauer. Heute gibt es in Berlin-Spandau eine andere buddhistische Gemeinde, die ihre Pagode auf Gewerbegebiet betreibt. Nur eben nicht in einem sogenannten „produktionsgeprägten“ Bereich, erklärt Kevin Hönicke.

Produktionsgeprägt. Ein kleiner Zusatz, aber ein großer baurechtlicher Unterschied. Denn selbst wenn die Pagode nach deutschem Recht als Kirche gelten würde, trennen Bauämter Nutzungen klar: Gewerbe zu Gewerbe, Wohnen zu Wohnen, Religion zu Religion. Sie müssen die Folgen ihrer Genehmigungen abschätzen, auch rechtliche: Stört sich eines Tages ein ansässiges Wirtschaftsunternehmen an der Pagode, würde es vor Gericht wohl recht bekommen.

Mit ihrem geschwungenen Dach, den roten Lampions und dem kleinen Hof mit den mannsgroßen Buddhastatuen wirkt die Pagode wie eine Oase inmitten des Gewerbegraus, selbst in der kalten Jahreszeit. Van Ly Nguyễn kehrt gerade den Hof.

Wie viele Gemeindemitglieder kam er als Vertragsarbeiter nach Deutschland, das hier damals noch DDR hieß. Nguyễn machte eine Lehre zum Schweißer. Mittlerweile ist er Rentner, hat Kinder und Enkelkinder, aber so gut wie jeden Sonntag verbringt er in der Pagode. Die vietnamesische Gemeinde ist groß in Berlin, besonders hier in Lichtenberg: Rund 9.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen sollen im Bezirk leben. Die Pagode ist auch eine Anlaufstelle für viele Neuankömmlinge, die in ihren ersten Monaten in Deutschland Unterstützung suchen. Es gab Neujahrsfeste, erinnert sich Van Ly Nguyễn bei einer Tasse Tee, da haben sie hinten in der kleinen Küche 500 Portionen bánh chưng zubereitet, mit Bohnen gefüllte Reiskuchen, die es traditionell zum Neujahrsfest gibt.

„Es wäre schön, wenn wir an diesem Ort zusammenbleiben“, sagt Van Ly Nguyễn. Er hat sich entschlossen, zuversichtlich zu bleiben. Denn im Endeffekt sei die Pagode natürlich viel mehr als ein Gebäude. „Phổ Đà ist hier“, sagt er und tippt auf seine Brust. 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.