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Wer hat’s erfunden?

Was verbindet eine Wassermelone, Impfstoffe und einen Netflix-Abend? Viel Geld und viel Streit – um Patente

Wassermelone

Das Fruchtfleisch rot und saftig, süß und kühl – und kein einziger dieser nervigen schwarzen Kerne: Gäbe es die triploide Citrullus lanatus nicht, man müsste sie erfinden. Das dachten sie auch beim Chemiekonzern BASF, der sich die Wassermelonensorte als eigene Züchtung patentieren ließ. Deshalb wird um die Melone gestritten, seit Jahren schon.

Wer eine gute Idee hat, kann sie patentieren lassen. Damit sichern sich Personen oder Unternehmen das Recht, dass nur sie mit der Erfindung Geld verdienen oder Lizenzen an andere vergeben dürfen. Schließlich kostet das Erfinden der Erfindung auch Geld.

In den knapp 600 Jahren seit dem ersten schriftlich vermerkten Patent, einem „Lastkahn mit Hebewerk“ zum Bau der Kuppel des Doms von Florenz, sind etliche Millionen Ideen patentiert worden. Darunter das Telefon, Post-its, die Achterbahn, Hotdog-Brötchen, diverse Smartphonedesigns und VR-Headsets. Unser Alltag besteht aus Abertausenden Einzelteilen, Materialien, Herstellungsweisen und Anwendungen, für die irgendwann irgendwer ein Patent angemeldet hat. Kein Wunder, dass ständig Streit ausbricht, weil die Konkurrenz eine Erfindung nachahmt oder sogar für sich reklamiert.

Ideen haben keine Grenzen, Patente schon

Schon 1593 wurde in Nürnberg der erste Prozess wegen der Verletzung eines Patents abgehalten: Der Angeklagte hatte ein Mahlwerk zum Schleifen von Halbedelsteinen plagiiert. Seine Strafe ist nicht überliefert, aber die für ein zweites Verfahren zum selben Patent acht Jahre darauf. Der Straffällige musste zehn Gulden Strafe zahlen, was damals wahrscheinlich mehreren Wochenlöhnen eines Handwerkers entsprach.

Schmerzhaft für den Verurteilten, aber kein Vergleich zu den Dimensionen von Patentstreitigkeiten heute. 2022 gingen am Bundespatentgericht rund 230 große Patentklagen ein. In diesen Fällen wird laut dem Gericht üblicherweise um Patente im Wert von mindestens einer Viertelmillion Euro gestritten. Kläger oder Beklagte sind meist Unternehmen aus Maschinenbau oder Elektrotechnik, Chemie oder Medizin – klassische deutsche Industrien, in denen sich mit einem neuen Ventil oder Medikamentenwirkstoff ein Haufen Geld verdienen lässt.

Prominentes Beispiel: Biontech und Curevac stritten über ein europäisches Patent Curevacs zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen. Erst vor einem Landgericht, um zu klären, ob Biontech dieses Patent verletzt hat. Dann vor dem Bundespatentgericht, das verhandelte, ob Curevacs Patent überhaupt hätte erteilt werden dürfen, also gültig ist. Nein, urteilte das Gericht Ende 2023 und erklärte das Patent in Deutschland für „nichtig“. Curevac muss für Gericht und Anwälte bis zu zwei Millionen Euro zahlen.

Noch doller wird es in den USA. Wenn Apple, Microsoft oder Intel vor Gericht stehen, fallen auch mal Strafen von mehr als einer Milliarde US-Dollar an. Das hat auch Auswirkungen auf den deutschen Patentmarkt. Erfindungen können weltweit kopiert werden, Patente gelten aber zunächst nur in dem Land, für das sie erteilt werden. Daher werden Patente meist in vielen Ländern angemeldet, zum Beispiel beim Europäischen Patentamt oder in den USA. 2023 wurden in Deutschland fast 59.000 Patente angemeldet, rund 20.000 stammen von ausländischen Unternehmen. Deshalb kann es passieren, dass vor deutschen Gerichten Patentverfahren nichtdeutscher Unternehmen verhandelt werden. Zum Beispiel Netflix gegen Broadcom, ein US-amerikanisches Halbleiterunternehmen. Ein deutsches Landgericht verbot Netflix, eine Videokodierung von Broadcom für Filme in Ultra-HD zu verwenden. Weil Netflix sich nicht gleich daran hielt, verhängte das Gericht eine Geldstrafe von gut sieben Millionen Euro. Oder alternativ 15 Tage Haft für Mitglieder des Netflix-Vorstandes – und zwar für jeden der 47 Tage, an denen Netflix gegen die Unterlassungsverfügung verstoßen hatte. Klingt nach gutem Stoff für eine Serie.

Weshalb sollte ein Unternehmen Rechte an etwas halten, das die Natur hervorgebracht hat?

Obwohl es um viel geht, gehören Patentstreitigkeiten zu den langweiligsten Gerichtsverfahren überhaupt. Keine Tränen, kein Publikum, keine überraschenden Wendungen, kein Jubel nach der Urteilsverkündung. Die Anhörung im Gerichtssaal dauert oft nur wenige Stunden: Sie ist die bloße Bilanz dessen, was Gericht und Anwälte monatelang vorbereitet haben. Oft versuchen die Anwälte, sich außergerichtlich auf Schadensersatz oder eine Lizenz zu einigen. So landen die meisten Streitfälle gar nicht erst vor Gericht. Falls doch, betäuben sich die Verhandlungsparteien mit technischen Details oder chemischen Formeln, Patentnummern und Fachwörtern. Das Bundespatentgericht ist neben dem neuen Einheitlichen Patentgericht für die EU-Mitgliedstaaten das einzige Gericht, in dem neben Juristen auch Naturwissenschaftler Urteile fällen, sogenannte technische Richter.

Die kleinen Geschwister des Patents sind die Schutzrechte für Designs, Gebrauchsmuster oder Marken. Im berühmten „Spezi“-Streit zwischen den bayerischen Brauereien Riegele und Paulaner beispielsweise ging es nicht um die Idee, Orangenlimonade in Cola zu kippen, sondern um den Namen für das Gemisch: Den Namen „Spezi“ hat sich Riegele ausgedacht, aber Paulaner mit einer Vereinbarung erlaubt, ihr Getränk „Paulaner Spezi“ zu nennen. Das ging Jahrzehnte gut. Dann wollte Riegele einen Lizenzvertrag schließen. Heißt: Geld von Paulaner. 2023 entschied ein Gericht, dass die alte Vereinbarung immer noch gilt. Prost, ihr Streithähne.

Dieser Text ist im fluter Nr. 91 „Streiten“ erschienen

Apropos Orangenlimo: Patente auf herkömmlich – also ohne Gentechnik – gezüchtete Pflanzen und Tiere sind in der EU verboten. Kritikern zufolge habe das Europäische Patentamt wegen juristischer Schlupflöcher allerdings schon rund 300 Patente auf herkömmlich gezüchtete Pflanzen und Tiere zugelassen, auf Forellenarten, Brokkoli- und Salatsorten. Oder eben die triploide Citrullus lanatus, die Wassermelone, die aufgrund ihrer ungeraden Chromosomenzahl kernlos ist und buschig wächst, wodurch sie weniger Anbaufläche braucht als andere Sorten. Nunhems, eine BASF-Tochtergesellschaft, behauptet, die Citrullus lanatus sei ihre Entwicklung. 2021 bekam sie ein europäisches Patent auf Pflanze, Saatgut und Früchte erteilt. Patentnummer: EP2814316.

Der Verein „Keine Patente auf Saatgut!“ hat dagegen beim Europäischen Patentamt Widerspruch eingelegt. Sowohl der buschige Wuchs als auch die fehlenden Kerne seien natürliche Entwicklungen, das Patent also nicht rechtens. Die fehlenden Kerne seien sehr wohl eine Besonderheit, urteilte das Amt sinngemäß und lehnte den Widerspruch im vergangenen Jahr ab. Viele befürchten, dass Unternehmen zunehmend beeinflussen, welches Obst und Gemüse in Europa angebaut wird und wie viel Verbraucher dafür zahlen sollen.

„Keine Patente auf Saatgut!“ beruft sich weiter auf das Verbot, herkömmliche Züchtungen als Patent zuzulassen, und hat Beschwerde beim Europäischen Patentamt eingelegt. Bis zur Entscheidung dürfte es wieder zwei, drei Jahre dauern, schätzt der Verein. Allerspätestens 2041 wird das Patent auf die buschig wachsende Wassermelone ohne Kerne auslaufen: Egal wofür, ein Patent gilt 20 Jahre.

Titelbild: Mykhailo Palinchak / Alamy Stock Photos / mauritius images

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