Eigentlich hätte Autor und Rapper Hendrik Bolz den Macher:innen des Podcasts „OKF – Ortskontrollfahrt“ viel Interessantes erzählen können. Es geht in der Folge mit ihm zwar um das Leben im Plattenbau in Stralsund und den abgehängten Stadtteil Knieper West, wo er aufgewachsen ist. Aber er hätte doch so gut über rechtsextreme Subkulturen sprechen können, die in den Nachwendejahren dort entstanden sind, bis in die Nullerjahre wirkten und seine Jugend beeinflussten. Oder darüber, inwiefern solche über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen sich heute auf das politische Klima und die Wahlergebnisse in Ostdeutschland auswirken. Er hat seine Vergangenheit immerhin bereits pointiert in seinem Buch „Nullerjahre“ reflektiert, das Anfang 2022 erschien.
Doch Lilly Blaudszun, ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Jusos in Mecklenburg-Vorpommern, und Jakob Springfeld, Autor und linker Aktivist aus Zwickau, scheint das nicht besonders zu interessieren. Um Rechtsextreme geht es kaum, genauso wenig um die kollektive Depression der Elterngeneration nach der Wende, die Bolz in seinem Buch beschreibt und die seine Kindheit nicht gerade einfach machte. Die beiden Hosts wollen statt der ollen Polit-Kamellen lieber wissen, wo Bolz früher gefeiert, was er am liebsten gegessen hat. Und was er heute in Stralsund essen würde. Einen Big Tasty, entlocken sie ihm irgendwann.
Es geht um Orte der Jugend, um Großraumdiskos, Fußballplätze, Dönerimbisse
Hört man die sieben Folgen von „OKF – Ortskontrollfahrt“, die beim Schreiben dieser Rezension verfügbar waren, stellt sich immer wieder die Frage: Was soll das alles?
„Was ist richtig geil, was nervt, und ist Ostdeutschland wirklich so Lostdeutschland?“ Darum soll es im vom rbb-Jugendradio Fritz und der dpa produzierten Podcast gehen, wie Blaudszun und Springfeld im Intro ankündigen. Dafür sprechen sie mit prominenten Gästen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – vom Fußballspieler Felix Kroos bis zur Streamerin JenNyan – und nehmen sie mit auf eine OKF, eine Ortskontrollfahrt, was so viel heißt wie: einfach ein bisschen durch die Stadt heizen. Mit dem Moped, mit dem getunten Auto, vorbei an den immer gleichen „Hotspots“, wo die anderen jungen Menschen abhängen, weil es sonst nichts zu tun gibt.
Die Gäste sprechen also mit Springfeld und Blaudszun über wichtige Orte ihrer Jugend. Großraumdiskos, Fußballplätze, Dönerimbisse. Und schon da fällt auf: Spezifisch ostdeutsch ist an diesen Orten nichts. Die Jugend versammelt sich am Skatepark oder vorm einzigen Kebab-Haus der Stadt im Ruhrgebiet und in Bayern genauso wie im Brandenburger Hinterland. Wo nun die Unterschiede liegen könnten, darüber wird leider kaum gesprochen.
Die beiden Hosts verpassen es, an den richtigen Stellen nachzuhaken. Denn die Geschichten der Gäste haben durchaus das Potenzial, politische Fragen zu verhandeln, die heute nicht nur, aber auch in den neuen Bundesländern wichtig sind. Zum Beispiel, wenn der Pferdeinfluencer Patrick Thomalla kurz sein Aufwachsen als homosexueller Jugendlicher in der ostdeutschen Provinz anreißt oder die Streamerin JenNyan über Alkoholismus im Elternhaus spricht. Würde der Podcast seiner Ausgangsfrage treu bleiben, würde er diesen Spuren nachgehen und erforschen: Was daran ist ostdeutsch, was ein gesamtdeutsches Problem, wie ist die Jugend im Osten damit umgegangen?
Was die Geschichten konkret mit Ostdeutschland zu tun haben, bleibt häufig unklar
Doch Blaudszun und Springfeld haben sich in ihrem eigenen Format verrannt. Sie halten sich starr an ihr Skript und fragen stattdessen immer wieder nach Essen, Feiern, Musik und Saufen. Sie schwelgen in Nostalgie und sind, so scheint es, auf der Suche nach lustigen und vor allem positiven Storys von früher. Doch sich „Berentzen Saurer Apfel“ reinzusaufen und vor die Dorfdisko zu kotzen ist eben nicht gerade die interessanteste Geschichte. Die beiden Hosts sprechen dann oft über ihre eigenen Suff-Erfahrungen, und schon sind wieder zehn Minuten um, ohne dass inhaltlich viel passiert ist.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Ansatz, Gegenerzählungen zum Klischee des abgehängten Ostens zu etablieren, ist wichtig. Besonders in einer Zeit, in der das mediale Bild vor allem von negativen Nachrichten bestimmt wird. Aber dieses Konzept geht nur auf, wenn man auch versteht, was diese Geschichten konkret mit Ostdeutschland zu tun haben. Oder mit welchen spezifischen Problemen die Gäste zu kämpfen hatten. Diese Brücke bauen Blaudszun und Springfeld aber viel zu selten.
Die gute Nachricht ist: In der siebten Folge passiert doch noch was. Die Journalistin Nhi Le erzählt vom Aufwachsen in einer thüringischen Kleinstadt. Ihre Eltern kamen als Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam in die DDR und eröffneten nach der Wende aus Mangel an Alternativen ein „China“-Restaurant. Chinesisch deswegen, weil die vietnamesische Küche für Deutsche damals weniger zugänglich schien und es ohnehin schwer war, an die richtigen Zutaten zu kommen. Das sei damals gängige Praxis im gesamten Osten gewesen. Diese Geschichte eröffnet viel: Sie lässt einen nachdenken über Klischees, rassistische Zuschreibungen in Ostdeutschland und den Umgang mit ehemaligen Vertragsarbeiter:innen. Nette nostalgische Geschichten über ihre Zeit als Chorsängerin in Thüringen und Tage mit viel Kiba und Gurkensushi erzählt Nhi Le zusätzlich dann übrigens trotzdem.
„OKF – Ortskontrollfahrt“ ist unter anderem in der ARD-Audiothek zu hören.
Titelbild: rbb/Katharina Behling