Auf dem Weg zu seinem Atelier schlappt Samir Maombi durch schmale, sandige Gassen, ein Labyrinth umzäunt von hohen Wellblechen. Nur die großen, staubigen Hauptachsen tragen überhaupt Straßennamen. Auf die Wellblechzäune gepinselt, erinnern sie an den tausendfachen Traum vom Leben an einem besseren Ort: New York Street, Dubai Street, Khalifonia Street – Namen von Sehnsuchtsorten. Auch der 24-jährige Samir Maombi teilt diesen Traum: „Meine eigene Kollektion auf dem Laufsteg bei der New York Fashion Week.“
Der Laufsteg der New York Fashion Week. Kaum ein Ort scheint ferner, wenn Samir Maombi durch eines der größten Flüchtlingslager der Welt läuft: Kakuma, gelegen im Nordwesten Kenias, inmitten des dürren Landstrichs nahe der Grenze zur Republik Südsudan und zu Uganda. Seit Kakuma 1992 seine Tore für Geflüchtete des sudanesischen Bürgerkriegs öffnete, trieben die Konflikte in Ostafrika immer neue Menschen in das Camp: Neben den vielen Geflüchteten aus dem Südsudan kamen auch welche aus Somalia, der Demokratischen Republik Kongo, Burundi, Äthiopien und 17 weiteren Staaten. Mittlerweile leben rund 150.000 Menschen dort.
Samir Maombi näht im größten Flüchtlingscamp Afrikas
Das Camp ist zu einer dauerhaften Stadt angewachsen, allerdings fast ausnahmslos ohne Stromanschlüsse, ohne fließend Wasser, ohne eine einzige befestigte Straße. Die Mehrheit der Geflüchteten in Kakuma ist abhängig von Lebensmittelspenden. Alle zwei Wochen verteilen die Vereinten Nationen, unter deren Leitung das Camp steht, genau abgezählte Rationen, die jedoch mangels internationaler Geldgeber in den vergangenen Jahren immer wieder reduziert werden mussten.
Samir Maombi floh aus dem Osten der DR Kongo, wo sich unzählige Rebellengruppen und die Armee der Regierung seit Jahrzehnten gegenseitig bekämpfen. Immer wieder kommt es bei Raubüberfällen auf Dörfer zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Samir Maombi hat seine Familie im Krieg verloren. „Ich bin ganz allein hierhergekommen. Ich lebe allein.“ Er kam 2009, nachdem er zuvor in seiner Heimat eine Ausbildung zum Schneider angefangen hatte. Seinen Wunsch brachte er mit: „Ich will ein berühmter Modedesigner werden.“
Trotz der Not zählt neben Mehl, Öl und Erbsen auch würdevolle Kleidung zu den Grundbedürfnissen der Menschen in Kakuma. Davon jedenfalls ist Samir Maombi überzeugt. „Die Leute hier sind vor vielen Problemen geflüchtet. Ich glaube, wenn du etwas trägst, das dir eine Freude bereitet, nimmt dir das vielleicht ein wenig von deinen Sorgen“, sagt er. „Auch Geflüchtete sollen sich wohlfühlen und sich selbst gefallen dürfen.“
Als Jugendlicher hat Maombi in Kakuma zunächst bei älteren Schneidern gejobbt. Vor zwei Jahren konnte er von seinem Ersparten dann endlich sein eigenes Atelier eröffnen: „Samir Fashion Design“ steht über der Tür des kleinen Ladens, dessen Wellblechwände Maombi bunt bemalt hat.
„Auch Geflüchtete sollen sich wohlfühlen und sich selbst gefallen dürfen“
„Als ich nach Kakuma kam, habe ich zunächst Schuluniformen für Kinder genäht“, erzählt Maombi. „Ich war jung, und die Leute dachten, ein Junge wie ich könne keine gute Kleidung nähen. Deshalb war es schwer, Arbeit und Kunden zu finden.“ Inzwischen aber hat sich Maombi einen guten Ruf erarbeitet. An den Wänden hängen die maßgeschneiderten Kleidungsstücke, die Kundinnen und Kunden bei ihm in Auftrag gegeben haben: Röcke, Hosen, Hemden, Blusen, Jumpsuits, Anzüge, manche schlicht, die meisten farbenfroh bunt bis psychedelisch gemustert. „Ich bevorzuge ostafrikanische Stoffe, so genannte Vitenge, viele davon sind mit tollen Mustern bedruckt.“ Der junge Designer verarbeitet die in Ostafrika ohnehin beliebten Stoffbahnen, die er aus der Hauptstadt Nairobi und dem Nachbarland Uganda importieren lässt, zu kreativer Mode: „Die meisten Leute hier im Camp wollen diese Art von Stoff. Darauf können sich alle einigen, egal wo sie herkommen.“
Doch die meisten Menschen im Camp können oder wollen sich Maombis aufwendige Mode nicht leisten: „Hier in Kakuma gibt es nicht sehr viele Kunden. Wir machen etwa 10.000 Schilling Gewinn pro Monat“, rechnet er vor. Das sind umgerechnet rund 80 Euro. Zu wenig, klagt Maombi. „Dieser Laden gehört mir nicht, ich zahle Miete. Es kommt vor, dass ich zu wenig Kunden habe, um die Miete zu bezahlen.“
Trotzdem Maombi hat sich inzwischen über die Grenzen Kakumas hinaus einen Namen gemacht. Seine Mode präsentiert er auf Instagram (@samir_fashion_designer) und Facebook, auf Anfrage verkauft er die Kleidungsstücke in die ganze Welt.
Dank dieser Aufträge kann er nun sogar zwei Lehrlinge beschäftigen: „Ich habe zwei Angestellte, zwei Jugendliche, denen ich das Nähen beibringe. Auch sie haben ihre Eltern im Krieg verloren. Deshalb versuche ich ihnen zu helfen.“ Seit die Corona-Pandemie das Camp erreicht hat, verarbeitet er die Stoffreste aus seinem Atelier zu Masken, die er kostenlos an Bedürftige verteilt. „Die größte Herausforderung für mein Geschäft ist, dass wir keine elektrischen Nähmaschinen haben. So ist die Arbeit sehr langsam.“ Strom ist im Camp Mangelware, nur fünf Prozent der Haushalte haben Zugang zu Elektrizität. Trotz vereinzelter Initiativen, das Camp mit Solarzellen auszustatten, versinkt Kakuma nach Sonnenuntergang im Dunkeln. Dann kommt auch die Arbeit in weiten Teilen des Camps zum Erliegen.
Über Nairobi nach New York
Maombis Geschäftssinn wird in Kakuma zusätzlich von strengen Auflagen gebremst: Ohne Aufenthaltsstatus dürfen die Geflüchteten kein Land erwerben und keine Arbeit annehmen. Auch Maombi kann sein Atelier nicht offiziell anmelden. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen preist Unternehmer wie Maombi zwar als Aushängeschilder für einen innovativen Markt inmitten eines Flüchtlingscamps, doch der Aufstieg von Geflüchteten zu Geschäftsleuten ist so selten wie der Strom im Camp. In Wirklichkeit dürfen die Geflüchteten das Camp nicht mal ohne Erlaubnis verlassen. Jeden Abend um 18 Uhr, wenn hier, in Äquatornähe, die sengende Sonne untergeht, werden die Tore des Lagers geschlossen. Samir Maombi fühlt sich eingesperrt. „Es ist ein großes Problem, dass du als Geflüchteter ohne Reisedokumente nicht einfach reisen kannst, wie du gern würdest.“
2018 aber bekam er vom Campmanager eine der begehrten Reiseerlaubnisse erteilt. So durfte Samir Maombi mit seiner Kollektion zur Fashion Week reisen. Noch nicht nach New York, aber immerhin in die Hauptstadt Nairobi.
Titelbild: Christian Werner