Anne Marie Yacine Tine im Parlament

Frischer Wind für den Senegal?

Vor gut einem Jahr kam es zu einem Machtwechsel in dem westafrikanischen Land. Anne Marie Yacine Tine, 26, ist die jüngste Abgeordnete des Parlaments und will dazu beitragen, den Senegal zu verändern

Text und Fotos: Frida Nsonde
Thema: Demokratie
10. Juni 2025

Es ist Freitagmorgen in Dakar. Anne Marie Yacine Tine betritt das Büro ihres Parteikollegen und wird von einem lebensgroßen Porträt eines lächelnden Anzugträgers begrüßt: dem neuen Präsidenten. Rund ein Jahr zuvor, am 24. März 2024, gewann Bassirou Diomaye Faye, Kandidat der Oppositionspartei Pastef, die Wahl gegen Amtsinhaber Macky Sall. Mit 44 Jahren. Sein Vorgänger Sall regierte seit 2012. 

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im November übernahm Pastef dann auch noch die Mehrheit im Parlament und gewann ganze 130 der 165 Sitze. Einen davon nimmt Yacine Tine ein. Mit 26 Jahren ist sie die jüngste Abgeordnete des Parlaments. In ihrem Wahlkreis setzte sie sich gegen den Bürgermeister und ehemaligen Minister Augustin Tine durch. „Die Leute waren einfach müde“, sagt sie. Und Pastef? Die versprachen Wandel: Kampf gegen die Korruption im Land und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Eine Botschaft, die vor allem bei jungen Menschen, offene Türen einrennt. Diese machen den Großteil der senegalesischen Bevölkerung aus: Über 60 Prozent der Menschen sind unter 25 Jahre alt. 

Parlament von innen

Hier tut sich einiges: Im Parlament des Senegal hat im November die Mehrheit gewechselt

Senegal gilt als stabile Demokratie in Westafrika und diente lange als Vorbild für andere Staaten in der Region. In den letzten drei Jahren kam es jedoch immer wieder zu Unruhen im Land. „Ousmane Sonko hat der Jugend Selbstbewusstsein gegeben“, sagt Anne Marie Yacine Tine. „Er hat gezeigt, dass auch wir Jungen Verantwortung übernehmen können.“ Sonko wurde von Faye direkt nach dessen Amtsantritt zum Premierminister ernannt.

Verantwortung übernehmen heißt für Yacine Tine die ländliche Bevölkerung vertreten. „Es fehlt an Bildung, Wasser, sanitärer Versorgung“, sagt sie. „Wer es sich in Dakar bequem macht, vergisst schnell die Realität im Rest des Landes – genau diese Stimmen gilt es weiterzutragen.“ Heute trifft sie sich mit dem Kommunalkoordinator, um eine Medikamentenspende für ihre Gemeinde zu beantragen – politische Kleinarbeit im Alltag. Ist das die Strategie der Zukunft? „Der Senegal ist kein reiches Land“, sagt Yacine Tine. „Da braucht es manchmal kreative Finanzierung und Geduld. Ein Land verändert sich nicht in einer Legislaturperiode.“

Doch einen gewissen Neubeginn symbolisiert Pastef in der Tat, findet die Journalistin Marième Soumaré von „Jeune Afrique“, einem Nachrichten- und Politikmagazin. „Faye und Sonko sind kein Teil der politischen Elite. Das hebt sie von ihren Kontrahent:innen ab“, sagt Soumaré. „Zumindest kann man ihnen bisher nicht vorwerfen, Politik zum eigenen Vorteil zu betreiben.“ Jedoch geht mit der neuen Regierung auch ein Rückschritt in der politischen Teilhabe von Frauen einher: Die Zahl der weiblichen Kabinettsmitglieder ist von 18 Prozent auf 13 Prozent gesunken. Darüber hinaus wurde das eigenständige Frauenministerium aufgelöst und in das Ministerium für Familie und Solidarität integriert. 

Die alte Regierung beschönigte die Finanzen

Kurz nach Amtsantritt ließ Faye die Finanzen der Vorgängerregierung überprüfen. Das Ergebnis: beschönigte Zahlen. Anders als von der Ex-Regierung bekannt gegeben, beträgt die Staatsverschuldung nicht 74, sondern mehr als 99 Prozent. Auch das Haushaltsdefizit machte nicht 4,9, sondern ganze 12,3 Prozent aus. Internationale Ratingagenturen stuften die Kreditwürdigkeit des Senegal daraufhin deutlich herab. „Das erschwert es nun der neuen Regierung, ihre Ziele zu verwirklichen“, sagt Soumaré. „Sie scheinen zu realisieren, wie schwer es ist, alle Versprechen in puncto wirtschaftlicher Souveränität in die Praxis umzusetzen – in einem globalen System, das afrikanische Staaten strukturell benachteiligt.“ 

Anne Marie Yacine Tine winkt eines der gelben Taxis heran, die das Straßenbild von Dakar prägen. Als Nächstes steht eine Abstimmung im Parlament an; darüber, ob ein ehemaliger Minister wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder seine Immunität verlieren soll. Yacine Tine wird dafür stimmen. Korruptionsbekämpfung diente früher oft als Vorwand zur Verfolgung politischer Gegner:innen, sagt Marième Soumaré. Jetzt werde erstmals umfassend die Verwendung öffentlicher Gelder geprüft. 

Doch die Journalistin bleibt skeptisch: Die versprochene Justizreform, die eine Modernisierung und Unabhängigkeit der Justiz anstrebt, lasse auf sich warten. Sie sollte ursprünglich die Strukturen der Justiz transparenter machen und die Effizienz der Verfahren steigern. 

Massaer und Freunde

Über 60 Prozent der Menschen sind unter 25 Jahre alt. Was kann Premierminister Ousmane Sonko (im Hintergrund) für sie tun?

In Thiès, eine Stunde östlich von Dakar, beginnt es zu dämmern. Es ist Ramadan, und vor dem Regionalkrankenhaus in Anne Marie Yacine Tines Heimatbezirk geben Mitglieder der Parteijugend JPS Essenstüten für „ndogou“ – das Fastenbrechen – an Patient:innen aus. Währenddessen appellieren Redner:innen, auch außerhalb des Wahlkampfes politisch aktiv zu bleiben und den neuen Präsidenten zu unterstützen.

Vor einem Banner mit Ousmane Sonkos Konterfei sitzt eine Freund:innengruppe aus dem Bezirk Thiès Ost und trinkt Kaffee. Was erwarten sie von ihrer Regierung? „Arbeitsplätze“, da sind sich alle einig. „Manche finden sogar mit Uni-Abschluss keinen Job“, sagt Massaer, 24. Erst wenn die Wahlplakate verblassen und die Euphorie verfliegt, wird sich zeigen, ob die neue Regierung das Versprechen von wirtschaftlichem Aufschwung auch erfüllen kann.

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