Der Psychiater Borwin Bandelow ist Autor des Buches "Wer hat Angst vorm Bösen Mann" über unheimliche Faszinationen. Außerdem forscht er an der Universität Göttingen zu den besonderen Fähigkeiten von Psychopathen. Ein Gespräch über gewissenlose Mörder, ihre Anziehung auf Frauen und die Faszination des Bösen.
fluter.de: Psychopathen und Serienmörder tauchen in unzähligen Romanen, Filmen und Serien auf. Was fasziniert uns an ihnen?
Borwin Bandelow: Ein guter Krimi lebt von dem Auf und Ab der Gefühle. Ab dem ersten Auftritt des Mörders wird unsere Angst systematisch aufgebaut. Schnappen am Ende die Handschellen zu, schüttet der Körper Endorphine aus. Die Faustregel für Krimimacher ist: Je größer die Angst, desto stärker die Glücksgefühle der Zuschauer und Leser, und dazu braucht es schon einen brutalen Mord samt Pathologen, Spurensicherung und einer Portion Maden in der Leiche. Das erklärt den Trend zu besonders brutalen Serientätern auf der Leinwand oder im Roman.
Sind Serientäter im realen Leben ebenso faszinierend?
Ein gutes Beispiel dafür war der Mörder Jack Unterweger. Er übte zu Lebzeiten auf Menschen eine große Anziehung aus. Seine Romane aus der Haft wurden Bestseller, sogar verfilmt (zum Beispiel "Fegefeuer"), und er war in der Kulturszene angesehen. Täter wie er sind hochintelligent, kontrolliert, charismatisch und können auch ihre Opfer für sich einnehmen. Der Widerspruch zwischen einem bürgerlichen Leben und dem Bösen macht sicherlich eine weitere Faszination aus. Gerade Serientäter müssen unauffällig unter Mitmenschen leben können, um ihre Taten über längere Zeit begehen zu können und nicht schon beim ersten Mord geschnappt zu werden.
Gibt es in den Biografien von Serientätern Parallelen?
Ja, die gibt es. Zu der Entwicklung von antisozialen Persönlichkeiten, also solchen Menschen, die gesellschaftliche Normen missachten, gibt es zahlreiche Untersuchungen. 60 Prozent macht dabei wohl die genetische Vererbung aus, 40 Prozent beeinflussen Umweltfaktoren. Wenn schon die Mutter antisoziale Tendenzen zeigt, ist das häusliche Umfeld auch gleichzeitig nicht das beste. Es gibt aber Serientäter, die in einem geordneten Elternhaus aufgewachsen sind, wie zum Beispiel Jeffrey Dahmer, ein amerikanischer Serienmörder der 80er und 90er Jahre. Seine Eltern haben sich zwar scheiden lassen, aber da war er bereits volljährig und hatte schon mehrere Morde begangen.
Fallen die Täter schon in der Kindheit und Jugend durch ihr Verhalten auf?
Bei 50 Prozent der Gefängnisinsassen mit antisozialen Persönlichkeitsstörungen (APS)** lag in früher Kindheit das ADHS-Syndrom vor. Im Alltag fielen sie als Kinder zuerst durch Gewalt gegenüber anderen Kindern auf. Später kam häufig noch sexuelle Belästigung von Mitschülerinnen dazu. Ein typisches Phänomen ist auch die Tierquälerei. Menschen kommen für sie so früh noch nicht infrage als Opfer.
Wann wird aus den ersten Quälereien die Lust zum Morden?
Es geht diesen Menschen in erster Linie um Machtausübung. Jack Unterweger hatte zum Beispiel mehrmals pro Tag einvernehmlichen Sex mit befreundeten Frauen – keine von diesen hat er ermordet. Seine Opfer waren ihm völlig fremde Prostituierte, mit denen er nicht geschlafen hatte. Prostituierte hat er wahrscheinlich nur deswegen gewählt, weil man mit ihnen leicht in einen einsamen Wald fahren konnte. Es ging ihm nur um den endgültigen Machtkick. Der Anblick von wehrlosen Opfern auf dem Boden hat ihm Befriedigung verschafft. Der Mörder Jeffrey Dahmer wollte seine männlichen Opfer zu willenlosen Zombies machen und aß sie am Ende auf. Anfangs sind solche Verbrechen vor allem Phantasien. Nach der ersten Tat entsteht aber ein so großes Wohlgefühl, dass der Wunsch nach mehr aufkommt. Es gibt wahrscheinlich einige Menschen, die solche Phantasien ein Leben lang in sich tragen, aber nie in die Tat umsetzen.
Lässt sich das Bedürfnis nach weiteren Morden mit einer Drogensucht vergleichen?
Ja, auf neurobiologischer Ebene ist das vergleichbar. Ein Mörder hat einmal gesagt, das Töten wäre wie das Schneiden von Fußnägeln. Am Anfang macht man es widerwillig, später will man nicht mehr damit aufhören. Das Gefühl von Macht über ein wehrloses Opfer ist so stark, dass sich Serientäter kaum noch zurückhalten können.
Schlummert in jedem von uns etwas Böses?
In der Geschichte der Menschheit wurden Dominanz, Macht und Aggressivität immer durch eine Endorphinausschüttung im Gehirn belohnt. Wer bei der Mammutjagd besonders mutig war, wurde schneller Anführer, bekam die schönsten Frauen und konnte so seine Gene in der Welt verbreiten. Antisozial zu sein ging mit einem Überlebens- und Fortpflanzungsvorteil einher. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Ich glaube trotzdem nicht, dass jeder von uns etwas Böses in sich trägt. Es braucht schon Extremsituationen wie Kriege oder schwere Krankheiten, um "normale" Menschen zu Mördern werden zu lassen.
Wie hoch ist die Frauenquote unter Serienmördern?
Frauen begehen nur sechs bis zehn Prozent aller Gewaltverbrechen. In diesem Rahmen bewegt sich auch die Frauenquote unter Serienmördern. Dieser geringe Anteil lässt sich entwicklungsgeschichtlich erklären. Die Aufgaben der Frauen waren eher das Versorgen der Kinder, das Sammeln und Verarbeiten der Nahrung. Die Fähigkeit zu jagen oder Menschen zu töten war dagegen eher zweitrangig.
Was fasziniert Frauen an den Tätern? Gerade Serienmörder bekommen ungewöhnlich viele Liebeserklärungen im Gefängnis.
Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Einer davon ist das sogenannte "Rotkäppchen-Syndrom": Diese Frauen empfinden eine krankhafte Faszination für das Animalische. Ihre Liebe setzt das intelligente Gehirn außer Kraft, und die Frauen suchen nur noch nach starken Alphamännnchen. Eine weitere Erklärung ist das "Amiga-Syndrom" ("Aber meiner ist ganz anders"). Die grausamen Taten des Mörders schreiben die Frauen dabei unglückseligen Umständen zu. Liebe oder Glaube könnten ihn retten und aus ihm wieder ein rechtschaffenes Wesen machen, so ihre Überzeugung.
Opfer von Psychopathen, die gefangengehalten wurden, reden manchmal von "unsichtbaren Handschellen", die jede Flucht verhindert haben. Warum bleibt diese Verbundenheit zum Peiniger?
Die Opfer leiden unter den ständigen Quälereien der Psychopathen. Diese tägliche Angst um das eigene Leben sorgt für eine drastische Verschiebung der Wahrnehmung. Es entstehen starke Bindungsgefühle zum Täter, vergleichbar mit dem Verhältnis zwischen Säugling und Mutter. Auch ein Baby ist wütend, wenn die Mutter davon geht – das Baby kann ja nicht wissen, dass sie nur die Milchflasche erwärmen will. Gleichzeitig bleibt sie eine wichtige Person, die für das Essen und damit für das Überleben sorgt. Die Todesangst der Opfer macht auch den Täter zu einem Versorger, der ihnen Essen bringt. Einfach ausgedrückt lautet die Strategie der Opfer: Quälereien kann man überleben, den Hungertod nicht.
*Personen mit Dissozialer oder Antisozialer Persönlichkeitsstörung "zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl sich selbst als auch ihren Angehörigen schaden. Aufgrund ihrer Tendenz zu Gewalttätigkeit und delinquentem Verhalten stellen sie auch eine Gefahr für die Gesellschaft dar." (Quelle: Forensisch-Psychiatrischer Dienst der Universität Bern)
**Antisozial sein bedeutet, dass man sich "nicht an allgemeine soziale Normen angepasst" verhält. (Quelle: Duden)
Birk Grüling lebt und arbeitet als freier Journalist am Rande von Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Reportagen und Interviews rund um Wissenschaft, Gesellschaft und Popkultur.
Links:
Über die Frage, ob das eigene Verhalten Veranlagung ist oder von der Umwelt geprägt: im fluter-Heft "Familie"
Eine APuZ zum Thema Sozialisation
Eine "Planet Wissen"-Sendung zu Serienmördern
Die Sendung "scobel" auf 3sat über die Faszination durch das Böse
Informationsportal über den wohl bekanntesten Serienmörder Jack The Ripper