Wer sind Sinti und Roma?
Angehörige zweier Minderheiten, die sich in Sprachen, Religionen, Gewohnheiten und Lebensmittelpunkten sehr unterscheiden. Dabei sind Sinti und Roma Eigenbezeichnungen. Sie stehen für den politischen Widerstand gegen den rassistischen Begriff Zigeuner*, mit dem Sinti und Roma fremdbezeichnet, fremdbestimmt und lange entmenschlicht wurden. In Deutschland leben wohl mindestens 100.000 Sinti und Roma. Die Zahl ist nur geschätzt, weil in Deutschland nach dem Ende des Naziregimes keine Daten auf ethnischer Basis erhoben werden dürfen.
* Mit dem Durchstreichen des Begriffs Zigeuner weisen viele Medien und wissenschaftliche Veröffentlichungen auf den rassistischen Gebrauch des Begriffs hin.
Wieso liest man häufig Sinti:ze und Rom:nja?
Genau genommen bezeichnet „Sinti und Roma“ nur Männer. Dabei gibt es für beide Gruppen eigene männliche und weibliche Sprachformen. Gegendert wird häufig mit Sinti:ze und Rom:nja. (Auch unser Autor zieht diese Schreibweise vor.)
Sintiza: weiblich, Einzahl
Sinto: männlich, Einzahl
Sintize: weiblich, Mehrzahl
Sinti: männlich, Mehrzahl
Romni: weiblich, Einzahl
Rom: männlich, Einzahl
Romnja: weiblich, Mehrzahl
Roma: männlich, Mehrzahl
Wer sind Sinti/Sintize?
Sinti:ze haben ihren Lebensmittelpunkt vorwiegend in West- und Mitteleuropa. Historiker:innen nehmen an, dass sich die Eigenbezeichnung Sinti/Sintize aus dem Wort „Sindh“ ableitet: der altindische Name des Flusses Indus, aus dem sich auch das Wort Hindu herleitet. (Sinti:ze sind aber keine Inder, ihre Vorfahren leben nachweislich seit Jahrhunderten in Europa.)
Wer sind Roma/Romnja?
Rom:nja haben ihren Lebensmittelpunkt oftmals in Osteuropa. Die Eigenbezeichnung Rom:nja wird von vielen Organisationen in der Regel als europäischer Oberbegriff verwendet.
Haben Sinti und Roma ein eigenes Land?
Wie bei vielen Menschen ist das Land der Sinti:ze und Rom:nja der Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Sie sind somit auch Teil Deutschlands (auch wenn das oft verkannt wird).
Was ist Romanes?
Die Sprache von Sinti:ze und Rom:nja. Romanes geht auf das altindische Sanskrit zurück, die älteste noch gesprochene Sprache. Sprachvergleiche haben bewiesen, dass das Romanes mit Hindi, das in den meisten nord- und zentralindischen Staaten gesprochen wird, und dem indogermanischen Urdu verwandt ist. Über die Jahrhunderte haben sich aber regional unterschiedliche Sprachvarianten entwickelt. In Deutschland betrachten viele Sinti:ze und Rom:nja gleichermaßen Deutsch und Romanes als ihre Muttersprachen.
Wer sind Gadje?
Als Gadje werden im Romanes Menschen bezeichnet, die nicht Sinti:ze oder Rom:nja sind. Die Minderheiten nutzen den Begriff, um sich abzugrenzen – wie andere Gruppen auch (bspw. Goj für Nichtjuden und Nichtjüdinnen).
Was ist Porajmos?
Porajmos ist Romanes und heißt „das alles Verschlingende“. Damit ist der nationalsozialistische Genozid an Sinti:ze und Rom:nja gemeint. Der Völkermord und die damalige Verfolgung werden heute auch Samudaripen (sinngemäß „das vollständig Mordende“) genannt. Etwa 500.000 europäische Sinti:ze und Rom:nja wurden damals durch die Nationalsozialist:innen (sowie verbündete Regierungen und Bewegungen) systematisch ermordet. Die Bundesrepublik Deutschland hat das erst 1982, mehr als 35 Jahre später, offiziell als Völkermord anerkannt.
Wie ist die Situation der Sinti und Roma in Deutschland?
Sehr abhängig vom Status der jeweiligen Sinti:ze und Rom:nja. So ist etwa ein Rom mit deutscher Staatsbürgerschaft in der Regel bessergestellt als ein osteuropäischer Rom mit vorübergehendem Aufenthaltstitel, weil er beispielsweise wählen oder Beamter werden darf. Generell legen einzelne Statistiken aber schon länger nahe, dass Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland diskriminiert werden. Eine Studie des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt zum Beispiel, dass 19 Prozent der Deutschen dezidiert negativ gegen Sinti eingestellt sind –gegenüber keiner anderen Gruppe zeige sich „ein so durchgehendes Bild der Ablehnung“. Erst Mitte Juli 2021 stellte das Bundesinnenministerium den Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus vor. Der erklärt auf mehr als 800 Seiten das Spektrum der vergangenen Verfolgung und fortbestehenden Diskriminierung – etwa am Arbeitsplatz und bei der Wohnungssuche, in Schulen und Behörden, durch Sozialarbeiter:innen, Ärzt:innen und Medien.
Warum wollen manche den Rassismus gegen Sinti und Roma nicht mehr Antiziganismus nennen?
Der Begriff wird oft in der Bildungs- oder Bürgerrechtsarbeit und selbst von einigen Roma-Organisationen verwendet, auch um die enthaltenen rassistischen Zuschreibungen sichtbar zu machen. Aber der Begriff ist umstritten, weil er eine Fremdbezeichnung ist und den rassistischen Begriff Zigeuner* reproduziert. Mit dieser Kritik wurden früh auch Gegenvorschläge unterbreitet, etwa Antiromaismus, Gadje-Rassismus oder einfach Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja. Expert:innen wie die Bürgerrechtlerin und Wissenschaftlerin Isidora Randjelović betonen, wie wichtig es sei, dass Sinti:ze und Rom:nja die Debatte um den richtigen Begriff selbst vorantreiben: Nur sie verfügen über Wissen, Argumente und Konzepte, die die Komplexität der gegen sie gerichteten Gewalt genau beschreiben und analysieren können.
Was bedeutet der Status der anerkannten nationalen Minderheit für Sinti und Roma?
Deutsche Sinti:ze und Rom:nja sind eine anerkannte nationale Minderheit. Heißt: Sie haben ein Recht auf Bekenntnisfreiheit. Sie bestimmen also selbst, ob sie sich als Sinti:ze und/oder Rom:nja bekennen wollen. Niemand darf verlangen, dass sie sich dieser ethnischen Gruppe zuordnen. Heißt auch: Die Bundesregierung erkennt an, dass Sinti:ze und Rom:nja hier seit Jahrhunderten heimisch sind. Zu den nationalen Minderheiten gehören auch Fries:innen, Dän:innen und Sorb:innen, alle vier Gruppen organisieren sich im sogenannten Minderheitenrat.
Merfin Demir wurde 1980 als Sohn einer muslimischen Romnja in Mazedonien geboren. Er ist Pädagoge, Vorsitzender von Terno Drom, einer Roma-Jugendorganisation in Nordrhein-Westfalen, und arbeitet der oben erwähnten Unabhängigen Kommission Antiziganismus zu.