Thema – Körper

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You look so beautiful

Erst waren es Filter, die das digitale Selbst verschönerten. Mittlerweile sind es immer öfter Operationen. Wie die Sozialen Medien unser Aussehen verändern

Beauty Recovery Room

Im Jahr 2010, als Instagram startete, hatten die wenigsten Handys gute Kameras, Fotos waren krisselig, schlecht belichtet. Die Insta-Filter sollen sie verschönern, nicht nur Landschaftsbilder und Schnappschüsse vom Essen, sondern auch Selfies. Pickel werden seitdem kaschiert, Unreinheiten bereinigt, Augen und Lippen vergrößert – und die Gesichter auf Instagram immer ähnlicher: makellose Haut, lange Wimpern, hohe Wangenknochen, schmale Nase, volle Lippen, große Augen. Das „Instagram Face“ nennt es der Promi-Make-up-Artist Colby Smith. Es ist das Gesicht, das Influencerinnen wie Kylie Jenner und Kim Kardashian tragen. Und es ist Vorbild für viele mehr.

Wie sehr die digitale Welt die analoge beeinflusst, zeigt sich bereits an einem einzigen Wort: „instagrammable“. Laut dem „Cambridge Dictionary“ ist „instagrammable“, was attraktiv oder interessant genug ist, um fotografiert und auf Instagram veröffentlicht zu werden. Restaurants und Orte werben damit und werden damit beworben, Buchcover werden entsprechend gestaltet, Gesichter so fotografiert, dass sie möglichst gut zur Geltung kommen, der Körper so verändert, dass er in den Sozialen Medien präsentiert werden kann.

Längst reichen vielen die Filter nicht mehr aus, sie wollen auch im echten Leben aussehen wie im digitalen Raum – oder besser: wie die erfolgreichsten Influencerinnen. Neben vollen Lippen und einer Wespentaille wurde auch ein besonders praller Po zum neuen Schönheitsideal – und damit eine besonders gefährliche Operation zum Trend: Bei der „Brazilian Butt Lift“ genannten Aufpolsterung mit Eigenfett kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Todesfällen. 

Beauty Recovery Room
Die südkoreanische Fotografin Ji Yeo hatte schon einige Schönheitsoperationen hinter sich, als sie sich nach dem Sinn des Ganzen fragte. Trotz der Prozeduren hatte sie keinen Frieden mit ihrem Körper geschlossen. Für ihre Fotoserie „Beauty Recovery Room“ fragte sie Frauen, ob sie sich direkt nach der Operation fotografieren lassen würden.

„Zuckerberg und Co. haben Monster erschaffen“ und „Influencer sind eine Gefahr für unsere Gesellschaft“, sagt Werner Mang, der seit mehr als 30 Jahren Schönheitsoperationen durchführt. In den vergangenen 20 Jahren hätten sich die Wünsche der Patientinnen und Patienten stark gewandelt, sagt er – vor allem durch das Internet. Mang erzählt von einem zwölfjährigen Mädchen, das mit einem stark bearbeiteten Selfie zu ihm kam, um sein Gesicht dem Bild anpassen zu lassen. So was sei leider kein Einzelfall. Rund zehn Prozent der Anfragenden schicke er wieder nach Hause, sagt Mang. Weil sie entweder zu jung seien – oder die Erwartungen zu hoch sind.

Deutschland ist das Land mit den drittmeisten Schönheitsoperationen

Es muss nicht immer gleich der Brazilian Butt Lift sein: Weltweit führten Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2020 mehr als 14 Millionen nicht- oder minimalinvasive Eingriffe durch, letztere sind Operationen, die mit kleinen Schnitten und leichten Verletzungen gemacht werden. Darunter waren Lippenaufspritzungen, aber auch über sechs Millionen Botoxbehandlungen – 26 Prozent mehr als noch vier Jahre zuvor. Auch in Deutschland zählen Botoxbehandlungen zu den häufigsten Eingriffen. Überhaupt stand Deutschland in puncto Schönheitsoperationen 2020 weltweit an dritter Stelle.

2019 befragte die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie 1.333 Menschen zu ihrer Motivation, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen. 24 Prozent wollten ihr Aussehen einem ästhetischen Vorbild annähern, aber nur 2,3 Prozent gaben an, die Sozialen Medien hätten sie bei der Entscheidung beeinflusst. Doch auf die Frage, ob sie so aussehen wollen wie auf ihren eigenen, mit Bildbearbeitungsprogrammen bearbeiteten Fotos und Selfies, antworteten 14 Prozent der Befragten mit „Ja“. 

Beauty Recovery Room
In einer Zeit, in der die Sozialen Medien mit ihren geschönten Bildern den Druck auf Frauen, gut auszusehen, erhöhen, zeigt Ji Yeo die wunden Körper als Statement gegen den Schönheitswahn, der nicht nur in ihrer Heimat besteht.

Die gestörte Wahrnehmung des eigenen Körperbilds nennen Experten „Dysmorphophobie“. Das bedeutet: Menschen empfinden sich als hässlich, obwohl sie keine auffälligen Schönheitsmakel haben. Sind Filter die Ur­sache für diese gestörte Selbstwahr­nehmung, sprechen Ärzte auch von „Snapchat-Dysmorphophobie“. Denn auch die Filterfunktionen von Sozialen Medien können solch eine gestörte Körperwahrnehmung auslösen, etwa wenn sich eine Person nicht mehr im Spiegel anschauen kann, weil das Bild nicht dem gefilterten Selfie in den Sozialen Medien entspricht.

Irgendwann erscheinen nicht mehr die Filter unnormal, sondern alles andere

Claus-Christian Carbon ist Psychologe an der Universität Bamberg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Wahrnehmungspsychologie. „Wenn ich auf Dauer stark veränderte Personen sehe, sagen wir Menschen mit stark vergrößerten Lippen, dann verschiebt sich mein Empfinden von Attraktivität in diese Richtung – und jede Person mit normalen Lippen werde ich als schmallippig wahrnehmen. Wenige Minuten des Betrachtens können diesen Effekt auslösen – und er kann wochenlang anhalten.“ Wer sich auf Dauer sein stark verändertes Selbst ansehe, für den werde dieses Selbst zum neuen Normal. Ein neues Normal, das sich immer noch weiter verbessern lässt.

„Wer sich zu lange in der Filterblase aufhält, der nimmt sie nicht mehr wahr“, sagt Carbon. „Dann erscheinen nicht mehr die Filter merkwürdig und unnormal, sondern alles andere.“ Doch auch dieser Trend wird vorbeigehen, ist sich Carbon sicher. „Viele Menschen sehnen sich nach Authentizität.“ Auch auf Instagram: Tatsächlich gibt es auch Tausende Beiträge unter Hashtags wie #realvsfake, #normalizenormalbodies, #realskin von ungefilterten Hautunreinheiten, von Aknenarben und Falten.

Und Bilder von echten Menschen  – so, wie sie in Wirklichkeit aussehen.

Fotos: Ji Yeo

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.