„Vor rechten Demonstrationen wägen wir ab, ob wir Sicherheitsleute benötigen. Normale journalistische Arbeit wird eingeschränkt“
Fabian Klaus, 37, Journalist, Weimar
Ich bin seit 21 Jahren Journalist bei der „Thüringischen Landeszeitung“. Meine Schwerpunkte: Innenpolitik, Polizei und Extremismus – links wie rechts. Seit ich mit 16 auf dem Fahrrad zu meinen ersten Terminen gefahren bin, hat sich viel verändert. Das Land ist deutlich polarisierter. Die AfD, die Flüchtlingskrise 2015 und Corona haben die Stimmung verändert. 2006 habe ich schon über eine NPD-Veranstaltung im Eichsfeld berichtet, auf der zwar Menschenhass verbreitet wurde, aber Journalisten noch nicht körperlich bedroht worden sind.
Heute ist das anders. Ein Beispiel von einer AfD-Demonstration in Erfurt im April 2023: Nach der Kundgebung vor der Staatskanzlei setzt sich der Zug in Bewegung. Ich begleite mit der Kamera, bin also unmittelbar als Journalist zu erkennen. „Lügenpresse“, „Nimm die Kamera runter!“, wird mir aus dem Demonstrationszug entgegengepöbelt. Plötzlich steht ein Typ vor meiner Linse, droht mir und versucht, mich über ein Brückengeländer zu stoßen. Zum Glück hatte ich einen Sicherheitsmann dabei, zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben – als Vorsichtsmaßnahme.
Einordnung der AfD
Die Einschätzung der AfD ist Gegenstand politischer Kontroversen und juristischer Auseinandersetzungen. In der Wissenschaft wird die Partei in das breite Spektrum der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteienfamilie eingeordnet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) führt die AfD und ihre Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ bundesweit als rechtsextremen Verdachtsfall. Die AfD klagte gegen diese Einstufung. In einem ersten Urteil hat das Verwaltungsgericht Köln die Einordnung des BfV bestätigt, wogegen die AfD in Berufung ging. Diese wurde im Mai 2024 vom Oberverwaltungsgericht Münster abgelehnt. Die Partei kann jetzt noch eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen.
In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen stuft der jeweilige Landesverfassungsschutz die Partei als „erwiesen“ bzw. „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein. In Sachsen und Sachsen-Anhalt geht die AfD bereits juristisch gegen die Einstufung vor. In Thüringen hat die AfD Klage gegen einzelne Passagen des Thüringer Verfassungsschutzberichts von 2021 eingereicht. Allerdings klagt der Landesverband nicht gegen die Einstufung als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“. In einigen anderen Bundesländern gelten die jeweiligen Landesverbände der Partei derzeit als Verdachtsfall.
Einige Wochen zuvor hatten mir Rechtsextremisten auf einer ihrer Veranstaltungen öffentlich gedroht. Seitdem wägen wir vor Demonstrationen ab, ob wir Sicherheitsleute benötigen. Normale journalistische Arbeit, also die Dokumentation einer Demo, wird eingeschränkt. Das ist Alltag geworden.
Vor allem auf rechten Demos und den sogenannten „Montagsspaziergängen“, die aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen entstanden sind, passiert das mir und meinen Kolleginnen und Kollegen immer wieder. Da, wo die AfD stark ist, zum Beispiel in Gera, ist meiner Erfahrung nach auch der Protest gegen die Medien stark. Ich glaube aber, dass das nicht nur ein Phänomen in Thüringen ist, sondern sich in ganz Deutschland zeigt.
Die AfD hat in Teilen Thüringens keinerlei Berührungsängste mit Rechtsradikalen. Zwei Beispiele: In Gera steht Wolfgang Lauerwald, ein AfD-Vertreter im Thüringer Landtag und im Stadtrat von Gera, regelmäßig bei den Demonstrationen des Rechtsextremisten Christian Klar auf der Bühne. Auch andere AfD-Stadtratsmitglieder unterstützen Christian Klars Demonstrationen.
Dann gibt es Verbindungen im Saale-Orla-Kreis, wo der über sein dortiges Direktmandat in den Thüringer Landtag eingezogene Uwe Thrum schon hinter Bannern der Initiative „Freie Thüringer“ gelaufen ist. Die Gruppierung wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Es gibt auch Bilder von Thrum, auf denen er mit Reichsbürgern wie zum Beispiel dem selbst ernannten „König“ Heinrich XIII. Prinz Reuß zu sehen ist, der gerade als Kopf einer mutmaßlich terroristischen Reichsbürgergruppe angeklagt wurde.
Und das sind nur zwei Beispiele, es gibt viele weitere, die ich nennen könnte. Diese und weitere personelle Verwebungen sind einer der Gründe, warum der Verfassungsschutz die Thüringer AfD als erwiesen extremistisch einstuft. Dazu kommen rechtsextreme Äußerungen, die immer wieder fallen – und das nicht nur vom Thüringer AfD-Chef Björn Höcke.
Wie sich meine Arbeit in den nächsten Jahren verändern wird, kann ich nicht einschätzen. Ich glaube aber, dass es stark damit zusammenhängt, inwiefern die Leute das Gefühl haben, dass ihnen das bisschen Wohlstand, das sie sich erarbeitet haben, noch bleibt. Und wir als Journalisten müssen noch mehr als ohnehin schon darauf achten, transparent zu berichten. Darstellen und erklären, was passiert – aber den Leuten nicht das Gefühl geben, dass wir ihnen eine Meinung aufdrücken.
„Die Menschen, die uns nicht hier haben möchten, sind mehr geworden und radikaler als vorher“
Nour Al Zoubi, 25, aus Syrien Geflüchtete, Gera
Ich bin aus Syrien über Jordanien nach Deutschland geflüchtet. 2015 kam ich per Familiennachzug nach Gera. Inzwischen habe ich mein Studium der Sozialen Arbeit abgeschlossen und bin seit zwei Jahren deutsche Staatsbürgerin.
Damals, 2015, war das Leben für uns in Gera sehr hart. Es gab nur rund 50 Syrer in der Stadt, fast nur Männer. Oft wurden wir beschimpft. Einmal standen meine Mutter, meine Schwestern und ich an einer Bushaltestelle, eine von uns trug keinen Hijab. Ein Mann kam zu uns und sagte: „Die ohne Kopftuch kann bleiben, die anderen sollen woanders hingehen.“
Nach elf Monaten gingen wir tatsächlich: nach Bochum. Dort waren wir nicht fremd, denn die Migrationsgeschichte in Nordrhein-Westfalen reicht viel weiter zurück. Natürlich haben wir dort auch mal Beschimpfungen gehört, aber selten, während es in Gera auf der Tagesordnung stand.
Noch im Sprachkurs in Gera lernte ich Ahmad kennen. Wir hielten Kontakt, und er überzeugte mich, nach Gera zurückzukommen. Er sagte: Es hat sich viel verändert. Wir sind mittlerweile verheiratet und haben einen kleinen Sohn. Und ja: Es hat sich viel verändert. 2015 war der Arbeitsmarkt für Menschen mit Migrationshintergrund schwer zugänglich, heute arbeiten sie als Verkäufer, als Busfahrer, in den Kitas, bei staatlichen Einrichtungen.
„Ich wähle die Orte, an die ich gehe, sorgfältig aus“
Es gibt mittlerweile über 2.500 Syrer in Gera und insgesamt über 13.000 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, bei rund 100.000 Einwohnern. Ich habe nun auch mehr deutsche Bekannte und Freunde. Das Zusammenleben ist leichter geworden, genau wie mein Leben als muslimisch gelesene Frau. Damals traute ich mich nicht, alleine in einem Café zu sitzen. Heute gehört das zu meinem Alltag. Allerdings wähle ich die Orte, an die ich gehe, sorgfältig aus.
Gleichzeitig hat sich der Hass gegen Ausländer verschlimmert. Die Menschen, die uns nicht hier haben möchten, sind mehr geworden und radikaler als vorher. Ein Beispiel: Ich saß nachmittags in der Straßenbahn, auf dem Heimweg von der Hochschule. Da kam ein betrunkener Mann in meinen Vierer und baute sich vor mir auf. Eine Hand auf dem Sitz, eine auf meiner Sitzlehne – so, dass ich nicht aufstehen konnte. Er sagte, ich solle Deutschland verlassen. Irgendwann erhob er die Hand, um zum Schlag auszuholen. Da hielt ich schnell mein Handy hoch und sagte, ich würde jetzt die Polizei rufen. Er ließ von mir ab und stieg an der nächsten Haltstelle aus.
Das Schlimmste daran? Die Menschen um mich herum schauten nur zu. Egal welches Problem, ich habe das Gefühl, wir sind schuld, „die Ausländer, die Migranten, die Flüchtlinge, die jungen, gewalttätigen Männer“. Sie sehen mich als Mensch zweiter Klasse. Dabei bin ich ein aktiver Teil der Gesellschaft, arbeite in einer Migrationsberatungsstelle und setze mich für meine Mitmenschen ein.
Die zunehmend feindliche Stimmung, die ich gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund wie mir empfinde, verbinde ich auch mit dem Erstarken der AfD. Seit sie bei der Kommunalwahl 2019 fast 29 Prozent der Stimmen holte, stellt die AfD die größte Fraktion im Stadtrat von Gera. Zum Glück dürfen wir dank unserer Einbürgerung jetzt wählen. Und das werden wir!
„Sollte eine rechte Regierung in Thüringen zustande kommen, könnte sie unserem Queeren Zentrum die Mittel streichen“
Felizia Möhle, 23, trans Frau, Erfurt
Ich bin in Niedersachsen aufgewachsen, seit drei Jahren lebe ich in Thüringen. Zwar wusste ich vorher schon, dass ich trans bin, meine Transition begann aber mit meinem Umzug nach Erfurt. Neue Stadt, neuer Start. Für mich ist das Leben als trans Frau in Erfurt recht entspannt. Allerdings bewege ich mich in einer Bubble: An der Uni, wo ich Staatswissenschaften studiere, sind die Menschen sehr liberal. Sicher ist das im ländlichen Raum oder in kleineren Städten wie Gera oder Eisenach anders. Dort gab es in der Vergangenheit unter anderem transfeindliche Angriffe beim Christopher Street Day.
Ich arbeite auch in einer Beratungsstelle im Queeren Zentrum Erfurt. Zu uns kommen ganz unterschiedliche Menschen. Beispielsweise Arbeitstätige, die erzählen, dass ihre Namensänderung vom Arbeitgeber nicht anerkannt wird. Oder junge trans Personen, die von ihren Eltern verstoßen wurden. Sie haben finanzielle Schwierigkeiten, weil ihnen der Rückhalt fehlt, um ihre Transition zu finanzieren. Oft kämpfen sie gegen Depressionen. Manch andere werden auf der Straße angegriffen oder angespuckt. Wir fangen diese Menschen auf. Es kommen auch sehr junge Menschen zu uns, die gerade erst in die Pubertät gekommen sind und erste Fragen haben. Oder auch Kinder, deren Eltern trans Personen sind.
Auch ältere Menschen sind Teil unserer Gemeinschaft, allerdings erreichen wir sie schlechter, weil wir hauptsächlich über die sozialen Medien kommunizieren. Menschen im ländlichen Raum erreichen wir ebenfalls schlecht, allein schon wegen der räumlichen Entfernung. Hier im Bundesland gibt es nur wenige Stellen, an die sich queere Menschen wenden können. In Niedersachsen gibt es in jeder Planungsregion ein queeres Zentrum. Das wünsche ich mir auch für Thüringen.
„Die AfD ist eine queer- und transfeindliche Partei“
Wir werden staatlich finanziert, bekommen Geld vom Land Thüringen und der Stadt Erfurt. Mit den Geldern des „Thüringer Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt“ finanzieren wir das Queere Zentrum in Erfurt und die LGBTQ-Beratungsstelle in Jena. Deshalb schaue ich mit großer Unsicherheit auf die Wahlen. Die AfD ist eine grundlegend queer- und transfeindliche Partei. Sie will zum Beispiel die „Ehe für alle“ wieder abschaffen und wendet sich auch gegen das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, das für viele trans Personen wichtig ist.
Noch deutlicher zeigt sich die Queerfeindlichkeit der Partei in Argumentationen und Formulierungen, beispielsweise wenn von einem Kulturkampf gegen die von der AfD so bezeichntete „Genderideologie“ gesprochen wird. Die AfD zeigt sich auch immer wieder mit queerfeindlichen Symbolen: Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, Björn Höcke, sympathisiert beispielsweise öffentlich mit der Stolzmonat-Bewegung, indem er deren Flagge auf seinem Profilbild in den sozialen Medien zeigt. Die Stolzmonat-Bewegung ist eine rechte Gegenbewegung zum Pride Month. Und im Thüringer Landtag stellte die AfD 2022 einen Verbotsantrag gegen Pubertätsblocker, die für junge trans Menschen wichtig sein können. Darin schreibt die Partei, die Einnahme der Medikamente würde von der Bundesregierung propagiert.
Sollte eine rechte Regierung zustande kommen, würde sie uns – davon gehen wir aus – die finanziellen Mittel streichen. Wir müssten wahrscheinlich unser Zentrum schließen und unsere Angebote einstellen. Ich weiß noch, wie wichtig für mich der Austausch war, als ich mit der Transition begann. Für die nächste Generation queerer Menschen wäre das schwerwiegend, fürchte ich.
Titelbild: Jens Schlueter/Getty Images