Für ihr Buch „The President of the United States on Screen“ hat sich die Grafikdesignerin Lea N. Michel 164 Filme und Serien angesehen und das Auftreten der darin vorkommenden US-Präsidenten festgehalten – in einer 463 Seiten starken Screenshot-Sammlung mit 240 Kategorien. Wir haben uns mit Michel über die fließenden Grenzen zwischen Realität und Fiktion und die mediale Inszenierung von Donald Trump unterhalten.
fluter.de: Was hat dich an der Figur des US-Präsidenten so sehr interessiert, dass du 164 Filme und Serien nach ihr durchforstet hast?
Lea N. Michel: Das Buch ist aus meiner Diplomarbeit entstanden, für die ich die Beziehung zwischen Fakt und Fiktion untersuchen wollte. Und natürlich sollte es sich dabei für mich als Grafikdesignerin um etwas Visuelles drehen: Der US-amerikanische Präsident gilt als mächtigster Mensch der Welt, es gibt ihn sowohl fiktionalisiert als auch in der Realität. Gleichzeitig tritt alle vier bis acht Jahre ein neuer Mensch in diese Rolle. Auf beiden Ebenen, sowohl im Film als auch in echt, ist die visuelle Inszenierung hochinteressant. Und das war meine Arbeitshypothese: Politische Realität und filmische Fiktion können sich wechselseitig beeinflussen.
Nun hast du ja keine politikwissenschaftliche Studie durchgeführt, sondern Bildmaterial ausgewertet. Wie konntest du da eine Wechselwirkung zwischen Realität und Fiktion überhaupt „nachweisen“?
Da es sich eben um keine wissenschaftliche Arbeit handelt, geht das immer nur annäherungsweise. Die realen Präsidenten geben zum Beispiel viel vor, was den Handlungsrahmen oder die Kleidung – also etwa Anzug, Krawatte und Amerikaflaggen-Anstecker – betrifft. Und die ikonischen „Standardmotive“ der US-Präsidenten, etwa die Rede zur Lage der Nation, Telefonate im Oval Office oder die typischen Pressekonferenz-Auftritte sind die Kategorien im Buch mit den meisten Beispielen, die sich im Kino am zuverlässigsten wiederfinden: Wenn ein US-Präsident in einem Film auftritt, wird er mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann auch mal im Oval Office telefonieren.
Aus Hunderten Screenshot-Schnipseln, die du gesammelt hast, hast du zunächst eine Handvoll Überkategorien gebildet: „Vater & Ehemann“, „Der Held“, „Der Clown“, „Der Bösewicht“ und so weiter. Nehmen wir mal die erste Kategorie, die „Vaterrolle“: Wie haben da in den vergangenen Jahren Filme die Wahrnehmung der realen Präsidenten beeinflusst?
Was auf jeden Fall auffällt, ist, dass es ab den Neunzigern sehr viele Filme gab, in denen die Tochter der jeweiligen Film-Präsidenten eine hervorgehobene Rolle spielte, 1998 und 2004 gab es sogar eigene Filme nur über die Präsidententöchter namens „My Date With The President’s Daughter“ und „The First Daughter“. Der Präsident trat jeweils nur als beschützender, liebender Vater auf, weniger als Staatenlenker. Vielleicht hatte das ja tatsächlich eine Auswirkung auf die Inszenierung der darauffolgenden Präsidenten. Man kann ja durchaus festhalten, dass die Präsidenten-Töchter in den vergangenen Jahrzehnten im Fokus standen, derzeit etwa Ivanka Trump. Obamas Töchter waren in ihrer Kindheit und Jugend auch absolut sichtbar. Trumps Sohn Barron hingegen tritt medial so gut wie nie in Erscheinung. Für das Klischee des väterlichen Beschützers scheint sich eine Tochter einfach besser anzubieten.
Wo ist dir der umgekehrte Effekt aufgefallen: also dass das reale Bild eines Präsidenten eine Wirkung auf einen Film-Präsidenten hatte?
Von den bereits erwähnten allgemeinen Handlungen, die den Präsidenten im Film erst als Präsidenten erkennbar machen, mal abgesehen, gibt es auch Momente, in denen der Einfluss der Realität überdeutlich wird: Das sehr bekannte Foto von Barack Obama aus dem Jahr 2011, der im „Situation Room“ die Erschießung Osama bin Ladens verfolgt, wurde zum Beispiel mit dem genau gleichen Bildaufbau in der Serie „House of Cards“ übernommen. Interessanterweise dort allerdings mit Robin Wright als Präsidentin Claire Underwood.
Neben bekannten Präsidenten-Stereotypen, wie etwa „an seinem Schreibtisch im Oval Office sitzend“, finden sich in den 240 Kategorien deines Buches auch eher abgefahrene Situationen, wie etwa „seine Nase abgeleckt bekommen“. Wenn es so abseitig und kleinteilig wird, wie findet man dann überhaupt zum Ende?
Ich habe mir ja in einem ersten Schritt die Filme angeschaut, dann Tausende Screenshots gemacht und aus denen einzelne Situationen herausgeschrieben. Dabei habe ich aber tatsächlich sehr wenig ausgesiebt, am Ende ist die Anzahl von Situationen, in denen ein US-Präsident in Filmen dargestellt wird, erstaunlich überschaubar. Der Handlungsspielraum des Präsidenten ist dramaturgisch sehr begrenzt. Und wenn es da eine Szene gibt, in der jemand dem Präsidenten die Nase ableckt, dann nehme ich die eben mit auf.
Wenn man sich wie du die Präsidenten-Inszenierungen in 164 Filmen angesehen hat, bemerkt man dann beim Nachrichtenschauen manchmal Szenen, in denen sich Film und Realität zu überschneiden scheinen?
Ja, ein total klassisches Bild, dem ich in meinem Buch auch eine eigene Unterkategorie mit Bildern aus zehn verschiedenen Filmen gewidmet habe, ist das Aussteigen aus einem Helikopter: Trump scheint sich sehr gerne dabei filmen zu lassen, und das vermutlich nicht ohne Grund: Das Bild sieht immer ein bisschen nach der Rückkehr des Oberbefehlshabers aus einem Kriegsgebiet aus. Und dann gibt er schreiend Interviews im Lärm des Helikoptermotors, was aus professioneller Sicht überhaupt keinen Sinn ergibt, man versteht ihn ja kaum – es ist die reine Inszenierung.
Ein Journalist hat einmal über Trump geschrieben: „Für Trump gibt es keinen Unterschied zwischen dem Bild vom Job und dem Job selbst.“ Würdest du dem zustimmen?
Ich glaube schon, dass er einen vergleichsweise hohen Wert auf die Bilder legt, die er erschafft – möglicherweise einen höheren Wert als auf die Politik selbst. Auch seine „Rallys“, die Auftritte in riesigen Arenen, die permanent und außerhalb von tatsächlichen Wahlkampf-Phasen stattfinden, sind da recht bezeichnend. Oder die Auflösung einer Demonstration unter Einsatz von Tränengas, nur um ein Foto mit Bibel vor einer Kirche schießen lassen zu können, wie das im Juni während der Black-Lives-Matter-Proteste in Washington geschehen ist. In gewissem Maße scheint Trump immer noch der Reality-TV-Star zu sein, der er vor seiner Amtszeit war.
Titelbild: Leslie Nielsen als Präsident Baxter Harris in „Scary Movie 4“ von 2006 (Dimension Films, 415 Project, Brad Grey Pictures, Miramax, Scary Movie 4)
Lea N. Michels Buch „The President of the United States on Screen“ ist im Verlag Scheidegger & Spiess erschienen und kostet 38,00 Euro.