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So ist es, ich zu sein: Wahlhelfer

Carsten ist 31 und bald schon zum neunten Mal im Wahllokal im Einsatz. Dabei kann er einen Blick hinter die Kulissen der Demokratie werfen

Blaue Tür mit Wahllokal Aufkelber - Wähler mit Hund wirft Stimmzettel in Urne

Meinen ersten Einsatz als Wahlhelfer hatte ich bei der Bundestagswahl 2013. Damals war ich 20, gerade frisch an der Uni und wollte mich politisch engagieren. Doch ich habe mich bei keiner Partei zu Hause gefühlt. Wahlen fand ich aber schon immer spannend, gerade weil ich geschichtlich sehr interessiert bin. Man muss sich mal überlegen, was Menschen für das allgemeine Wahlrecht alles geleistet haben. Eigentlich ist es eine Pflicht, wählen zu gehen.

Bereits meine Eltern haben mir vermittelt, wie wichtig das Wahlrecht ist. Am Wahlsonntag haben sie mit mir und meinem Bruder einen Spaziergang zum Wahllokal gemacht. Während meine Eltern gewählt haben, standen wir vor der Wahlkabine. Ihnen war wichtig, dass wir früh lernen, wie eine geheime Wahl abläuft.

Für mich stellte sich auch nie die Frage, ob ich wählen gehe oder nicht. Schließlich ist es ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Als Wahlhelfer kann ich einen Blick hinter die Kulissen werfen und aktiv daran mitwirken, dass demokratische Prozesse geregelt ablaufen. Außerdem kann ich mich politisch engagieren, ohne viel Zeit und Energie investieren zu müssen.

„Vor meinem ersten Einsatz als Wahlhelfer war ich aufgeregt, weil ich nicht wusste, was mich erwartet, aber mit wildfremden Menschen im Team funktionieren musste“

Die Schicht im Wahllokal beginnt zwischen 7 und 7.30 Uhr. Vor meiner ersten Wahl war ich aufgeregt, weil ich nicht wusste, was mich erwartet, aber mit wildfremden Menschen im Team funktionieren musste. Je nach Größe des Wahlbezirks betreuen mindestens fünf und maximal neun Menschen die Wahl: Ein:e Wahlvorsteher:in, der oder die Schriftführer:in, jeweils ein:e Vertreter:in sowie die Beisitzer:innen.

Bevor die Wahllokale um 8 Uhr öffnen, teilt man sich den Tag ein: Eine Hälfte bleibt von 8 bis 13 Uhr, die andere von 13 bis 18 Uhr. Außerdem legt man den Eid ab, die Wahl neutral durchzuführen: Politische Äußerungen oder Wahlempfehlungen sind verboten. Vor 8 Uhr muss das Wahllokal mit Wahlkabinen, Urne, Stühlen und Tischen fertig eingerichtet sein. Zum Auszählen ab 18 Uhr sind alle Wahlhelfer:innen wieder vor Ort.

Je nach Position hat man als Wahlhelfer:in unterschiedliche Aufgaben: Der oder die Wahlvorsteher:in leitet das Team sowie alles rund um die Stimmabgabe: Er oder sie eröffnet und schließt offiziell das Wahllokal, steht an der Urne, wenn der Wahlzettel eingeworfen wird, und koordiniert das Auszählen. Als Schriftführer:in überblickt man das Wähler:innenverzeichnis und setzt einen Haken, wenn jemand wählt. Bei der Auszählung notiert der oder die Schriftführer:in die Ergebnisse. Beisitzer:innen geben die Wahlzettel aus und helfen beim Auszählen. Alle Beteiligten erhalten eine kleine Aufwandsentschädigung für ihr Engagement.

Schon bei meiner ersten Wahl habe ich gemerkt, dass mir die Rolle als Beisitzer zu langweilig ist. Ich wollte mehr Verantwortung übernehmen. Seitdem war ich jedes Mal Schriftführer oder Wahlvorsteher. Nach der Auszählung fährt der oder die Wahlvorsteher:in, je nach Kommune auch gemeinsam mit Stellvertretung oder Schriftführer:in, den Koffer mit Stimmzetteln, Wahlscheinen, Wahlbenachrichtigungen und dem Protokoll zum Rathaus oder der Gemeindebehörde. Dort nimmt ihn jemand vom Wahlamt entgegen und checkt, ob alles korrekt aufgeschrieben wurde, welche Stimmen man für ungültig erklärt hat und ob die Zahlen stimmen.

„Am Wahltag begegnet man einem groben Querschnitt der Gesellschaft und hat Kontakt mit Menschen aus ganz anderen sozialen Bubbles“

Die Wahlen sind gut vor Fehlern oder gar Manipulation geschützt: Sie sind öffentlich, das heißt, jede:r hat das Recht, im Wahllokal die Stimmabgabe und das Auszählen zu beobachten. Dafür muss man sich auch nicht anmelden. Beim Auszählen gilt das Vieraugenprinzip, und am Ende wird die Anzahl der Wahlzettel und abgegebenen Stimmen mit dem Wähler:innenverzeichnis abgestimmt. Fehler fallen da schnell auf. Und es schreckt ab, dass man sich bei Manipulation strafbar macht. Für Wahlbetrug kann man sogar eine Freiheitsstrafe bekommen.

Manchmal kann es bei der Auszählung stocken. Bei der Bundestagswahl muss man zum Beispiel erst die Zweitstimmen und dann die Erststimmen auszählen. Da kann es schon mal passieren, dass sich jemand verzählt. 2013 mussten wir dreimal nachzählen, bis die Anzahl der Stimmen mit der Anzahl der Wähler:innen des Wahllokals übereinstimmte. Dreieinhalb Stunden hat das gedauert. Spätestens nach der vierten Wahl in gleicher Zusammensetzung lief bei uns aber alles wie ein Uhrwerk, sodass wir bei der Europawahl 2019 schon nach 40 Minuten mit dem Auszählen durch waren. Danach haben wir mit einem Schnaps angestoßen.

Gerade das macht Wahlhelfer:in-Sein so besonders: Man trifft Menschen, die man sonst nie treffen würde. Am Wahltag sieht man einen groben Schnitt der Gesellschaft und hat Kontakt mit Menschen aus ganz anderen sozialen Bubbles. Auch wenn es nur kurze Begegnungen sind, lernt man, damit umzugehen. Das schult die sozialen Fähigkeiten.

„Einmal bin ich mit einem Wähler aneinandergeraten, weil er außerhalb der Wahlkabine wählen wollte“

Manchmal sind diese Begegnungen unangenehm. Es gibt Wähler:innen, die sich bei der Wahl abfällig zu Parteien oder bestimmten Politiker:innen äußern. Das hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Trotzdem darf man als Wahlhelfer:in nicht darauf eingehen. Man sagt maximal so was wie „Das werden wir dann heute Abend sehen“ und hofft, dass die Person schnell geht. Einmal bin ich mit einem Wähler aneinandergeraten, der außerhalb der Wahlkabine wählen wollte. Ich habe ihm den Wahlzettel abgenommen und ihn gebeten, geheim in der Wahlkabine zu wählen. Das hat ihn kurz aufgeregt, er hat es dann aber eingesehen. Die Leute bedanken sich weitaus häufiger, als dass sie einen anpöbeln. Ein „Danke für eure Arbeit“ freut mich immer sehr.

Durch mein Engagement habe ich gelernt, wie gut Wahlen bei uns organisiert sind. Das System funktioniert so gut, dass im Verlauf des Wahlabends im Fernsehen, Radio, Internet und auf Social Media ein verlässliches Ergebnis verkündet werden kann. Ich habe großen Respekt vor all den Menschen, die diese logistische Leistung möglich machen.

Bei der Bundestagswahl im Februar bin ich zum neunten Mal Wahlhelfer. Da die meisten oft älter als 40 sind, bin ich weiterhin einer der Jüngsten. Aber wahrscheinlich werde auch ich das in 30 Jahren noch machen.

Titelbild: Hannes Jung / laif 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.