In der Nähe von Mimili, einer indigenen Gemeinde in der Wüste Südaustraliens, deutet ein Mann auf eine Tierfalle aus schwarzem Nylongewebe, die unter einem Felsvorsprung verborgen liegt. Er legt seinen Zeigefinger auf die Lippen, zischt leise „Ssshh“ und schiebt seinen Körper vorbei an Felsblöcken, die im Licht der aufgehenden Sonne orangerot leuchten. Lose Steine knirschen unter Schuhsohlen, Schweiß tropft auf warmen Fels. „Wenn wir Glück haben, fangen wir einen Warru“, flüstert der Mann. Dann öffnet er die Tierfalle.
Der Mann heißt Adrian Dodd. Seit Sonnenaufgang sucht er in den Felshügeln der südaustralischen Wüste nach Warrus, den Schwarzpfoten-Felskängurus. Dodd ist ein kleiner Mann mit dunklen Augen, Schnurrbart und einer Baseballcap als Schutz gegen die Sonne, die bereits am frühen Morgen die Wärme der Wüste zwischen die Felswände drückt. Der indigene Australier ist Warru-Ranger, das Land bewohnten bereits sein Vater und Großvater.
Als Warru-Ranger versucht Dodd zu retten, was zu retten ist: Noch vor einigen Jahrzehnten lebten zahlreiche Schwarzpfoten-Felskängurus in den roten Felshügeln im Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara Land – kurz APY Land –, einem Wüstengebiet doppelt so groß wie Niedersachsen, das gänzlich im Eigentum indigener Australier ist. Doch dann jagten Katzen und Füchse, eingeschleppt von europäischen Siedlern, die Felskängurus, und der Lebensraum wurde durch die Nutzung als Weideland und die Nahrungskonkurrenz durch Schafe und Ziegen knapp – bis sie in manchen Gebieten des Bundesstaates South Australia fast ausstarben. Ein besonderes Naturschutzprogramm will das rückgängig machen: Das 2007 gegründete Warru Recovery Team züchtet Schwarzpfoten-Felskängurus nach, wildert sie in ehemaligen Siedlungsgebieten wieder aus und untersucht jährlich die Populationen.
„Früher waren hier überall Warrus“, sagt Dodd und deutet auf die umliegenden Felshügel, hinter denen sich flaches Land bis zum Horizont erstreckt. „Meine Großeltern jagten die Tiere und aßen sie, so viele gab es davon.“ Dodd hat seine Kontrollrunde beendet, bis auf einen Warru waren die Fallen an diesem Morgen leer – nichts Ungewöhnliches, denn wer die seltenen Tiere fangen möchte, braucht Geduld. Gemeinsam mit Wissenschaftlern und Projektkoordinatoren fangen Warru-Ranger wie Dodd die Tiere mit Lebendfallen, vermessen, wiegen und markieren sie und überprüfen so die Etablierung der ausgewilderten Population. Für Menschen wie Adrian Dodd ist das Projekt eine Möglichkeit, sich um das Land seiner Vorfahren zu kümmern – und einer bedeutungsvollen Arbeit nachzugehen.
In den Gemeinden des indigenen Verwaltungsgebietes APY Land ist die Arbeitslosenquote hoch: 2021 lag sie bei knapp 30 Prozent – im Gegensatz zu rund fünf Prozent im restlichen Australien. Der Anteil an Menschen mit einem Bachelor- oder höherem Abschluss lag hier bei rund sieben Prozent. Australienweit betrug der Durchschnitt etwa 26 Prozent. Projekte wie das Warru-Schutzprogramm helfen der lokalen Bevölkerung, Arbeit zu finden. Vor kurzem verlängerte der australische Staat das Projekt und bewilligte mehr als acht Millionen australische Dollar.
„Es ist schön, Warrus zu sehen und dabei zu helfen, die Tiere wieder anzusiedeln, hier auf dem Land meiner Vorfahren“, sagt Dodd und wirft eine Tierfalle auf die Ladefläche eines Pick-up-Trucks, dessen Lack der Wüstensand rot verfärbt hat. Das Fahrzeug rollt zurück Richtung Camp, über trockenes Wüstengras, vorbei an Schuppen ohne Dächer und einem Windrad, das schief auf einem Metallgerüst hängt. Überbleibsel einer Rinderfarm. Bevor die australische Regierung das APY Land 1981 der indigenen Bevölkerung zurückgab, betrieben Siedler Rinderfarmen in der Region, teils mehrere Tausend Quadratkilometer groß.
„Meine Großeltern haben gesagt: Du musst dich um die einheimischen Tiere kümmern“
Im Camp qualmt ein Feuer neben Zelten, Wasser blubbert in großen Töpfen. Grant Nyaningu, ein Mann mit schwarzen Locken und Vollbart, schöpft mit einer Tasse kochendes Wasser aus einem der Töpfe. Nyaningu ist Vorsitzender des Warru Steering Committee, einem Komitee, das sich beim Warru-Projekt um indigene Belange kümmert. „Meine Großeltern haben gesagt: Du musst dich um die einheimischen Tiere kümmern“, erzählt er. Nyaningu rührt mit einem Metalllöffel in seiner Tasse und blinzelt in die Sonne. „Ich bin stolz, ein Warru-Ranger zu sein.“ Die Arbeit in der Wüste mit einheimischen Tieren, so Nyaningu, schaffe ein Gefühl der Verbundenheit mit dem Land der Vorfahren.
Unterstützt werden die Warru-Ranger von Menschen wie Claire Hartvigsen-Power. Die 31-Jährige beugt sich in der Nähe der Feuerstelle über ein Satellitenfoto, das die umliegenden Hügel zeigt. Hartvigsen-Power ist Ökologin und arbeitet für Zoos South Australia als wissenschaftliche Partnerin des Warru-Projekts. „Wichtiger Bestandteil meiner Arbeit hier draußen ist die Überwachung der Warru-Population“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wie entwickeln sich die neu angesiedelten Tiere? Gewöhnen sie sich an ihre neue Umgebung?“ Außerdem müssten immer wieder Felskängurus aus anderen Gebieten oder Gefangenschaft mit den ausgewilderten Tieren gekreuzt werden, da der natürliche Austausch mit anderen Regionen durch eingeschleppte Raubtiere nicht mehr möglich sei.
„Hier draußen in der Wüste zu arbeiten hat etwas Spirituelles, das sich schwer greifen lässt“, sagt Hartvigsen-Power. Das Warru-Projekt bringe die indigene Bevölkerung und Wissenschaftler zusammen und lasse sie an einem gemeinsamen Ziel arbeiten: „Die Menschen vor Ort und ich als Ökologin möchten die Felskängurus vor dem Aussterben retten und die Umwelt schützen“, sagt Hartvigsen-Power. „Je mehr indigenes Wissen wir mit der Wissenschaft verschränken, desto eher gelingt uns das.“ Die Symbiose aus westlicher Wissenschaft und indigenem Wissen zeige sich beispielsweise bei der Suche nach geeigneten Wiederaussiedlungsplätzen: „Die älteren Frauen in den Gemeinden kannten die Plätze, an denen früher Warrus lebten. Entweder durch Erzählungen oder teils noch persönliche Erfahrungen. Das hat uns bei der Suche nach neuen Siedlungsorten enorm geholfen.“
Hartvigsen-Power deutet zur Feuerstelle, an der rund ein Dutzend Warru-Ranger Schutz vor dem Wind sucht, der nachmittags kalt über den Wüstenboden fegt. „Es hat eine Weile gedauert, aber in Australien fangen wir endlich an, mehr mit der indigenen Bevölkerung zusammenzuarbeiten.“ Dodd, der neben Hartvigsen-Power steht und seine Hände am Feuer wärmt, nickt: „Es ist schön, dass die Wissenschaftler hier sind. Mich macht es glücklich, dass wir gemeinsam die Warrus retten.“
Ein paar Kilometer von Hartvigsen-Power, dem Camp und den dampfenden Wassertöpfen entfernt schiebt ein Mann ein Gewehr aus grauem Metall durch die offene Scheibe eines Pick-up-Trucks. Wenige Sekunden später kracht ein Schuss durch die Stille der Wüste. „Ein bisschen höher“, murmelt der Mann und lädt das Gewehr nach. Ein weiterer Schuss, dann noch einer. „Jetzt sieht es gut aus.“ Ethan Dagg, 38, indigener Australier, ist von Beruf Jäger und erschießt Wildkatzen. „Diese Tiere gehören nicht hierher“, sagt er, „sie bedrohen die heimische Tierwelt.“ Dagg nimmt das Magazin aus dem Gewehr, das er für die Jagd eingeschossen hat, und hebt zwei Käfigfallen von der Ladefläche des Pick-up-Trucks.
Ethan Dagg ist kein Teil des Warru-Teams, sondern selbstständiger Jäger, der von verschiedenen Gemeinden und Projekten gebucht wird. „Die Selbstständigkeit hilft mir, hier in der Wüste Arbeit zu finden“, sagt Dagg und folgt einem kaum sichtbaren Pfad durch den Sand. Als Jäger kombiniert er altes Wissen über Landschaft und Tierwelt, das sein Vater ihm beigebracht hat, mit moderner Technik. Neben Nachtsichtgeräten und Käfigfallen nutzt Dagg für die Jagd Infrarotdrohnen, um Katzen und Füchse zu erlegen. „Was ich gelernt habe, zeige ich auch anderen Gemeindemitgliedern und hoffe, dass sie sich mit dem Wissen selbstständig machen können“, erklärt Dagg. „Es ist wichtig, dass andere indigene Australier sehen: Du kannst als selbstständiger Unternehmer hier draußen in der Wüste überleben.“
Behutsam stellt Dagg eine Falle auf den Boden und verkleidet sie mit Ästen, während die Sonne hinter den Hügeln mit den rotorangen Felsen untergeht. Er holt sein Smartphone aus der Tasche und schießt ein Foto vom Sonnenuntergang.