Lange Zeit versäumten es die deutschen Reeder, ausreichend Offiziersnachwuchs für ihre Schiffe auszubilden. Heute ist der Bedarf an jungen Leuten hoch, die Berufsaussich-ten sind trotz Wirtschaftskrise, die nach 2008 auch die Reeder erwischte, gut. Allerdings ist das Bordleben nicht jedermanns Sache: Einen Bürojob kann man mögen, die Seefahrt sollte man lieben. fluter.de ist mal an Bord gegangen.

Willkommen an Bord!

Ein Shuttlebus bringt mich vom Hafentor zum Hamburger Burchardkai und entlässt mich neben der "CSAV Peru". Hier wird gegabelt und gestapelt, Laster brummen in dieselschwerer Luft, Kranbrücken bimmeln. Eine ausgeklügelte Logistik versetzt Berge aus Containern, lässt sie schrumpfen oder wachsen, zentimetergenau und nie ohne Gepolter. Die Container tragen Kürzel wie MSC, CMA CGM oder HAPAG. CSAV steht für Compañía Sud Americana de Vapores; die chilenische Großreederei hat die "Peru" von einem norddeutschen Familienunternehmen gechartert.

Ich klettere die Gangway hinauf und folge einem philippinischen Matrosen in den Officier’s Recreation Room. Der dient den europäischen Besatzungsmitgliedern während den Freiwachen in mehrfacher Funktion: Er ist Stammkneipe, Debattierclub, Treffpunkt und bietet Fernseher, Musikanlage, DVD-Player sowie ein Bücherregal. Die philippinische Crew hat ihren eigenen, identisch ausgestatteten Raum.

Kurz darauf treffe ich Kapitän Hansen, er hat für ein paar Minuten seinen Schreibtisch verlassen, um mich zu begrüßen. Ein Mittfünfziger, der seit fast 40 Jahren zur See fährt. Wir schütteln uns die Hände, dann weist er mir meine Lotsen-Kammer unterhalb des Brückendecks zu. Und eilt wieder von dannen. Mein erster Tag auf See als Auszubildender.

Seemanns-Deutsch als Fremdsprache

Genau: Die Sprache der Seeleute ist so eine Sache. Als Kammer bezeichnet man ein Zimmer, achtern meint hinten und gegessen wird in der Messe. Die verschiedenen Lager heißen Lasten oder Stores; ist ein Schiff "voll abgeladen", dann ist es voll beladen. Aber so was lernt man hier schnell.

In der Kammer findet sich alles, was der oder die zur See Fahrende braucht. Bett (Koje), Tisch (Back), Stühle, ein Sofa, ein Schreibtisch und Einbauschränke. Zu jeder Kammer gehört ein kleines Bad mit Waschbecken, Toilette und Dusche.

Dann schaue ich mich an Deck um. An der Backbord-Seite (links) hat ein Bunkerboot festgemacht und pumpt Schweröl in die "Peru". Von der rechten Seite (Steuerbord) kommen die letzten Container an Deck. Nachdem der Lotse an Bord ist, wird die Gangway eingeholt. Wenig später machen vorn und achtern Schlepper fest und ziehen die "Peru" aus dem Hafenbecken auf die Elbe.

Ein langer Weg zum Kapitän

Am Abend lerne ich Simon kennen: Der 24-Jährige studiert Nautik in Rostock und will Kapitän werden. "Schon mein Großvater war Kapitän und mein Vater fuhr 20 Jahre als Bootsmann", erzählt er. Zurzeit macht Simon sein zweisemestriges Bordpraktikum; er unterstützt den Chef in der Maschine, arbeitet an Deck unter den wachen Augen des Bootsmanns und geht auf der Brücke mit Kapitän Hansen Wache. Vier Jahre dauert die Ausbildung zum "Bachelor of Science und Befähigung zum Nautischen Wachoffizier". Der Studienplan ist vollgepackt – er reicht von A wie Allgemeines Recht bis W wie Werkstofftechnik. "Und dann bist du Kapitän?" frage ich. Simon schüttelt den Kopf. "Zum Kapitän wird man durch Erfahrung und durch Bewährung. Man fährt einige Jahre als Offizier – und ist die Reederei zufrieden, wird man zum Kapitän ernannt."

Normalerweise dauert ein Studium an einer Fach- oder Fachhochschule hierzulande acht Semester, normalerweise bewerben sich mehr Männer als Frauen, die sind aber ausdrücklich erwünscht. Geprüft wird außerdem, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber seediensttauglich ist, das macht ein Arzt der See-Berufsgenossenschaft. Weil der welt-weite Warenaustausch per Schiff stark zugenommen hat, wird mehr Personal gebraucht – deshalb ist der Bedarf an Nachwuchs-Nautikern hoch, die Verdienstmöglichkeiten sind oft rosig. Allein Deutschland importiert 60 Prozent seiner Waren per Seeweg.

Die Arbeitszeiten auf hoher See diktiert dann der Fahrplan der Frachtschiffe; er gibt den Tagesablauf vor und stellt an jeden Mitarbeiter ganz andere Anforderungen als an Land. Arbeitszeiten werden variabel geregelt. An Bord herrscht eine klare Hierarchie – was der Kapitän sagt, ist weder eine Bitte noch eine Weisung. Es ist ein Befehl. Wer meint, dieses Prinzip hinterfragen zu müssen, ist hier falsch.

Wenn das Smartphone schweigt

Wir nähern uns Antwerpen. Schnarrende Kommandos auf Englisch, dann klatschen arm-dicke Festmacherleinen ins Wasser, werden von Arbeitern an Land gezogen und auf Poller gelegt. Langsam wird das Schiff gehoben. Die Matrosen haben Zeit für belegte Brote und einen Pott Kaffee. Nach sechs Stunden verlässt die "Peru" Antwerpen wieder und passiert die Schleuse erneut, alle sind im Einsatz. Jetzt geht es über Le Havre und Bilbao nach Brasilien. Bis Santos in Sao Paulo werden wir zwölf Tage unterwegs sein. Das hektische Europa liegt hinter uns. Die Matrosen befreien den Schiffskörper vom allgegenwärtigen Rost, Simon repariert eine defekte Winde. Tage später passieren wir die Kapverdischen Inseln. Wer wachfrei hat, steht auf dem Peildeck, mit dem Handy am Ohr, um die Liebsten zu erreichen; das nächste Netz erreichen wir erst an der brasilianischen Küste. Für Simon ist das kein Problem – er hat es so gewollt.

Links:

Wer sich für einen Beruf in der Seefahrt interessiert, der findet hier weitere Informationen:

www.berufsbildung-see.de

www.hs-wismar.de

www.hs-bremen.de

www.seefahrtschule.eu

www.seefahrtschule-cuxhaven.de