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Was auf dem Spiel steht

In vielen Städten stirbt der Einzelhandel, und oft ziehen Wettbüros und Spielcasinos in die leeren Läden. Droht da eine Monokultur? Und wie kann man die verhindern? Eine Recherche in Bielefeld-Brackwede

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Wettbüros

„Gewinnen kann jeder. Aber du, du willst mehr“, sagt im Werbespot des Sportwetten-Anbieters Tipico eine durchdringende Männerstimme zu martialischer Musik. Zu sehen sind junge Männer, die jubeln und einen ihrer Freunde auf Händen tragen. „Der Moment gehört dir, weil du es feierst, weil du es kannst.“

Vier Männer, die es können und die es feiern, stehen an einem Dienstagvormittag im April um kurz vor elf Uhr rauchend vor dem Wettbüro von Tipico in der Treppenstraße in Bielefeld-Brackwede – und warten, dass sie ihr Geld setzen dürfen. In mehr als 1.000 Filialen des Sportwetten-Marktführers kann man deutschlandweit auf die Ergebnisse verschiedenster Sportveranstaltungen tippen. Online geht das natürlich rund um die Uhr, aber die Shops sollen die Orte sein, wo das Wetten, die Sportbegeisterung und der Nervenkitzel zum Gemeinschaftserlebnis werden.

430.000 Menschen sollen in Deutschland von einem problematischen Glücksspielverhalten betroffen sein

Allein in Brackwede, einem Stadtbezirk mit rund 40.000 Menschen, gibt es vier weitere Wettbüros, dazu einige Automatencasinos. Dort, wo früher Bäcker oder Textilgeschäfte waren, sind die Schaufenster nun zugeklebt mit Bildern fröhlicher Menschen beim Zocken. So wie hier sieht es mittlerweile in vielen deutschen Innenstädten aus – und so wie hier regt sich Kritik. „Wildwuchs bei Wettbüros und Spielhallen“, schlagzeilte schon vor Jahren das hier ansässige „Westfalen-Blatt“.

Von 2014 bis 2019 boomten Sportwetten in Deutschland. Der Jahresumsatz der Branche stieg von 4,5 auf 9,3 Milliarden Euro. Durch Corona erlebte die Branche 2020 allerdings einen Einbruch auf 7,8 Milliarden Euro. Neben dem großen Onlineangebot gibt es auch jede Menge Wettbüros. Kritiker warnen schon lange vor den sozialen Folgen. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt es rund 430.000 Menschen in Deutschland, die von einem problematischen Glücksspielverhalten oder einer Glücksspielsucht betroffen sind. Erste Stimmen werden laut, die ein Verbot von Sportwetten-Werbung fordern, aber noch springen einem die Wettanbieter in Werbespots, auf Fußballtrikots oder großen Bannern entgegen.

Die Hauptzielgruppe der Wettanbieter sind junge Männer. Womöglich vor allem solche, die wenig Geld haben und von viel mehr Geld träumen. Denn, so ein anderer Kritikpunkt: Die Wettbüros und Spielcasinos würden vor allem dort eröffnen, wo sozial benachteiligte Menschen für die Verheißungen des Glücksspiels besonders empfänglich sind. In Bielefeld-Brackwede lagen die Arbeitslosenquote und die Quote der Menschen, die besondere Sozialleistungen beziehen, Ende 2020 nur minimal höher als in Bielefeld insgesamt – aber deutlich höher als im deutschen Durchschnitt zu der Zeit.

Einwohner suchen den Grund für die vielen Wettbüros auch im Schwinden des Einzelhandels. „Früher gab es in Brackwede für jeden Bedarf ein Geschäft. Die Leute brauchten gar nicht in die Innenstadt zu fahren. Doch seit immer mehr im Internet eingekauft wird, mussten viele Einzelhändler aufgeben“, sagt Frank Becker vom alteingesessenen Schreibwarengeschäft Bröker. Er war lange der Vorsitzende der Brackweder Werbegemeinschaft, in der sich die lokalen Einzelhändler zusammen um die Attraktivität ihrer Einkaufsmeile kümmern. In die leeren Läden zögen oft Wettbüros oder Spielcasinos, sagt Becker. „Trading-down-Effekt“ heißt diese Entwicklung in der Stadtplanung: Wo früher das Leben pulsierte, stehen nun Läden leer oder es wird hinter zugeklebten Schaufenstern gezockt.

Das Geschäft mit Sportwetten ist in Deutschland Ländersache. Lange Zeit hatte der staatliche Anbieter Oddset eine Monopolstellung. Die Länder sicherten dieses Monopol durch ihre jeweilige Gesetzgebung ab – unrechtmäßig, wie das Bundesverfassungsgericht 2006 urteilte. Es folgte 2008 der Glücksspielstaatsvertrag, der wiederum durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2012 in den ersten Glücksspieländerungsvertrag mündete, den alle Länder, mit Ausnahme von Schleswig-Holstein, ratifizierten. Darin wurden – zunächst einmal für sieben Jahre – auch private Sportwetten-Anbieter unter Auflagen zugelassen und Spielbank-Werbung erlaubt. In weiteren Verträgen wurden in den folgenden Jahren auch das Auswahlverfahren für die Lizenzvergabe und das Onlineglücksspiel geregelt.

Spielhalle

Mehr als 30 Anbieter haben heute die offizielle deutsche Lizenz. Allerdings gilt die Branche bei den Behörden als notorisch anfällig für kriminelle Machenschaften. Eine Studie der UN-Behörde zur Bekämpfung der Kriminalität (UNODC) berichtet von internationalen Netzwerken, die Sportereignisse manipulieren, um mit Sportwetten Kasse zu machen. Es gab bereits staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Wettbüros, bei denen es darum ging, woher das Geld für die Eröffnung stammte. Laut einer Studie der Universität Hamburg eignet sich Glücksspiel besonders gut zur Geldwäsche, und die Polizei von Nordrhein-Westfalen hat 2019 ein großes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie stieß auf mehrere Fälle, in denen Einnahmen aus Automatencasinos unversteuert in die Taschen der Betreiber flossen.

Auch Geldwäsche ist ein Problem

Im Kampf gegen eine Monokultur aus Spielcasinos und Wettbüros forderte der Senat in Bremen auf Basis des neuen Glücksspielvertrags vom Sommer 2021 die Wettveranstalter dazu auf, nachzuweisen, woher das Gründungskapital ihrer Franchisenehmer (Betreiber) zur Geschäftseröffnung stammt. Für die meisten Wettbüros waren sie dazu bisher nicht in der Lage. Sie mussten vorerst schließen. Die Stadt Wuppertal hat schon 2012 ein „Konzept zur städtebaulichen Steuerung von Spielhallen und Wettbüros“ erstellt, das unter anderem einen Mindestabstand zueinander und zu schützenswerten Einrichtungen wie Schulen und Kirchen durchsetzen soll.

Und in Bielefeld? „Wettbüros und Spielhallen sind vor allem ein Symptom des Strukturwandels in den Zentren, wo alte Nutzungen wegbrechen“, sagt Sven Dodenhoff, bei der Kommunalverwaltung zuständig für gesamträumliche Planung und Stadtentwicklung. Man müsse sich dringend gemeinsam mit Immobilieneigentümern, Mietern und potenziellen Interessenten Gedanken über neue Nutzungskonzepte machen. In der Stadtplanung nennt man das „kuratiertes Erdgeschossmanagement“: die Eigentümer dafür gewinnen, geringere Mieteinnahmen zu akzeptieren, und dafür eine buntere Mischung von Nutzungen ermöglichen, die den Bezirk wieder attraktiver machen. Denn eines ist auch in Brackwede klar: Es steht viel auf dem Spiel.

Dieser Text ist im fluter Nr. 87 „Spiele” erschienen.
Das ganze Heft findet ihr hier.

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