Herr Stefanowitsch, in drei Emojis: Wie schätzen Sie den Einfluss der bunten Pixelhaufen auf unsere Kommunikation ein?

Daumen rauf, Daumen runter und das verwirrt guckende Emoji, das noch nicht genau weiß, worauf das alles hinauslaufen soll.

 

Lange bevor das erste Emoji verschickt wurde, gab es schon Emoticons: aus Buchstaben und Satzzeichen zusammengestöpselte Gesichter. Was haben sie gemein?

Beide fügen der Schriftsprache eine neue, sehr emotionale Ebene hinzu. Anfänglich haben Emojis die Emoticons nachgebildet, mittlerweile haben sie aber eine viel größere Bandbreite an Gefühlsausdrücken. Und dann ist da natürlich auch die wachsende Zahl an gegenständlichen Emojis, die noch mal eine ganz andere Funktion haben.

 

Welche denn? Auf mich wirken die oft nur wie überflüssige Deko. Zum Beispiel ein Pizza-Emoji nach dem Satz „Esse grade Pizza“.

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Hölenmalerei mit Emojis

Emojis sind die Höhlenmalereien des digitalen Zeitalters. Bleibt nur die Frage: Ist das jetzt ein Rückschritt oder schon wieder voll innovativ?

Die bisherige Forschung deutet darauf hin, dass sie eine Funktion übernehmen, die in der alltäglichen Kommunikation ganz automatisch abläuft: uns dabei helfen zu verstehen, in welcher Situation sich unser Gegenüber gerade befindet. Im Offline-Leben ist das ja klar. Treffe ich eine Person in der Schule? Auf der Straße? Oder in einer Bar? Die Umgebungen weisen darauf hin, wie ein Gespräch inhaltlich einzuordnen ist.

Die gegenständlichen Emojis vermeiden also, dass eine Nachricht den Empfänger völlig unvorbereitet trifft?

Genau, durch sie weiß man auf einen Blick, in welchen Kontext die Nachricht einzuordnen ist: Steht ein kleiner Aktenordner hinter der Aussage, geht es wahrscheinlich um Arbeit; ist da ein Fußball, geht es um Freizeit.

Manche Messenger-Dienste schlagen vor, Wörter durch Emojis zu ersetzen: Wenn ich „Hilfe, Pizza brennt“ eintippe, wird mir ein SOS-Zeichen, eine Pizza und eine Flamme vorgeschlagen. Taugen Emojis zu einer elementaren Weltsprache?

 

Nein. Die gegenständlichen Emoji lassen einen großen Spielraum bei der Interpretation zu, der schon innerhalb einer Kultur zu Missverständnissen führt – über Kulturen hinweg verstärkt sich die Vieldeutigkeit. Selbst bei Gefühls-Emoji würde das nicht funktionieren, weil es starke kulturelle Unterschiede dahingehend gibt, welche Gefühlsausdrücke man zeigen darf. In manchen asiatischen Kulturen zum Beispiel zeigt man die Zähne nicht, weil diese zum Körperinneren gehören und in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben. Wenn man lacht, hält man sich die Hand vor den Mund. Auch gibt es in manchen Ländern die Tendenz, Gefühle in der Öffentlichkeit zu reduzieren oder gar zu unterdrücken. Da wären weinende Smileys womöglich unangebracht.

 

Sind diese Stereotype nicht ein bisschen überholt?

Tatsächlich gelten diese Codes immer weniger, weil sich eine Art weltweite Kultur herausbildet – zumindest in den urbanen Räumen. Je globaler unsere Kommunikation wird, umso mehr gleichen sich unsere Gepflogenheiten an. Doch ein weiterer Grund, warum Emojis nur sehr eingeschränkt als Weltsprache taugen, ist, dass sie nicht von den Nutzerinnen und Nutzern selbst erweitert werden können. Es gibt keinen natürlichen Sprachwandel.

„Die gegenständlichen Emoji lassen einen großen Spielraum bei der Interpretation zu, der schon innerhalb einer Kultur zu Missverständnissen führt.“

 

Ab und an werden Emojis aber auch gekapert und anders eingesetzt als von den Machern intendiert. Zum Beispiel das Auberginen-Emoji als Penis.

Ja, gerade im Bereich der Geschlechtsorgane gibt es das oft. Das Unicode-Konsortium ist da typisch amerikanisch; auf ein echtes Penis-Emoji wird man ewig warten. Man kann mit dem improvisieren, was an Material da ist, aber viel Spielraum für Entwicklung gibt es nicht.

 

Es ist einfacher, ein zwinkerndes Smiley hinter eine Aussage zu packen, als Ironie durch smarte Formulierungen zu transportieren. Muss man sich sorgen, dass die verbale Sprache zunehmend verkümmert?

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Chat mit emojis

Emojis werden nicht völlig intuitiv verstanden, müssen aber auch nur zum Teil erlernt werden. Das Emoji „Person Raising Both Hands in Celebration“ kann schon mal zu Missverständnissen führen

Die Erforschung von Emoticons zeigt – die von Emojis ist noch nicht so ausführlich, deutet aber in dieselbe Richtung –, dass sie Informationen übermitteln, die man auf einer sprachlichen Ebene gar nicht ausdrücken könnte, auch nicht durch Feingefühl. Sie ergänzen das Geschriebene vielmehr um Aspekte, die im direkten Gespräch durch Mimik, Gestik und Tonfall transportiert werden.

Aber man kann doch Stimmungen auch durch Wörter ausdrücken.

Bei längeren Textsorten wie Briefen, Artikeln oder Romanen, ja. Emojis setzen sich aber vor allem dort durch, wo es um schriftliche Echtzeitkommunikation geht. Sie ist nah am mündlichen Gespräch und verlangt nach Signalen, die man in einem solchen eben hat.

Wie wirken Emojis auf den Empfänger? Löst ein weinendes Smiley dasselbe Mitgefühl aus wie der Satz „Ich bin traurig“, oder müssen Deutungen erst gelernt werden?

Weder noch. Die Emoticons – und ich würde wetten, auch die Emojis – werden nicht von der Gesichtserkennung im Gehirn verarbeitet. Sie werden also nicht völlig intuitiv verstanden, müssen aber auch nur zum Teil erlernt werden.

Können Sie ein Beispiel geben?

Es geht vor allem um weniger leicht zu deutende Gesichtsausdrücke. Das Smiley, dem der Dampf aus der Nase kommt, wird in Europa und den USA oft benutzt, um Zorn oder Wut auszudrücken. In der deutschen Sprache haben wir auch die Redewendung: vor Wut schnauben. In Japan steht dieses Emoji dagegen für Triumph – was auch seine „offizielle“ Bedeutung ist.

 

Von der Herkunft mal abgesehen: Könnten Sie anhand von Emojis Aussagen über denjenigen treffen, der sie verwendet?

Noch vor ein paar Jahren konnte man das Alter von Autoren sehr gut an der Dichte der verwendeten Emojis ablesen. Inzwischen breiten sie sich aber so sehr in Nutzerschichten aus – von den Digital Natives über die Digital Immigrants bis hin zu den sogenannten Silver Surfern –, dass Rückschlüsse schwieriger werden.

„Das Tränen-Lach-Smiley kann in sozialen Netzwerken die Funktion haben, menschenfeindliche Aussage als harmlosen Spaß zu deklarieren.“

 

Gibt es Geschlechterunterschiede?

Einer meiner Studenten versuchte herauszufinden, ob es qualitative Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, hat aber im Prinzip nur Altersunterschiede gefunden. Junge Leute kommunizieren grundsätzlich mehr online, verwenden also schon allein deshalb häufiger Emojis – und je intensiver die Verwendung von Emojis, desto vielfältiger ist sie auch.

 

Und was ist mit Partei-Zugehörigkeit? In Österreich wird das Tränen lachende Smiley von manch einem auch als „FPÖ-Smiley“ bezeichnet …

Dieses Emoji wird weltweit am häufigsten verwendet. Viele nutzen es, um sich über Dinge lustig zu machen oder Sachen zu sagen, die man eigentlich nicht sagen darf. Manche User glauben tatsächlich, hinter eine Aussage wie „Alle Muslime gehören vergast“ nur ein Tränen-Lach-Smiley setzen zu müssen und damit aus der Verantwortung raus zu sein. 

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Penis-Emojis

Für manche Emojis, so munkelt Sprachwissenschaftler Stefanowitsch, ist das Unicode-Konsortium dann doch zu amerikanisch. Die reiche Auswahl an Obst- und Gemüsesorten lädt aber zu munteren Improvisationen ein

So in die Richtung „War doch nicht ernst gemeint. Habt ihr das Smiley nicht gesehen?!“

Genau. Das Tränen-Lach-Smiley kann in sozialen Netzwerken die Funktion haben, menschenfeindliche Aussage als harmlosen Spaß zu deklarieren. Deshalb ist die Assoziation mit der FPÖ oder entsprechenden Gruppen sicher nicht zufällig.

Das Erlernen einer neuen Sprache, so Forscher, verändert auch unser Denken. Trifft das auch auf die Emojisierung zu?

Es gibt die Idee, dass die Struktur einer Sprache tiefer gehende Auswirkungen auf unser Denken hat. Ein Beispiel: Wenn ich auf Deutsch über eine Person spreche, dann geben meine Worte in der Regel einen Hinweis auf deren Geschlecht: der Koch, die Köchin. Und es gibt Hinweise, dass bei Sprechern von Sprachen, in denen Personenbezeichnungen mit einem Geschlecht korrelieren, Geschlechterstereotype etwas stärker im Denken verankert sind. Wenn sich das bestätigen sollte, würde auch die Vermutung gestärkt, dass die Zweigeschlechtlichkeit von Emojis diese Rollenbilder untermauert.

     

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Anatol Stefanowitsch (Foto: Bernd Wannenmacher/FU Berlin)

Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler und lehrt an der Freien Universität Berlin

(Foto: Bernd Wannenmacher/FU Berlin)

Könnte man mit Emojis von homosexuellen Paaren oder schwarzen Richtern an festgezurrten Gesellschaftsbildern rütteln?

Mein Eindruck ist, dass Menschen Emojis hauptsächlich deskriptiv verwenden und ihre eigene Stimmung ausdrücken. Um an gesellschaftlichen Stereotypen zu rühren, müsste man Emoji bewusst zu einer Störkommunikation verwenden, heißt: Erwartungshaltungen enttäuschen.

Wie macht man das?

Zum Beispiel, indem man ein schwarzes Richterinnen-Emoji verwendet, wenn man allgemein über die Berufsgruppe schreibt. Aber auch da kann es Probleme geben: wenn Weiße zum Beispiel ein schwarzes Emoji verwenden.

Ein Fall von Emoji-Blackfacing? Oder Emoji-Cultural-Appropriation?

So ungefähr. Der Vorwurf könnte lauten: „Euch gehört sowieso schon alles. Jetzt nehmt ihr euch auch noch unsere Emojis!“ Insofern muss man vorsichtig sein und darf vor allem nicht vergessen, dass eine symbolische Diversität kein Ersatz für eine tatsächliche Vielfalt ist.

Warum weiße Menschen gelbe Smileys schicken

Und das Hijab-Emoji neue Probleme schafft, liest du im zweiten Teil des Interviews

Dieselbe Kritik, die es auch manchmal an gendergerechter Sprache gibt.

Richtig. Wenn Menschen die Wahl hätten zwischen gerechter Sprache und Symbolik und gerechter Bezahlung, würden die meisten wahrscheinlich Letzteres wählen. Die Frage lautet immer: Ist es besser, Differenzen sichtbar oder unsichtbar zu machen?

 

Aber ist es nicht auch okay, durch Emojis einfach mal ein Ideal darzustellen, dem man sich immer weiter annähern will?

Es ist nicht schlecht, symbolisch vorzulegen und erst einmal Repräsentationen zu schaffen. Wünsche und Ideale sind wichtig. Nur ausruhen dürfen wir uns darauf nicht.

Illustrationen: Bureau Chateau / Jannis Pätzold