Arte, das ist dieser Sender, der im Fernseher irgendwo zwischen Platz 27 und 50 gespeichert ist und den die Eltern schauen, wenn nach dem „Tatort“ sonst nichts läuft. Der Bayerische Rundfunk ist in erster Linie bekannt für weißhaarige Kommentatoren und traditionelle Beinbekleidung. Und das Sendegebiet des ORF besteht zu großen Teilen aus hohen Bergen. Genau diese drei Sender haben sich nun zusammengetan, um mit einer Webserie zu erzählen, was die digitale Revolution für die Menschheit bedeuten könnte.
Sieben Folgen lang skizzieren die Macher von „Homo Digitalis“ mal mehr, mal weniger weit entfernte Zukunftsvisionen wie ewige Jugend, Gehirn-Upgrades, Sexroboter und Virtual Reality. Dafür haben sie einige Experten und Nerds zusammengetrommelt. Für die Visionen ist der britische, etwas griesgrämige Zukunftsforscher Ian Pearson zuständig, der eine futuristische Brille mit dreieckigen Gläsern trägt. Er ist zum Beispiel davon überzeugt, dass wir bald einfach virtuell unsere Körper austauschen können, wenn sie mürbe sind, in den 2030er-Jahren Urlaub auf dem Holodeck, einem holografischen Umgebungssimulator auf einem Raumschiff, machen und Roboter als Freund und Liebhaber völlig normal sein werden.
Sind wir bald alle in romantischen Beziehungen mit süßen Algorithmen?
Ob und wie sehr man sich darauf freuen sollte, testet jeweils Moderatorin Helen Fares. Während der sieben Folgen steuert sie zum Beispiel eine Drohne mit ihren Gedanken, schaut zu, wie ein Pornostar Sex mit einem Roboter hat, singt vor einem Virtual-Reality-Publikum und testet, ob sie ihre beste Freundin auch als Hologramm noch gut findet.
Eine der Fragen, denen Helen stellvertretend für uns nachgeht: Sind wir bald alle mit künstlichen Intelligenzen befreundet oder sogar in romantischen Beziehungen mit ihnen? In mancher Hinsicht wäre das natürlich sehr praktisch: Computer versuchen es einem immer recht zu machen, sie beschweren sich nicht, wenn man mal keine Zeit hat, und der Wunschmann oder die Wunschfrau lässt sich genau so designen, wie man ihn oder sie am liebsten hat.
Die Japanerin „Lisa“ ist schon jetzt nur noch mit künstlichen Intelligenzen befreundet
Ein Land, in dem das schon seit ein paar Jahren in ist, ist Japan. Dort hat man das Prinzip Tamagotchi von Haustieren längst auf Menschen übertragen: So wie die Japanerin „Lisa“, die nur noch mit künstlichen Intelligenzen befreundet ist. Wenn sie dann doch mal menschlichen Kontakt braucht, mietet sie einfach einen Tag lang eine Freundin.
Ähnlich bemerkenswert wie Lisas Sozialleben ist das eines jungen japanischen Mannes, der behauptet, dass die Transformers-ähnliche Actionfigur Gundam sein bester Freund sei. Chatfreundschaften unterhält er nur mit intelligenten Bots. Menschen machen ihm Angst, besonders Frauen.
Chatbots haben in den letzten Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. Im chinesischen Messenger WeChat sind Chatbots zum Beispiel schon ganz normal und helfen beim Shoppen. Wir kennen Gespräche mit ihnen aber hauptsächlich von „Siri“, „Okay Google“ und Co. Und die sind meistens eher mühsam, wenn sie sich nicht auf ganz Wesentliches beschränken: „Mama anrufen!“ Da fragt man sich womöglich, ob die beiden Japaner, die „Homo Digitalis“ da porträtiert, nicht vielleicht einen an der Klatsche haben.
Für tiefgreifende Fragen – ist das alles überhaupt wünschenswert – fehlt in „Homo Digitalis“ die Zeit
Ziemlich schaurig sind dann aber die DNA-Experimente, die Forscher heute mit der DNA-Schere CRISPR durchführen können: Im Labor des Ars Electronica Futurelab in Linz wird Helens DNA mit der einer Qualle gemischt. Die Moderatorin muss dafür einfach in ein Röhrchen spucken, dazu kommt die Quallen-DNA. Am Ende kommt alles in einen seltsamen Kasten, der Geräusche von sich gibt wie ein Mixer – und fertig.
Jetzt müsse man die Mix-DNA nur wieder in Helens Körper zurückspritzen, sagt der Experte. Mit dieser Technik ist es schon heute möglich, Kaninchen zu züchten, die im Dunkeln grün leuchten. Theoretisch sind solche Experimente auch mit Menschen machbar. Praktisch spricht aber für viele Menschen einiges dagegen: Menschenrechte zum Beispiel.
Wer Lust auf Zukunftsvisionen hat, ist bei „echter“ Science Fiction womöglich besser aufgehoben
Rund um die Gentechnik-Debatte stellt sich eine ganze Menge ethischer Fragen: Wer wird es sich leisten können, sein Erbgut zu optimieren? Wer entscheidet darüber, was wünschenswerte Merkmale sind? Wird es eine Art „Übermensch“ geben, der nicht mehr altert? Was passiert mit der Idee einer pluralen Gesellschaft? Welche unerwünschten Nebenwirkungen könnte es geben? Darüber erfahren wir in „Homo Digitalis“ recht wenig – die zehn Minuten, die für jedes Thema angesetzt sind, lassen auch kaum Platz dafür.
Vieles, das „Homo Digitalis“ vorstellt, hat man schon anderswo gesehen. Die Webdoku bekommt allerdings Fleißpunkte dafür, so ziemlich alle heute absehbaren Auswirkungen der Digitalisierung einmal kurz anzureißen. Für einen kurzen Überblick, der nicht wehtut, ist das genug. Aber so fancy die Ausstattung des Ars-Electronica-Labors auch sein mag – wer Lust auf Zukunftsvisionen hat, der ist von dem, was man heute in Dokus zeigen kann, vermutlich eher enttäuscht. Science-Fiction-Filme und Serien sind da besser geeignet: Holodeck? Gibt’s bei „Star-Trek“ und sieht deutlich besser aus als die Visualisierung heutiger VR-Brillen. Roboter? Sind bei „Blade Runner“ und „Terminator“ irgendwie cooler als im echten Leben. Und die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz werden bei „Her“ und „Ex Machina“ glaubhaft auf die Spitze getrieben. Wer übrigens ohnehin davon überzeugt ist, dass Computer unser Untergang sein werden, der ist bei der britischen Science-Fiction-Serie „Black Mirror“ deutlich besser aufgehoben.
Fotos: BR