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Da geht einer steil

Wie entstehen Preise überhaupt? Warum steigen oder fallen sie? Wir haben uns das mal im Fall des Weizens angeschaut

Weizenpreis

Die vergangenen zwei Jahre waren für Nudelliebhaber wirklich nicht leicht. Immer wieder standen die Fans von Spaghetti, Fusilli und Co. vor leeren Regalen. Schuld daran waren in der Regel die pandemiebedingten Hamsterkäufe. Zum Glück hatte sich die Hamsterei bald wieder erledigt. Doch es folgte das nächste Problem: Die Preise für Hartweizen schossen in die Höhe. Die Betreiber von Mühlen, die den Weizen für Nudelhersteller mahlen, haben das schon im November 2021 gemerkt. Am Handelsplatz in Bologna, wo Hartweizen vertrieben wird, kostete eine Tonne nun nicht mehr 280 Euro wie durchschnittlich im Jahr 2020, sondern fast das Doppelte, nämlich 540 Euro. Der Grund: die schlechte Ernte in Kanada, einem der wichtigsten Exportländer für Hartweizen, infolge einer historischen Dürre. Die kanadische Statistikbehörde schätzt die Hartweizenernte auf 3,5 Millionen Tonnen für das Jahr 2021 – das ist nur halb so viel wie im Vorjahr. Viele Nudelhersteller haben deshalb ihre Preise erhöht und die Kostensteigerung an die Kunden weitergegeben.

Knappheit macht Weizen teuer

Die Preise der meisten Supermarktprodukte hängen mehr oder weniger von den Rohstoffpreisen ab. Laut dem Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS) machen die Rohstoffkosten für Hartweizengrieß oder Mehl einen „erheblichen Anteil an den Produktionskosten“ aus. Daher macht der hohe Weizenpreis Produzenten und Käufern das Leben schwer. Weizen ist für viele Menschen auf der Welt ein Grundnahrungsmittel, und sie sind daher von den starken Preisschwankungen unmittelbar betroffen. Die Gründe für das Auf und Ab sind vielfältig. Grundsätzlich entscheidet die Ernte darüber, wie teuer das Getreide ist. Wenn eine Ernte schlecht ausfällt, müssen die Landwirte diese teurer verkaufen, um trotzdem ihre Kosten decken zu können. Gleichzeitig gilt der Grundsatz, dass hohe Nachfrage und geringes Angebot zu hohen Preisen führen.

Wegen des mangelnden Angebots ist der Weizenpreis seit Beginn des Krieges in der Ukraine noch einmal rapide in die Höhe geschnellt. Denn sowohl Russland als auch die Ukraine gehören zu den wichtigsten Weizenexporteuren der Welt. Nun werden beide Kriegsgegner vorerst nicht liefern. Eine Verknappung hat indes großen Einfluss auf den Teil des Weizens, der an Börsen gehandelt wird – das ist rund ein Viertel des weltweit angebauten Weizens. Das Ergebnis: Ende April 2022 hat eine Tonne Weizen an der Pariser Terminbörse, der wichtigsten Leitbörse für deutsche und europäische Landwirte, knapp 420 Euro gekostet – rund 45 Prozent mehr als am 25. Februar. Die Verbraucher merken den Preisanstieg vor allem beim Bäcker und im Supermarkt.

Kaufverträge statt Weizensäcke

Wenn Rohstoffe wie Gold, Silber, Kaffee, Kakao oder eben Weizen über die globalen Handelsplattformen gehandelt werden, funktioniert das so: Die Landwirte verkaufen ihre Erzeugnisse an den jeweiligen Börsen – für Weizen ist das zum Beispiel die MATIF in Paris. Sie stehen dabei allerdings nicht mit Tausenden von Weizensäcken in einer Markthalle, sondern vertreiben den Weizen in Form von Verträgen. Diese sogenannten Kontrakte sind Abnahmeverträge für festgelegte Mengen zu einem bestimmten Preis. Der Vertrag hat außerdem ein End- beziehungsweise Lieferdatum, darum nennt man das auch Warentermingeschäft. Die Abnehmer sichern sich heute den Weizen, bekommen ihn aber erst Monate später.

Franz Sinabell, Agrarökonom am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien, erklärt das so: „Ein Müller weiß schon im Herbst, dass er im Dezember viel Mehl für das Weihnachtsgeschäft der Bäcker braucht, die er beliefert.“ Über diese Menge schließt er einen Kontrakt ab. „Das verschafft sowohl dem Müller als auch dem Bäcker Planungssicherheit für die Weihnachtszeit“, sagt Sinabell. Das bedeutet aber auch: Wenn der Müller dem Landwirt Weizen für eine bestimmte Summe pro Tonne abkauft und der Weizen zum Liefertermin viel teurer ist, hat der Landwirt ein schlechtes und der Müller ein gutes Geschäft gemacht. Warentermingeschäfte sind also Sicherheit und Wette zugleich.

Rohstoffe als Geldanlage

Dieses Spiel mit dem Risiko lockt Finanzspekulanten. Denn Rohstoffe, die an der Börse gehandelt werden, können nicht nur diejenigen einkaufen, die diese Rohstoffe wirklich brauchen. Spekulanten sind Menschen oder Unternehmen, die auf kurzfristige Preisentwicklungen wetten und ihr Geld an der Börse vermehren möchten. Das gelingt ihnen zum Beispiel, wenn sie jetzt Weizenkontrakte kaufen und sie, wenn der Preis gestiegen ist, wieder verkaufen.

In den Jahren 2007 und 2008, als es zu einer Preiskrise in der Nahrungsmittelindustrie kam und auch Weizen sehr teuer wurde, hatten Spekulanten die Preise für Weizen hochgetrieben. Wegen der Finanzkrise wollten sie das Geld nicht mehr in Aktien und Immobilien anlegen und investierten stattdessen in Rohstoffe.

Aus dieser Nahrungsmittelkrise hat die EU ihre Lehren gezogen. Nun gibt es strengere Regeln, die Spekulationen mit Lebensmitteln einschränken. Zum Beispiel dürfen Weizenkäufer an der Börse kurzfristig immer nur eine begrenzte Anzahl an Verträgen halten. „Solche Regeln sind wichtig, denn kurzfristige starke Preisschwankungen erhöhen die Unsicherheit in den Märkten“, sagt Matin Qaim, Agrarökonom und Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. „Das sorgt dafür, dass die Marktteilnehmer, die wirklich Weizen kaufen oder verkaufen und nicht damit spekulieren wollen, weniger Planungssicherheit haben und deshalb auch weniger in Maschinen und Technologien investieren. Solche Investitionen sind aber ganz wichtig für produktive Erzeugung und effiziente Marktabläufe.“

Wie kann der Preis wieder sinken?

Agrarökonom Qaim ist wie auch die Welthungerhilfe der Meinung, dass der rasante Weizenpreisanstieg der vergangenen Monate ein Ende finden muss. Denn sonst könnten seinen Schätzungen zufolge bald bis zu 100 Millionen Menschen mehr an Hunger leiden. Doch wie können Preise wieder sinken? Zum Beispiel durch politische Maßnahmen. Beim Weizen kann das bedeuten, trotz der Engpässe weiter zu exportieren. „Es ist wichtig, dass Exportländer ihre Grenzen offen halten und nicht der Verlockung erliegen, nur die eigene Bevölkerung abzusichern“, sagt Qaim. „Dann würden die importabhängigen Länder gar keinen Weizen mehr bekommen.“ Außerdem gebe es Stellen, an denen der Konsum eingeschränkt werden könnte. So wird zum Beispiel viel Getreide an Tiere verfüttert. Es würde also helfen, weniger Fleisch zu essen, so Qaim. Er rät auch dazu, so wenig Getreide wie möglich für Biokraftstoffe zu verwenden.

Die Welthungerhilfe, die wie Qaim angesichts der hohen Weizenpreise vor einer steigenden Zahl hungernder Menschen warnt, verlangt von der deutschen Regierung, dass sie mehr Geld in Nahrungsmittelhilfe steckt. Agrarökonom Sinabell aus Wien verfolgt einen ähnlichen Ansatz: „Wenn Menschen von Hunger bedroht sind, müssen reiche Länder Weizen kaufen und ihn günstiger an Hilfsorganisationen in jene Länder abgeben, in denen sich Menschen Mehl zum gängigen Preis nicht mehr leisten können.“

Illustration: Ole Häntzschel

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