fluter.de: Mit der Wahl hat Emmanuel Macron nun die erste Hürde geschafft – wie geht es weiter?
Claire Demesmay: Das ist die entscheidende Frage. In Frankreich spricht man von einem „dritten Wahlgang“ im Hinblick auf die Parlamentswahl im Juni. Wird es Macron gelingen, in der Nationalversammlung eine Mehrheit zu bilden? Sein großer Wunsch ist ein Bündnis, eine Koalition mit Politikern aus anderen Parteien. Er selber hat gesagt, er möchte mit allen zusammenarbeiten, die seine Ideen teilen. Die Frage ist, ob die etablierten Parteien da mitspielen. Wenn zum Beispiel die Konservativen im Parlament die Mehrheit bekommen, wenn sein Premierminister aus einer anderen Partei als seiner Bewegung gestellt wird, würde das den Handlungsspielraum von Macron ziemlich verringern. Deswegen ist es ganz wichtig für ihn, dass der Wahlkampf jetzt weitergeht. Es geht für ihn jetzt um ganz viel.
Macron will eine „Erneuerung“ für sein Land, welche Reformen wird er als Erstes angehen?
Macron hat schon angekündigt, dass er ganz schnell Neuerungen im Bereich des Arbeitsmarktes durchsetzen möchte. Das ist auch wichtig, um die europäische Integration voranzubringen, und auch ein Partner wie Deutschland sieht solche Strukturreformen als Voraussetzung. Nehmen wir als Beispiel die 35-Stunden-Woche: Macron legt Wert darauf, dass über die Arbeitszeit nicht auf Branchenebene verhandelt wird, sondern in den Betrieben selbst, denn die wissen am besten, was ihre Bedürfnisse sind. Er möchte, dass auch über die Löhne und die Arbeitsbedingungen in den Betrieben verhandelt wird. Für manche Gewerkschaften ist das natürlich ein Problem, denn sie würden dadurch an Bedeutung verlieren.
„Macron alleine kann aber natürlich keine Arbeitsplätze schaffen“
Inwiefern sind solche Strukturreformen auch für Deutschland als Partner wichtig?
Sie sind wichtig für Deutschland und die Europäische Union, denn Strukturreformen werden als Grundvoraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft gesehen. Als EU-Mitglied hat Frankreich bestimmte Verpflichtungen, und wenn es zeigen kann, dass es sich an seine Verpflichtungen hält, ist eine Grundlage für weitere Schritte da. Haushalt und Strukturreformen sind zwei Säulen, mit denen Frankreich seinen Partnern Vertrauen vermitteln kann.
Der Arbeitsmarkt in Frankreich ist gerade für junge Leute schwierig, knapp ein Viertel von ihnen ist arbeitslos. Was kann Macron, der jüngste Staatschef, den Frankreich je hatte, für die Jungen tun?
Frankreich hat mehrere Gesichter, und auch die Jugend hat mehrere Gesichter. Ein Teil der französischen Jugend ist gut ausgebildet und steht Europa offen gegenüber. Es gibt aber auch Jugendliche, die „abgehängt“ sind, die keinen Job haben. Knapp 24 Prozent der jungen Leute sind arbeitslos, das ist ein hohes Niveau. Von daher ist es natürlich eine sehr große Aufgabe für die neue Regierung, diesen jungen Menschen eine Arbeit anzubieten, eine Ausbildung, jedenfalls eine Perspektive.
Was kann Macron konkret dafür tun?
Ein Schwerpunkt seines Programmes ist das Bildungssystem. Der neue Präsident setzt darauf, das Bildungssystem – etwa durch kleinere Klassen – zu verbessern, so dass auch die jungen Leute gerade in schwierigen Vierteln, in den „Banlieues“, bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Macron alleine kann aber natürlich keine Arbeitsplätze schaffen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt muss sich verbessern, die Bedingungen müssen besser werden, damit neue Jobs entstehen können.
Welche Reformen strebt Macron noch an?
Es gibt ein weiteres Thema neben der Wirtschaft und dem Arbeitsmarkt, das für ihn wichtig ist und das er auch im Wahlkampf hervorgehoben hat. Macron will die „Moralisierung“ der Politik. Die ungeschriebenen alten Regeln der Politik werden in der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert, das hat die Präsidentschaftswahl gezeigt. Macron will neue Regeln für die französische Politik, etwa dass Abgeordnete keine Familienmitglieder mehr beschäftigen dürfen. Eine seiner Aufgaben ist es jetzt, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wiederherzustellen.
Was bedeutet Macrons Wahl für das deutsch-französische Tandem und damit auch für die Europäische Union?
Macron hat sich von Anfang an ganz klar für die deutsch-französische Zusammenarbeit ausgesprochen und wird auch in Deutschland als Hoffnungsträger gesehen. Man möchte auf beiden Seiten die Zusammenarbeit vertiefen, und das ist erst mal eine gute Grundlage – aber dafür müssen sich beide Seiten auch etwas bewegen. Frankreich muss nun „liefern“, aber auch Deutschland muss in manchen Punkten flexibler sein, etwa was die Wirtschaftspolitik angeht und die Eurozone. Wie wollen wir die Eurozone weiterentwickeln? Das ist eine Frage, über die Deutsche und Franzosen weiter diskutieren werden.
Titelbild: Soriano/Le Figaro/laif