Wir erleben im Moment die „größte Christenverfolgung aller Zeiten“. Das meint zumindest das evangelikale Hilfswerk Open Doors. 200 Millionen Christen stuft es weltweit als verfolgt ein. Auch das Verbot von homophoben „Umorientierungstherapien“ oder Vertreibungen von Christen, die nicht unbedingt etwas mit ihrer Religion zu tun haben, sind in den Bericht aufgenommen. Kritiker halten die Zahlen daher für übertrieben, zu schwammig oder gar gefährlich. Dennoch werden sie immer wieder zum Politikum, gerade jetzt zur Weihnachtszeit.
Mancher, der die Christenverfolgung beklagt, hat dabei den Islam im Hinterkopf. Aber es sind längst nicht nur muslimische Länder, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt wird; und in der Regel gilt das dort nicht nur für Christen, sondern auch für andere Religionsgruppen wie die Jesiden im Irak. Es gibt vielfältige Konstellationen, unter denen es Christen weltweit schwierig haben können:
Nordkorea
Im frühen 20. Jahrhundert soll das heutige Nordkorea ein Hort des Christentums gewesen sein. Wegen der vielen Kirchen und der aktiven Gemeinden bekam Pjöngjang den Beinamen „Jerusalem des Ostens“. Sogar der Staatsgründer Kim Il-sung hat christliche Wurzeln: Seine Eltern bekannten sich zum Christentum, sein Großvater arbeitete als Geistlicher.
Open Doors führt Nordkorea seit Jahren als das Land, in dem Christen am stärksten verfolgt werden
Im stalinistischen Regime, das Kim Il-sung im Norden der koreanischen Halbinsel errichtete, war für Religion allgemein allerdings bald kein Platz mehr: Der Glaube an andere Götter drohte den Personenkult um den „Ewigen Präsidenten“ zu stören. Praktizierende Christen werden laut Hilfsorganisationen, auch Open Doors, in Arbeitslager verschleppt oder sogar getötet – auch weil das Regime sie für Verbündete der USA oder Südkoreas hält. Die Rangliste von Open Doors steht immer wieder in der Kritik, weil schwer nachzuvollziehen ist, wie die Organisation zu ihren Schlüssen kommt.
Aus Nordkorea dringen kaum Einzelheiten nach außen. Fest steht: Offiziell spielt das Christentum in Nordkorea kaum eine Rolle. In der Hauptstadt Pjöngjang, dem einstigen Jerusalem des Ostens, gibt es heute noch vier Kirchen – die allesamt vom Regime kontrolliert sein sollen, um ausländischen Gästen Religionsfreiheit vorzugaukeln.
Pakistan
An einem heißen Sommertag im Jahr 2009 in einem Dorf im Osten Pakistans: Die Katholikin Asia Bibi soll für andere Frauen, mit denen sie gemeinsam auf einem Feld als Erntehelferin arbeitet, Wasser holen. Doch die muslimischen Arbeiterinnen weigern sich, es zu trinken; es sei unrein, Bibi müsse sich erst zum Islam bekennen. Irgendwann im Laufe der Auseinandersetzung soll Bibi gesagt haben, nicht Mohammed, sondern Jesus sei der wahre Prophet. Wie genau der Streit ablief, ist unklar. Bibi bestreitet den Satz. Sie wird dennoch wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt.
Das Blasphemiegesetz im muslimischen Pakistan gilt als eines der schärfsten weltweit
Im muslimischen Pakistan sind abwertende Äußerungen über den Islam ein schweres Verbrechen. Das Blasphemie-Gesetz gilt als eines der schärfsten weltweit. Am häufigsten wird das Gesetz jedoch gegen Muslime angewendet, die die Mehrheit in Pakistan bilden. „Die Zahl der christlichen Opfer ist aber bedeutend höher, als ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde“, schreibt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Das heißt: Christen werden in ihrem Umfeld offenbar schnell der Gotteslästerung bezichtigt. Das Gesetz „ist zwar auch eine Bedrohung für muslimische Brüder, aber besonders gefährlich ist es für Christen“, sagt Asia Bibis Ehemann. „Wenn es Streit um Land oder persönliche Missgunst gibt, dann nutzen Muslime Blasphemie für Schuldzuweisungen.“
Ende Oktober dieses Jahres urteilte der Oberste Gerichtshof in Pakistan, dass Asia Bibi das Gefängnis verlassen darf, und sprach sie von allen Vorwürfen frei – nach neun Jahren Gefangenschaft. In mehreren Städten protestierten Islamisten gegen das Urteil, woraufhin die Regierung einer Berufung zustimmte. Die radikalislamische Partei Tehrik e Labaik kündigte an, im Falle eines Freispruchs das Land lahmlegen zu wollen.
Eritrea
Isayas Afewerki regiert seit 1993 autoritär über Eritrea. Die Bevölkerung besteht zu gleichen Teilen aus Christen und Muslimen – doch die Religionsfreiheit ist unter Afewerki stark eingeschränkt. Im Mai 2002 bestimmte die Regierung per Erlass, dass nur noch vier Glaubensgemeinschaften im Land erlaubt sind: die orthodoxe, katholische und lutherisch-protestantische Kirche sowie der Islam.
Eritreas Machthaber Afewerki fürchtet, dass Freikirchen gegen sein Regime aufbegehren
Manche Beobachter sehen in dem Erlass den Beginn einer Verfolgung von Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften, etwa auch von Mitgliedern evangelikaler Freikirchen. Machthaber Afewerki befürchtet, dass von den Freikirchen eine Oppositionsbewegung gegen das Regime ausgehen könnte. Inzwischen stehen selbst die offiziell zugelassenen Kirchen unter Druck.
Den Patriarchen der eritreisch-orthodoxen Kirche drängte die Regierung 2007 aus dem Amt; seither steht er unter Hausarrest. Er hatte gegen die Einmischung des Staates in die Angelegenheiten der Kirche protestiert und sich dem Wunsch der Regierung verweigert, 3.000 Mitglieder einer orthodoxen Erneuerungsbewegung aus seiner Kirche auszuschließen.
Vietnam
Seit Anfang 2018 gilt im kommunistischen Vietnam ein neues Religionsgesetz. Es garantiert den Bürgerinnen und Bürgern des Landes die Ausübung ihres Glaubens, gleichzeitig beinhaltet es strenge Auflagen. So müssen sich Religionsgemeinschaften registrieren und ihre Aktivitäten im Voraus von den Behörden vor Ort genehmigen lassen. Auf diesem Weg kann der Staat leicht Druck auf alle Glaubensgemeinschaften ausüben. Am 23. Januar erklärten die lokalen Behörden im Norden des Landes zum Beispiel eine katholische Messe für „illegal“, weil sie nicht zuvor registriert wurde. Unter der religionsfeindlichen Politik der Kommunistischen Partei in Vietnam hat auch die buddhistische Bevölkerungsmehrheit zu leiden.
Mexiko
In Mexiko ist das Christentum die dominante Religion. Trotzdem bezeichnet das katholische Hilfswerk Kirche in Not Mexiko als besonders gefährliches Land für Geistliche. In keinem anderen Land der Welt würden Jahr für Jahr so viele katholische Priester ermordet wie in Mexiko. Vier waren es demnach allein 2017, 884 Geistliche mussten Drohungen und Erpressungen erleiden. 2018 wurden bereits mindestens sieben Priester ermordet, im Oktober wurde in Tijuana die Leiche eines an Händen und Füßen gefesselten Geistlichen gefunden. Die Leiche wies Folterspuren auf.
2018 sollen in Mexiko mindestens sieben katholische Priester ermordet worden sein
Der Grund dürfte weniger ein Religionskrieg sein als ein Drogenkrieg, bei dem auch Geistliche zwischen die Fronten geraten. Rankings religiöser Organisationen, die Mexiko ganz oben auf der Verfolgungsliste platzieren, sind besonders umstritten, da in dem Land über 80 Prozent der Bevölkerung katholisch sind. Die Priestermorde seien deswegen eher als Versuch der Drogenkartelle zu sehen, ihre Macht zu festigen, betont Reiner Wilhelm, Referent bei Adveniat, dem Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland. „Die Priester sind gut vernetzt und erfahren auch durch die Beichte sehr viel. Ihr Wissen und ihr soziales Engagement können den Kartellen gefährlich werden.“
Das Titelbild von Marco Gualazzini (/contrasto/laif) zeigt die St. Antony Church in Islamabad.