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Warum alleine?

Wohnen ist für manche unbezahlbar. Andere wollen nicht alleine sein. Wieder andere brauchen im Alltag Hilfe. Warum nicht fusionieren? Besuch bei drei Wohnprojekten in Österreich

Mauerseglerei, Stadtteil Mauer, Wien

70 Bewohner:innen, zur Hälfte Erwachsene, zur Hälfte Kinder

Ralf Aydt, 62, Architekt

Der orange Balkon ist der einzige, der zur Straße führt. Das war eine bewusste architektonische Entscheidung, die ausdrücken soll: Wir sind ein Haus, eine Gemeinschaft. Jede Familie hat zwar eine eigene Wohnung mit Balkon. Aber schon die Flure verstehen wir als Erweiterungen der Wohnungen. Sie sind drinnen, mit Parkett, es gibt Gemeinschaftsküchen, Waschsalons, gemeinsame Büros, eine Kinderspielecke. Im Keller haben wir unsere Lebensmittelkooperative – wir kaufen gemeinsam regionale oder Bio-Lebensmittel ein –, eine Werkstatt, einen Kinderspielraum, daneben ein Zimmer für die Jugendlichen mit Bücherregal und Beamer. Alles jederzeit nutzbar. Es ist schön, von 70 Leben mitzubekommen, was so los ist. Mit manchen ist man enger, mit anderen weniger. So wie in einer Großfamilie.

Wohngemeinschaft Mauerseglerei
Ralfs Lieblingsort: die Gemeinschaftsküche. Ginge es nach ihm, bräuchte niemand eine eigene Küchenzeile
 

Wir sind ein sozialökologisches Wohnprojekt. Heißt: Wir haben das Haus als Passivhaus geplant. Im Keller steht eine Wärmepumpe und Solarzellen auf dem Dach liefern Strom. Autark sind wir trotzdem nicht. Wir teilen einen gemeinsamen Stromanschluss, somit sind wir Großabnehmer und bekommen einen besseren Preis. Außerdem nutzen wir einen Multivan, ein Elektroauto und einige Lastenfahrräder gemeinsam. Sozial sind wir insofern, als dass die Mieten nicht gewinnorientiert sind. Jede:r zahlt 12,50 Euro pro Quadratmeter für Miete und Betriebskosten. Jetzt, wo die Energiepreise steigen, diskutieren wir, wie wir Energie sparen können. Ein bisschen weniger heizen zum Beispiel oder nicht mehr so heiß und lange duschen. Wir haben auch eine Gastwohnung, im Moment leben dort zwei ukrainische Frauen. Das Haus verwalten wir selbst. Die einen kümmern sich um rechtliche Fragen, andere um die Werkstatt, den Lebensmitteleinkauf oder den Garten.

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Wohngemeinschaft Mauerseglerei
Blick vom Balkon, der zur Straße führt

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Wohngemeinschaft Mauerseglerei
Denkzettel: In der Mauerseglerei gibt es immer was zu tun

Wir wollen, dass man sich in die Gemeinschaft einbringt. Sich gegenseitig unterstützt. Schön wäre es, wenn sich alle gleich engagieren, aber das klappt nicht immer. Und die Vorstellungen des Zusammenlebens sind unterschiedlich. Vor allem im ersten Jahr des Zusammenlebens haben wir viel gelernt: Es wurde nicht immer gemeinsam gefeiert, nicht alle waren so hilfsbereit, wie andere sich das gewünscht haben. Aber wir sind zusammengewachsen. Ich persönlich würde mir noch mehr Gemeinschaft wünschen. Ich hätte die Wohnungen sogar ohne Küchenzeilen geplant, damit wir uns jeden Tag in den Gemeinschaftsküchen treffen. Aber jede:r hat andere persönliche Grenzen.

Wohngemeinschaft Mauerseglerei
Mag aussehen wie Mittagessen in der Mensa, ist aber Abendessen Zuhause

Barrierefreihaus, Ottakring, Wien

ca. 15 Bewohner:innen

Marion Thuswald, 44, Bildungswissenschaftlerin

Wir sind eine große, diverse WG über drei Stockwerke. Entstanden sind wir so: Drei Freundinnen, von denen eine im Rollstuhl sitzt, wollten zusammenziehen. Aber sie fanden lange keine passende Wohnung in Wien. Schlussendlich sind sie auf dieses Objekt hier gestoßen. Das Haus mieten wir unbefristet von der Kirche. 150.000 Euro haben wir investiert, um es barrierefrei umzubauen.

Wir sind als Verein organisiert, wohnen und arbeiten hier. Barrierefreiheit verstehen wir breit: in der Kunst, im Alltag, im Denken. Deswegen wohnt hier eine diverse Gruppe von Leuten zwischen 16 und 58 Jahren. Menschen aus verschiedenen Ländern, queere und Heteropersonen, Leute mit Rassismuserfahrung und unterschiedlichem Aufenthaltsstatus. Geplant haben wir das nicht, die Gruppe ist aus gelebter Praxis entstanden. Wir haben keine Quote, aber es ist hilfreich, dass eine Person mit ihrer Diskriminierungserfahrung nicht alleine ist. Den Keller des Hauses nutzt eine katholische Burschenschaft. Aber wir sehen uns selten.

Wohngemeinschaft Barrierefreihaus
In der Küche hängt noch alte Hochzeitsdeko, darunter stehen Lilith, Marion und Simon (von links)

Zum Haus gehört ein großer Garten, ein Treppenlift wurde über Crowdfunding finanziert. Jede:r zahlt einen fixen Mietbetrag zwischen 250 und 900 Euro pro Zimmer – das ist auch vom individuellen Einkommen abhängig. Da sind wir solidarisch. Wichtig ist, dass wir offen miteinander reden, wer wie viel leisten kann, oder darüber, wer als Nächstes einzieht: Sind es diejenigen, die wir als Gruppe am nettesten finden? Oder die, die es am dringendsten brauchen? Das sind so Fragen, die wir diskutieren. Aber sprich unbedingt noch mit den Jugendlichen hier!

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Wohngemeinschaft Barrierefreihaus
Lilith tut für unseren Fotografen so als würde er lesen

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Wohngemeinschaft Barrierefreihaus
Wie alles begann: Drei Freundinnen und dieser Rollstuhl suchten ein Zuhause

Simon, 17, Malin, 19, und Lilith, 16, setzen sich an einen Tisch und erzählen abwechselnd.

Wir wohnen gerne mit vielen Leuten zusammen. Man unterstützt sich gegenseitig, handwerklich oder beim Deutschlernen, wir lernen viel über die queere Community, über andere Länder und Kulturen. Welche Sprachen hier gesprochen werden? Hm, Deutsch und Englisch auf jeden Fall. Spanisch und Französisch. Ja, klar, Simon spricht Russisch, und eine Mitbewohnerin spricht Amharisch, was in Äthiopien gesprochen wird. Was an der Riesen-WG toll ist: Man kommt immer ins Haus, auch wenn man mal den Schlüssel vergessen hat. Und wir teilen uns viele Sachen: Lilith hat einen Drucker, andere haben Küchengeräte. Wenn wer kocht, bleibt meist was über. Man ist nie allein. Das ist meist gut, aber manchmal anstrengend. Man muss viel miteinander reden, damit man sich weiterhin gut versteht. Früher gab’s Konflikte beim Kochen, weil die einen Fleisch essen und die anderen Vegetarier:innen sind und sich am Fleischgeruch stören. Aber jetzt gibt es einen Kompromiss: Im Erdgeschoss wird alles gekocht, im zweiten nur vegetarisch. Was können wir noch sagen über unsere dreistöckige WG? Für uns ist das einfach normal.

Wohngemeinschaft Barrierefreihaus
Vorn wieder Simon, Marion und Lilith, hinten eine Treppe, an deren Geländer ein Rollstuhllift schimmert

Auenweide, St. Andrä-Wördern, Niederösterreich

45 Erwachsene, 29 Kinder

Jürgen Soecknick, 36, Gärtner

Alles ganz frisch: Wir sind erst im April eingezogen, meine Frau Rebecca, meine Tochter und ich. Auenweide deshalb, weil wir nahe der Au wohnen und die Weide hier ein typischer Baum ist. Und dann natürlich das Wortspiel mit Augenweide: Es ist eine schöne Siedlung geworden.

Eine Besonderheit unseres Bauprojekts ist die alternative Finanzierung: Ein Drittel lief über einen Kredit, die anderen zwei Drittel über einen Vermögenspool: Wir zahlten selbst ein und waren angehalten, Freunde und Bekannte zu finden, die dort ihr Geld für einige Zeit parken – zinsfrei und inflationsgesichert. So kann man Erspartes sinnvoll investieren. Der Vermögenspool ist ständig im Fluss: Neue Leute zahlen ein, andere nehmen ihr Geld wieder heraus. Die Auenweide gehört einem eigens gegründeten Verein, wir sind alle Mitglieder und Mieter:innen. Die Miete beträgt 10,50 Euro pro Quadratmeter, ein Teil davon fließt zurück in den Vermögenspool.

 
Wohngemeinschaft Auenweide
Jürgen, Familie und viel Holz: die Soecknicks in ihrer neuen Küche

Wir verstehen uns als ökosoziale Siedlung: acht Häuser mit je drei Wohnungen von 35 bis 120 Quadratmetern. Holzmassivbauten mit Strohdämmung und Wänden, die wir selber mit Lehm verputzt haben. Eine moderne Wohnraumlüftung sorgt für Frischluft, stoßlüften muss man also nicht, woran wir uns noch gewöhnen. Wie an vieles andere. Zum Beispiel daran, die gemeinsamen Waschmaschinen nur zu nutzen, wenn die Sonne scheint, weil wir dann auf den Strom der Photovoltaikanlagen zurückgreifen. Die produzieren im Sommer mehr Energie, als wir benötigen. Überschüssigen Strom speisen wir ins Netz ein. Klar, 100 Prozent ökologisch sind wir nicht: Seit Corona sind die Kosten explodiert, deswegen mussten wir Abstriche machen und haben zum Beispiel weniger Gründächer als ursprünglich erhofft. Eine Tiefgarage gibt es auch. Etwas neu zu bauen verbraucht immer Ressourcen.

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Wohngemeinschaft Auenweide
Kurz ins Schlafzimmer gelinst

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Wohngemeinschaft Auenweide
In der Auenweide haben auch die Kinder einen eigenen Parkplatz

Wir sind ein Minidorf im Dorf. Wir finden es leiwand, dass unsere Tochter vor der Tür mit anderen Kindern spielen kann. Ideen haben wir mehr, als es Quadratmeter gibt. Wir sind in Arbeitskreisen organisiert, in denen gilt das Kein-schwerwiegender-Einwand-Prinzip. Die Idee ist: Man sollte pro Monat zwölf Stunden in die Auenweide investieren. Aber das ist ein Richtwert. Wir sind alle Staffelläufer:innen. Ich als Gärtner habe im Winter zum Beispiel mehr Zeit, im Sommer stehe ich meistens auf dem Feld. Konflikte gibt’s immer wieder, klar. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Ich denke, wir bekommen das gut hin. Aber jetzt geht der Alltag ja erst richtig los.

Wohngemeinschaft Auenweide
Wirklich eine Auenweide!
 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.