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„Selbst in meinem Freundeskreis werde ich damit konfrontiert“

Welche antimuslimischen Vorurteile gibt es in Deutschland? Und wie könnte sich das ändern? Fragen an die Journalistin Melina Borčak, die darüber ein Buch geschrieben hat

Islamfeindliches Graffiti

Antimuslimischer Rassismus ist in Deutschland weit verbreitet. Eine Studie der Universität Leipzig hat ergeben, dass über 27 Prozent der in Deutschland lebenden Personen im Jahr 2020 der Aussage zustimmten, dass Muslim:innen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden sollte. 46,8 Prozent der Befragten gaben an, sich wegen der Muslim:innen fremd im eigenen Land zu fühlen. Der Anteil von Menschen muslimischen Glaubens an der Gesamtbevölkerung liegt hierzulande bei etwa 6,5 Prozent. Wie rassistische Denkmuster zustande kommen und wie islamfeindlich unsere Alltagssprache geprägt ist, erklärt Melina Borčak in ihrem Buch „Mekka hier, Mekka da. Wie wir über antimuslimischen Rassismus sprechen müssen“ (Hanser Verlag). Die Journalistin wurde in Bosnien geboren und flüchtete mit ihrer Familie 1992 nach Deutschland. Grund dafür war der Ausbruch des Bosnienkrieges und der Beginn des Genozids der Serb:innen an den Bosniak:innen, also bosnischen Muslim:innen. Das Gespräch wurde im August, zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung, geführt.

fluter.de: Wie ist die Lage von muslimischen Menschen in Deutschland im Jahr 2023?

Melina Borčak: Sie ist sehr schwer. Der harte Rassismus der 1990er-Jahre ist nicht weg, sondern hat sein Gesicht verändert und ist auf eine höhere Ebene geklettert. Früher gab es viele Politiker:innen, die fragwürdige Ansichten zu Muslim:innen hatten, aber es war nicht ihre Priorität, sie aus Deutschland herauszuekeln. Die AfD würde heute am liebsten alle Muslim:innen und auch alle Flüchtlinge aus dem Land werfen und ihnen das Leben zur Hölle machen. Zudem haben viele muslimische Menschen in Deutschland Familien in anderen Ecken der Welt, wo Genozide und Kriege stattfinden. Das schlägt natürlich auf die Seele. 

In diesem Jahr standen Schweden und Dänemark im Zentrum der Aufmerksamkeit, weil dort Einzelne wiederholt öffentlich Korane verbrannt haben. Wie siehst du das?

Die Koranverbrennung ist für mich Ausdruck einer allgemeinen Respektlosigkeit gegenüber Religionen, die im Westen vorherrscht. Schweden etwa lässt sie zu und argumentiert gegen ein Verbot mit der Meinungsfreiheit. Muslim:innen müssen so viel aushalten, haben Genozide überlebt und werden im Westen strukturell diskriminiert. Mit den Koranverbrennungen spuckt man uns dann auch noch ins Gesicht und will uns zeigen, dass wir wertlos sind. 

Inwiefern werden Muslim:innen strukturell diskriminiert? 

Es ist zum Beispiel wissenschaftlich bewiesen, dass muslimische Personen bei gleicher Qualifikation seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden als Nichtmuslim:innen. So hat eine Studie ergeben, dass Frauen, die auf Bewerbungsfotos ein Kopftuch tragen, viel seltener eine positive Rückmeldung erhalten. Bekommen sie dennoch einen Job, müssen sie sich oft mit Rassismus innerhalb des Unternehmens herumschlagen.

In welchen Kontexten tritt antimuslimischer Rassismus besonders häufig auf?

Er tritt eigentlich ständig auf. Selbst in meinem Freundeskreis werde ich damit konfrontiert, wenn auch in einer milderen Form. Mir ist schon passiert, dass Leute Kommentare über jüdische Personen machen und mir dann einen fragenden Blick zuwerfen, weil sie denken, dass ich als Muslimin irgendwas Antisemitisches sagen würde. Da denke ich mir: Meine Vorfahren haben gegen die Nazis gekämpft, und jetzt steht eine deutsche Person vor mir, die denkt, dass ich bloß aufgrund meines Glaubens antisemitische Ansichten habe? 

„Auch innerhalb des Islams gibt es liberale Strömungen, über die nur leider viel zu selten berichtet wird“

In Deutschland sind antimuslimische Vorurteile weit verbreitet. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Es gibt in den Medien einen sehr starken und negativen Fokus auf Muslim:innen. Dabei wird oftmals das betrieben, was ich Koranbait – angelehnt an das Wort Clickbait – nenne. Immer wieder ist beispielsweise von „Kriegern des Korans“ oder „Krieger für Allah“ die Rede. Im „Spiegel“ gab es mal die Headline: „Die stille Islamisierung – Mekka Deutschland“. Wenn immer wieder Muslimisches mit Negativem in Verbindung gesetzt wird, geht das unweigerlich in die Köpfe der Menschen. Über positive Ereignisse, wie zum Beispiel das Ramadan-Picknick (ein gemeinsames Fastenbrechen, an dem etwa in Hanau Muslim:innen und Nichtmuslim:innen teilnehmen, Anm. d. Redaktion), wird viel seltener berichtet.

In deinem Buch fokussierst du dich auf rassistischen Sprachgebrauch. Warum?

Sprache formt sowohl Gedanken als auch Verhalten. Und unser Verhalten formt die Gesellschaft. Deshalb ist es wichtig, Menschen ihre Denkfehler in Bezug auf muslimische Personen aufzuzeigen. Leute glauben einfach viel zu oft das, was ihnen in den Medien serviert wird. Mit meinem Buch wollte ich diese Fehlannahmen aufzeigen.

Du legst besonderen Wert darauf, Genozide auch immer als solche zu bezeichnen und nicht beispielsweise als Massaker. Warum ist das so wichtig?

Laut UN-Genozid-Konvention meint Genozid, vereinfacht ausgedrückt, Taten, die verübt werden mit dem Ziel, eine bestimmte Menschengruppe ganz oder teilweise zu vernichten. Genozide sind also das Maximum an Hass, Gewalt und Rassismus. Deswegen erlaubt das internationale Recht unter bestimmten Bedingungen, zum Schutz der Menschenrechte einzugreifen. Dennoch wollen viele Länder Genozide nicht als solche bezeichnen – und stehlen sich damit aus der Verantwortung. Wenn jemand den Holocaust leugnet oder verharmlost, gilt das zu Recht als antisemitisch. Aber bei anderen Genoziden fehlt diese Transferlogik oft. Wer antimuslimische Genozide, wie zum Beispiel den Genozid an den Bosniak:innen, leugnet, wird nicht automatisch als rassistisch gebrandmarkt. Dabei sind solche Genozide das Maximum an antimuslimischem Rassismus.

Wie löst man sich von rassistischen Gedankenmustern?

Ich versuche immer, Vergleiche im Kopf herzustellen. Im Fall von antimuslimischem Rassismus kann man sich fragen, ob man genauso über eine christliche oder über eine jüdische Person denken würde. Wenn mir also beispielsweise eine muslimische Person, die über Eid al-Fitr, also das Fest des Fastenbrechens, redet, irgendwie suspekt ist, kann ich mich fragen, ob ich das Gleiche über eine Person denken würde, die über Weihnachten redet. 

Manche muslimische Menschen begründen zum Beispiel ihre Queerfeindlichkeit mit ihrer Religion. Wie kann bei solchen Themen eine legitime Religionskritik aussehen?

Indem man nicht die gesamte Religion dafür verantwortlich macht. Auch innerhalb des Islams gibt es liberale Strömungen, über die nur leider viel zu selten berichtet wird. In den USA, in Polen und Uganda wird menschenfeindliche Politik auch mit dem Christentum begründet. Das hat aber keinen Einfluss darauf, wie ich meinen netten Nachbarn von nebenan bewerte, der einen christlichen Namen trägt und ab und zu mal in die Kirche geht. 

Wen möchtest du mit deinem Buch erreichen?

Zum einen nichtmuslimische Personen, die bessere Menschen sein wollen. Mit dem Buch möchte ich aber auch Muslim:innen erreichen. Auch sie können beim Lesen des Buches viel über rassistische Dynamiken lernen, denen sie selbst ausgesetzt sind, und die dann besser einordnen. 

Melina Borčak ist Journalistin und Filmemacherin. Sie kehrte nach fast 20 Jahren in Bosnien 2015 nach Deutschland zurück und arbeitet u.a. für CNN, ARD, Deutsche Welle und funk.

Portrait: privat

Titelbild: Daniel Biskup/laif

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.