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Studio Shitstorm

Der Podcast „Red Scare“ vereint seine Fans im Hass auf Wokeness – und legt Sehnsüchte nach skandalösen linken Kultfiguren offen, findet unsere Autorin

Red Scare Podcast

Zwei junge Frauen, die Flagge des Islamischen Staats auf der Brust, posieren für ein Spiegelselfie. Ein verfassungsfeindliches Propagandamittel als Modestatement? Fast. Die beiden bewerben ihr neues Podcast-Merch, das dem Schwarzen Banner nachempfunden ist. Über all jene, die sich darüber empören, amüsieren sie sich in gelangweiltem Tonfall: „Loser“ und „Snowflakes“ seien das! 

Hass für „weinerliche liberale Feministinnen“ – Liebe für Männer als Brotverdiener

Rechtes Getrolle, könnte man meinen, doch die New Yorkerinnen Anna Khachiyan und Dasha Nekrasova verstehen sich als Stimme der Linken. Seit 2018 stellen die beiden ein- bis zweimal wöchentlich ihre (post-)sowjetische Herkunft enthusiastisch zur Schau. Ihren Podcast haben sie nach der „Roten Angst“ benannt, einem Begriff antikommunistischer Hysterie, und „All the Things She Said“ des ehemaligen Popduos t.A.T.u. zu seinem Titelsong gekürt. 

In chaotischen Hot Takes [Anm. d. Red.: bewusst provozierende Kommentare] zum popkulturellen und politischen Tagesgeschehen demonstrieren Khachiyan und Nekrasova ein vage marxistisches Klassenbewusstsein. Dem tugendhaften Woke-Getue der amerikanischen Liberals sei das weit überlegen.

Die Alt Left ist für Revolution und gegen „Wohlfühl-Widerstand“

Red Scares ideologischer Kompass ist so unzuverlässig wie unterhaltsam und deshalb schwer zu fassen. Auf einige wiederkehrende Positionen ist aber Verlass. Die „Ladies“, wie sich die beiden Hosts in sarkastischer Opposition zu ihrer Meinung nach weinerlichen liberalen Feministinnen nennen, hassen: Hillary Clinton, den Begriff „Girlboss“, die sogenannte „Cancel Culture“, die vermeintlichen Opfermythen der Identitätspolitik und, mehr als alles andere, den Neoliberalismus. Sie lieben: Meinungsfreiheit, Männer als Versorger, die Politik von Bernie Sanders und die Texte der umstrittenen Kulturhistorikerin Camille Paglia. Über sie sagte die US-amerikanische Journalistin und Frauenrechtlerin Gloria Steinem einmal: „Dass Paglia sich Feministin nennt, ist ein bisschen, wie wenn ein Nazi behauptet, nicht antisemitisch zu sein.“ Würde man ihr eine Waffe an den Kopf halten, wägt Dasha Nekrasova in einer Episode ab, sie würde lieber Trump wählen als Clinton, allein wegen des Unterhaltungspotenzials.

Khachiyan und Nekrasova sind seltene weibliche Mitglieder der Dirtbag Left, auch Alt Left genannt, einem Lager, das sich gegen „Wohlfühl-Widerstand“ stellt und liberalen Linken oft kritischer gegenübersteht als Konservativen. Man ist für die Revolution. Vor allem aber ist man dagegen, rein kosmetische Verbesserungen des Establishments als Erfolge zu feiern. Damit linke Positionen im lärmigen Internet besser knallen, fällt Kritik gerne vulgär und öfter auch mal rufschädigend aus. Der Aufschrei folgt verlässlich und prompt, wie auch im Falle der IS-Shirts. Auf ihn folgten wiederum Relativierungsversuche und die Frage, warum man Trollen wie den Red-Scare-Hosts überhaupt Aufmerksamkeit schenkt – womit sich das Empörungsrad noch ein paar Runden weiter drehte. 

Nicht ganz ehrenamtlich: Der Podcast spielt monatlich 35.000 US-Dollar ein

Dass sich Arbeiter*innen von den Medienbubble-Themen der „Ladies“ abgeholt und verstanden fühlen, ist fraglich. Ein großer Teil der liberalen New Yorker Kulturelite aber feiert ihren Habitus für seine edginess. Die Red-Scare-Hosts werden als scharfsinnige Kunstfiguren mit ausführlichen Porträts im US-amerikanischen Feuilleton bedacht, in denen gern gefragt wird, was Satire eigentlich darf.

Dasha und Anna marschieren über die Laufstege der New York Fashion Week, über ein Patreon-Konto lassen sie sich von Hörer*innen mit monatlich etwa 35.000 Dollar unterstützen, und auch in der akademischen Welt hat der Podcast seine Fans: Slavoj Žižek, einer der populärsten Philosophen der Gegenwart, gab Red Scare kürzlich ein kultiges Videointerview über die Paradoxien der Pandemie.

Wer verstanden hat, dass man gerade in der sogenannten „Cancel Culture“ oft eher von seinen Kontroversen profitiert, wird von Red Scares Popularität nicht überrascht sein. Sie ist aus einem anderen Grund bemerkenswert: Rechte Trolle kennt man zuhauf, aber links der US-amerikanischen Mitte scheinen echte exzentrische Skandalfiguren spärlicher gesät. Spätestens seit Michelle Obama mit ihrem Ausspruch „When they go low, we go high“ zu Anstand im Umgang mit der republikanischen Gegnerseite mahnte, scheinen sich viele Demokrat*innen in der undankbaren Position zu wähnen, stets das Vernünftige tun zu müssen. Diese vorgebliche moralische Einigkeit scheint all jene zu ermüden, die gegenwärtige Tugendstandards für wenig authentisch und schwer realisierbar halten.

Sex und Gewalt? Gehört für die „Ladies“ zusammen

Khachiyan und Nekrasova besprechen die Lücke zwischen moralischer Wunschvorstellung und menschlicher Realität am liebsten im Kontext von Geschlechterrollen und Sexualität. Sex sei längst nicht mehr triebhafte Lebenskraft, sondern einem hypergesunden und übervorsichtigen Lifestyle zum Opfer gefallen. Die „Ladies“ wollen Sex aber dort sehen, wo sie Leidenschaft vermuten: in der Nähe der Gewalt. Sie sind Fans von Lana del Rey, weil die von einem prototypisch starken Mann schwärmt, der ihr durchaus gefährlich werden kann – und sie genau deshalb anziehe: „My old man is a bad man, but I can’t deny the way he holds my hand, and he grabs me, he has me by my heart.“ Mit toxischer Beziehungsdynamik zu kokettieren ist das eine. Wenn Nekrasova und Khachiyan jedoch so weit gehen, den Initiatorinnen der #MeToo-Bewegung ernsthaft ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen, ist selbst für viele ihrer Fans eine Grenze überschritten.

In guten Momenten führen Khachiyan und Nekrasova vor, wie sich mit dem politischen Werkzeug der Provokation ein Weg aus der Moralkultur bahnen ließe: Indem sie sich weigern, eine Haltung ständiger Empörung einzunehmen, schaffen sie Raum für moralische Komplexität. Leider nutzen sie diesen nur selten. Red Scare tritt nicht mit Visionen an, sondern begnügt sich mit Entertainment. Seine beiden Hosts werden dabei von ihren skandalträchtigen Boheme-Avataren vereinnahmt und stecken länst viel zu tief in der Kultur, die sie kritisieren, als dass sie glaubhaft Klassensolidarität vorleben könnten. Die Podcast-Mean-Girls haben das Endstadium einer Diskussionskultur erreicht, in der Positionen so lange verdreht und umgedeutet werden, bis nicht mehr erkennbar ist, was Ernst und was Humor ist. 

Titelbilder: Twitter

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