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Worüber rätseln Roboter?

Im Computerspiel „The Talos Principle II“ zerbrechen sich unsere synthetischen Nachfahren den Kopf über Logikprobleme – und über die Tücken des Fortschritts

  • 5 Min.
The Talos Principle

Worum geht es?

Durch die Erderhitzung ist der Permafrostboden aufgetaut und hat bisher unbekannte Viren freigesetzt, die Menschheit ist in der Folge ausgestorben. Jahrtausende später leben intelligente Roboter auf der Erde. Sie sehen sich als die neuen Menschen und erlegen sich, um aus den Fehlern der Vorfahren zu lernen, strenge Wachstumsgrenzen auf. Der Plan: eine bescheidene Siedlung für nur 1.000 Individuen. Aus der Sicht dieser gerade entstandenen Nummer 1000 wird „The Talos Principle II“ gespielt. Doch als „1k“ zum Leben erwacht und der Plan also vollendet scheint, ist die Siedlung bereits ein bisschen in die Jahre gekommen. Und dann platzt mitten in die Feierlichkeiten ein Hologramm und fordert die Robotermenschen auf, eine geheimnisvolle neue Insel zu erkunden. Das Hologramm nennt sich Prometheus (wie die griechische Sagenfigur), es will den selbstgenügsamen Robotermenschen das Verlangen nach Fortschritt zurückgeben.

Worum geht es wirklich?

Um die Frage, wie man als Gesellschaft mit der Aussicht auf einen großen Wissenssprung umgeht. In den Ruinen der Insel, zu deren Erkundung sich die Robotermenschen entschließen, finden sich Spuren einer mächtigen neuartigen Technologie. Sie könnte große Energiemengen freisetzen und erlauben, die Welt großflächig umzugestalten. Müsste sie deswegen erkundet werden? Oder wäre es besser und sicherer für die empfindsamen Roboter, zu ihrer stabilen Langeweile zurückzukehren? Damit berührt „Talos II“ Themen, die uns auch in der Realität beschäftigen. Aktuell etwa wird kontrovers über die Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz diskutiert. Und nicht umsonst war diesen Sommer der Film „Oppenheimer“ über den Erfinder der Atombombe, J. Robert Oppenheimer, so erfolgreich: Die Sorge, ob die Menschheit die Folgen des technologischen Fortschritts richtig einschätzt – oder sich im Zweifel selbst auslöschen könnte –, treibt offenbar viele um. „Talos II“ fühlt sich wie ein Gedankenexperiment an, das all diese Themen berührt.

 
The Talos Principle
Die Welt von „Talos II“ ist selten bedrohlich, meistens schön – und voller Logikrätsel, die es zu lösen gilt

Muss ich den ersten Teil des Spiels kennen?

Nein, die Spiele funktionieren unabhängig voneinander. „The Talos Principle“ ist 2014 erschienen und erzählt eine Art Schöpfungsgeschichte für „Talos II“. „Talos I“ ist auch gut geschrieben, war kommerziell erfolgreich und konzentriert sich eher auf die Rolle des Individuums: Wann und warum könnte ein Roboter als menschlich angesehen werden?

Und wie wird das gespielt?

Als Teil des Expeditionsteams erkundet 1k die 3-D-Welt der Insel. Dabei funktioniert die Steuerung grundsätzlich wie in einem Ego-Shooter. Aber es gibt keine Action, keinen Zeitdruck, keine Gegner. Es geht darum, futuristische Ruinen zu erkunden, ihren Sinn zu verstehen, Dokumente zu lesen und mit anderen Robotern zu diskutieren. Mit ein bisschen Geduld können das auch Menschen ohne Vorerfahrung spielen. Die einzige echte Schwierigkeit kommt durch die über 100 räumlichen Logikrätsel. Sie sind keine Nebensache, sondern geben dem Spiel die Struktur.

Ist das so anstrengend, wie es klingt?

Ab und zu schon. Viele Rätsel sind schnell zu durchschauen, aber einige fordern mehrere Lösungsschritte und kreative Ideen. Irgendwann kann 1k Licht einfangen, die Gravitation überwinden, das eigene Bewusstsein zu einem Klon schicken und muss all das kombinieren, um Rätsel zu lösen. Ohne die Lösungen geht die Geschichte nicht weiter. Hilfestellungen gibt es nur wenige – das Kopfzerbrechen ist ein wichtiger Teil der Geschichte. Die Roboter erinnert es an ihren Schöpfungsmythos: Sie wurden in einer Computersimulation geboren und mussten ihre Menschlichkeit beweisen, indem sie ähnliche Rätsel lösten. Neugier, Spieltrieb und ihr freier Wille haben sie zu Menschen gemacht. Offenbar stellt ihnen nun jemand eine ähnliche Aufgabe in der Wirklichkeit. Das Spiel handelt also von einer Art Intelligenztest und fühlt sich auch für die Spielenden wie einer an.

The Talos Principle
Sind selbst auferlegte Ketten der richtige Weg? Oder grenzenloser Fortschritt?

Sind die Roboter denn nun die besseren Menschen?

Vielleicht schon. Die Roboter sind wenigstens körperlich widerstandsfähiger als wir, und das Szenario wirkt in seiner Fortschreibung von KI ziemlich optimistisch. Denn die synthetischen Menschen zeigen viel Mitgefühl, sind sehr belesen und haben im besten Sinne des Wortes menschliche Werte. Ihre Sorgen sind eng verwandt mit unseren. Alle erinnern sich an die existenzielle Bedrohung der Atombombe, und nebenbei ist die Welt infolge der Erderhitzung immer noch halb überschwemmt. Niemand will, dass die Menschheit in ihrer nun weiterentwickelten Roboterform quasi noch einmal untergeht. Auch deswegen streiten die Roboter sehr leidenschaftlich darum, welche Ressourcen sie nutzen und wie viel Wachstum sie erlauben wollen.

Der Untergang der Menschheit als Prämisse – ist das nicht deprimierend?

Gelegentlich schon. Doch die Welt von „Talos II“ ist selten bedrohlich und meistens schön. Es geht um existenzielle Fragen, aber ohne den Zeitdruck heranrasender Kipppunkte, wie etwa beim Thema Erderhitzung. Das gibt Zeit zum Denken. Gelegentlich wabern die Themen etwas abgehoben vor sich hin, wenn es um die Rolle des Bewusstseins im Universum oder den Sinn des Daseins geht. Aber dann stehen konkrete Anwendungsfälle an: Soll die Siedlung der Roboter nun wachsen oder nicht? Sollen wir auch dann weiterforschen, wenn wir damit unbekannte Risiken aufwerfen? Sind wir an die Vorstellung eines natürlichen Gleichgewichts gebunden, wenn die Welt sich sowieso verändert? „Talos II“ fragt, welche Werte wir Nichtroboter vertreten und welche Ziele wir verfolgen. Das Spiel liefert eher eine Diskussionsanregung – Antworten müssen die Spielenden selbst geben und sich dann noch während des Abenteuers mit einem Ensemble sympathischer Roboter darüber streiten. Genau das macht „Talos II“ so interessant.

„The Talos Principle II“ wurde von Croteam entwickelt, von Devolver Digital veröffentlicht und ist für etwa 30 Euro auf Windows-PC, Playstation 5 und Xbox Series X/S erhältlich.

Bilder: Croteam/Devolver Digital

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