Glücklicherweise haben die Vorfahren aus dem Jenseits ein Auge auf Enzo Kori-Odan, den Prinz von Zama. Denn ausgerechnet am Tag seiner Krönung zettelt Enzos böser Schwager Ngarba einen Staatsstreich an. Um doch noch auf den Thron zu gelangen, muss der Prinz die zerstrittenen Völker seiner Heimat einen – und unterwegs massenhaft Monster und Bösewichte niederkämpfen. Immerhin kann er dabei die geheimnisvolle Energie Aurion einsetzen, die ihm seine Vorfahren aus dem Reich der Toten schicken. Damit lassen sich Wunden heilen oder neue Kampftechniken lernen.

Der leidgeprüfte Prinz ist die Hauptfigur von „Aurion: Legacy of the Kori-Odan“, das nur auf dem ersten Blick ein handelsübliches Action-Rollenspiel für den PC ist. Dahinter steckt die Firma Kiro’o Games aus der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé. Sie nennt sich selber „das erste professionelle Computerspielstudio in Zentralafrika“.

Afrikanische Welten und Figuren gibt es in Rollenspielen nur selten

Der Protagonist von Kiro’os erstem großen Spiel muss auf seiner Mission Wände hochklettern, über Plattformen springen und verschiedene Waffen einsetzen – so weit, so bekannt. Aber Prinz Enzo Kori-Odan und die Bewohner seiner Welt leben in Savannen oder Regenwäldern, wo sie Strohhüttendörfer oder mit Elefantenzähnen geschmückte Paläste errichtet haben, und sie sind allesamt Schwarz. Offensichtlich läuft und springt der Prinz durch Afrika.

Das ist nicht nur bei Rollenspielen eine Seltenheit, die sonst meist in der europäischen Antike, dem Mittelalter, dem Wilden Westen, dem alten Japan oder einer Hightech-Zukunft angesiedelt sind – und deren Spielfiguren meist aussehen wie ein Europäer, US-Amerikaner oder Asiat. Rollenspiele wie „Aurion“ seien in Afrika nicht gerade eine der beliebtesten Spielgattungen, erzählt Olivier Madiba, Gründer und CEO von Kiro’o:  „Vermutlich auch, weil sich die Spieler hier nicht mit den Charakteren identifizieren können.“

Der Mangel an Identifikationsfiguren war Madiba schon als Kind sauer aufgestoßen. In Douala, Kameruns größter Stadt, führte sein Vater lange eine Videothek, die auch Computerspiele verlieh. Wenn ein neues Spiel reinkam, lud der 1985 geborene Sohn all seine Freunde zum Zocken nach Hause ein. Schon mit 14 Jahren wollte er Spieleentwickler werden, studierte später in der Hauptstadt Yaoundé Informatik und programmierte neben dem Studium mit Freunden kleine Spiele. Mit Anfang 20 gründete Madiba seine erste Firma, einen Webdienstleister. Vor drei Jahren startete er dann Kiro’o, benannt nach einem Ausdruck in der ostafrikanischen Sprache Swahili für „spirituelle Vision“.

Die Bankangestellten dachten, ein „Game-Studio“ sei eine Spielhölle 

Doch bei der Gründung seines Start-ups hatte Madiba zunächst große Probleme, einen Kredit von den örtlichen Banken zu bekommen: Die Bankangestellten dachten, ein „Game-Studio“ sei eine Spielhölle – und damit eine eher dubiose Angelegenheit. Potenzielle ausländische Investoren, die Madiba per E-Mail kontaktierte, hielten ihn dagegen für einen Internetbetrüger. Über mehrere Kanäle hat er dann doch noch ausreichend Geld zusammenbekommen, unter anderem von privaten Investoren aus den großen exilkamerunischen Gemeinden rund um die Welt, die Anteile an Kiro’o  gekauft haben.

Madiba mietet für seine Firma ein kleines Häuschen in einem zentralen Viertel von Yaoundé, hier arbeiten rund 20 Programmierer, Grafiker und Sounddesigner. Zwar unterbrechen Stromausfälle häufiger die Arbeit. Aber wenn die Rechner plötzlich ausgehen, brainstormt Madibas Team halt, und die Grafiker zeichnen auf Papier weiter. Der Chef schwärmt jedenfalls von der guten Informatikausbildung und den niedrigen Produktionskosten in Kamerun. Beides könne sein Studio künftig für große Auftragsproduktionen aus dem Ausland interessant machen. So könnten große Computerspielfirmen hier Teile ihrer umfangreichen Game-Blockbuster programmieren und gestalten lassen – und dabei auch gleich die aufstrebenden afrikanischen Gaming-Märkte im Auge behalten. Die leiden Madiba zufolge allerdings zurzeit noch darunter, dass Datenträger wie DVDs oder CDs sofort raubkopiert werden und schlechte Internetverbindungen den Vertrieb über Downloads ausbremsen.

Die Gaming-Gemeinde schwärmt von der Einzigartigkeit des Spiels

Trotz dieser Widrigkeiten hat Kiro’o Games im April 2016 „Aurion“ veröffentlicht, verkauft wird das Spiel, das sich an erwachsene Gamer richtet, über die Games-Plattform „Steam“. Firmenchef Madiba war es besonders wichtig, dass es die globale Gamer-Gemeinde überzeugt. „Wenn wir ein schlechtes Spiel veröffentlicht hätten“, sagt er, „dann hätten alle gedacht, Afrikaner können halt keine Computerspiele machen.“

Und überzeugt hat „Aurion“ in der Tat: Die Gaming-Gemeinde schwärmt von der Einzigartigkeit des Spiels. Aus der Masse sticht es vor allem mit seinem panafrikanischen Konzept hervor: Es ist, so Madiba, inspiriert von den Traditionen, Bräuchen und Legenden von ganz Subsahara-Afrika. So spiegelt etwa die geheimnisvolle Aurion-Energie den Ahnenkult wider, der sich in vielen afrikanischen Kulturen findet. Die Völker der Spielwelt leiden alle unter einem nicht näher erklärten schrecklichen Ereignis aus der Vergangenheit – was sich auf die traumatischen Erfahrungen von Sklavenjagd und Kolonialisierung beziehen könnte. Auch das Design haben Kiro’os Grafiker auf dem gesamten Kontinent eingesammelt: Spielfiguren tragen etwa an ostafrikanische Maasai-Tücher oder an den Stil der nigerianischen Yoruba angelehnte Kleidung, die Häuser sind zum Teil inspiriert von den Lehmbauten der Stadt Timbuktu im westafrikanischen Mali.

„Es gibt nur eine griechische Mythologie oder einen Wilden Westen – aber allein in Kamerun haben wir mehrere hundert Ethnien mit ihren eigenen Mythen und Traditionen“

Mit dieser Ausstattung unterscheidet sich der Protagonist Prinz Enzo ziemlich von den üblichen Rittern, US-Cowboys oder japanischen Samurais. „Es gibt nur eine griechische Mythologie oder einen Wilden Westen – aber allein in Kamerun haben wir mehrere hundert Ethnien mit ihren eigenen Mythen und Traditionen“, sagt Madiba. „Da sehen wir noch viel Potenzial für neue Geschichten.“

llustration: Theresa Hattinger