Thema – Reichtum

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Warum schenken wir?

Das haben wir den Erziehungswissenschaftler Friedrich Rost gefragt – und erfahren: Es ist kein selbstloser Akt

fluter.de: Wie hat sich das Phänomen des Schenkens entwickelt?

Friedrich Rost: Über das Warum kann man nur Vermutungen anstellen. Aber man weiß, dass es sich aus dem Abgeben und Teilen von Nahrung und Trinkbarem entwickelt hat, worauf auch das Wort „schenken“ hindeutet, das von „einschenken“ abstammt. Später kamen dann Gegenstände dazu. Bald bemerkten Menschen, dass man mit Geschenken Beziehungen aufbauen und festigen kann. Wir schenken, um Zusammenhalt in Beziehungen zu stärken, um Freunde zu gewinnen oder Allianzen gegen andere zu schmieden.

Dann müssen Geschenke in der Außenpolitik eine ganz besondere Bedeutung haben. 

Heutzutage haben sie meist einen rein symbolischen Wert. Es sind ja auch keine Dinge, die man als Amtsträger selbst behalten darf. Das Kanzleramt und auch das Außenministerium unterhalten Kammern für all die Geschenke, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben und die zum Teil auch immer wieder versteigert werden. 

 „Andere anwesende Personen spielen beim Schenken ganz klar eine Rolle“

Aber in der Geschichte war der Wert von politischen Geschenken ein anderer.

Genau. Im Mittelalter hat der kriegerische Adel durch Geschenke versucht, die Gunst des Königs oder eines Herrschers zu erwerben, um bestimmte Allianzen zu stabilisieren und Einfluss zu gewinnen. Eines der berühmtesten Geschenke in der Geschichte dürfte das legendäre Bernsteinzimmer sein, das der preußische „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1717 an den Zaren Peter den Großen übergab. Der hatte 1709 die Vormachtstellung der Schweden an der Ostsee kriegerisch beendet. Das Geschenk sollte Verbundenheit signalisieren und den Zaren für preußische Interessen gewogen machen. Und als Generalsekretär Breschnew einen Mercedes von der Bundesregierung unter Willy Brandt bekam, wird das vielleicht auch eine gewisse Rolle für die Ostpolitik gespielt haben.

Welche Rahmenbedingungen spielen für das Schenken eine Rolle? Es ist ja etwas anderes, ob ich einen Freund beschenke oder meinen Chef.

Bisherige Beziehung, Anlass, Hierarchie, Vermögen, Abhängigkeiten und Rahmen, insbesondere auch andere anwesende Personen spielen beim Schenken ganz klar eine Rolle.

Der Ethnologe Marcel Mauss schrieb 1923 in einem Essay: In der Gabe mischen sich Person und Sache, wer gibt, gibt einen Teil von sich, wer nimmt, macht eine „Fremderfahrung mit dem Anderen“. Sieht die Wissenschaft das immer noch so?

Ja, das würde ich weiterhin unterschreiben, wenngleich es nicht jedem bewusst ist. Wenn ein Geschenk abgelehnt wird, nimmt der Geber das persönlich. Und wer ein Geschenk bekommt, fragt sich: Was hat sich die gebende Person dabei in Bezug auf mich gedacht?

 „Sozialpsychologische Untersuchungen scheinen zu belegen, dass Geben seliger macht als Nehmen“

Drückt sich die Stärke der Botschaft immer im Wert eines Geschenks aus? 

Nein, der materielle Aspekt ist nur einer von mehreren. Die Botschaft, die ein Geschenk übermitteln soll, ist die Wertschätzung der zu beschenkenden Person. Ob die gebende Person die zu beschenkende wahrhaftig wertschätzt und sich diese genügend wertgeschätzt fühlt, darüber schweigen wir in der Regel oder reden darüber nur hinter vorgehaltener Hand. Dennoch haben wir alle die Vorstellung, dass ein ideales Geschenk die empfangende Person beglücken kann.

Was macht glücklicher: schenken oder beschenkt werden?

Über die individuelle Gefühlslage lässt sich nur spekulieren, aber es gibt neuere sozialpsychologische Untersuchungen, die zu belegen scheinen, dass Geben seliger macht als Nehmen.

Haben wir die Bereitschaft zu teilen im Blut, oder wird sie anerzogen? Kindern fällt das in einem gewissen Alter ja oft nicht so leicht.

In der egozentrischen Phase, oft im zweiten oder dritten Lebensjahr, fällt es den Kindern noch schwer zu teilen. Der Wirtschaftshistoriker Bernhard Laum hat Beispiele aus vielen Kulturen gesammelt, wie intensiv diese der nachwachsenden Generation das Abgeben einschärfen, weil Teilen auch eine Grundbedingung für Kooperation darstellt. Dass es vielen Erwachsenen in unserer Kultur so leichtfällt, Kinder zu beschenken, könnte als eine kulturelle Programmierung interpretiert werden: Als Kind bekommt man, als Erwachsener gibt man.

 „Gutscheinverschenker brauchen nur bedingt ein schlechtes Gewissen zu haben“

Das klingt, als wäre Schenken keine rein uneigennützige Angelegenheit. 

Schenken ist kein selbstloser Akt, sosehr sich das mancher auch wünschen mag. Der indische Brahmanismus zum Beispiel hat extra eine Opfer-Form erfunden, bei der das Opfer schon beim kleinsten Gedanken des Gebers an eine Gegenleistung wertlos wird. Aber die Forderung, nicht an eine Gegengabe zu denken, zwingt uns förmlich dazu, daran zu denken. 

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Friedrich Rost (*1949) hat zu „Theorien des Schenkens“ geforscht. Bis zu seinem Ruhestand lehrte er an der Freien Universität Berlin (Foto: privat)

Friedrich Rost hat zu „Theorien des Schenkens“ geforscht. Bis zu seinem Ruhestand lehrte er an der Freien Universität Berlin

(Foto: privat)

Unter dem Weihnachtsbaum folgen Gabe und Gegengabe Schlag auf Schlag.

Das Vertrackte an Weihnachten ist, dass so viele Menschen zu einem Zeitpunkt wechselseitig Geschenke austauschen. Es handelt sich um einen uralten Neujahrsbrauch, den heidnischen Gabentausch, also nicht um Schenken im eigentlichen Sinn. Normalerweise vergeht zwischen Geschenk und Gegengeschenk ja eine gewisse Zeit.

Was finden Sie besser: etwas Gekauftes verschenken, einen Gutschein ausdrucken oder etwas basteln?

Selbstgebasteltes kann durch die Zeit, die in die Herstellung investiert wird, sehr viel wertvoller sein als ein teures Handy. Aber in einer Gegenwart, in der nur das absolut Perfekte zählt, trauen sich viele nicht mehr, Selbstgemachtes zu verschenken. Gerade zu Weihnachten sind so viele Verwandte und Freunde zu bedenken, dass nicht jedes Geschenk ein Volltreffer sein kann. Joel Waldfogel, ein Wirtschaftswissenschaftler, hat errechnet, dass aus diesem Grund viel Geld nutzlos ausgegeben wird. Er plädiert seit vielen Jahren für Gutscheine, die den Empfängern freie Wahl lassen. Gutscheinverschenker brauchen also nur bedingt ein schlechtes Gewissen zu haben.

Titelbild: Trent Parke / Magnum Photos / Agentur Focus

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