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Im Land der klugen Löcher

Bergbau gilt vielen als Symbol für die schmutzige Schwerstarbeit vergangener Tage. In Australien arbeiten Geschäftsleute daran, dass er durch KI künftig etwas smarter wird

Mine

„Das hier ist der Hauptschacht“, sagt Mingma Sherpa, nimmt einen Stift und zeichnet eine gerade Linie auf ein Stück Papier. „Wenn du eine Goldader finden möchtest, muss du vom Hauptschacht Probebohrungen machen, und zwar so.“ Sherpa zeichnet mehrere Striche, die in 45- oder 90-Grad-Winkeln vom ersten Strich abzweigen. „Die Bohrkerne untersuchst du, und mit etwas Glück findest du – zack! – eine neue Goldader.“

Sherpa, 33, leitet die Henty-Goldmine in Queenstown auf der Insel Tasmanien im Süden Australiens. Er sitzt in einem Café, hinter dem abgeholzte Berghänge hervorragen. Queenstown ist eine Minenstadt, hier liefen die Schmelzöfen für Jahrzehnte. Die großen Goldräusche sind vorbei, Henty ist eine der wenigen aktiven Minen in der Gegend.

Was kein Wunder ist: Das Buddeln sei beschwerlich, erzählt Sherpa. Hier suche man noch traditionell nach Gold, Kupfer und anderen Bodenschätzen, über ein Netz von Hunderten Metern Probebohrungen. Minenbetreiber wie Sherpa orientieren sich an bestehenden Schächten, analysieren geologische Karten und nehmen Bodenproben, weil manchmal die Geochemie auf neue Rohstoffvorkommen weist. Das Graben gleicht einer Lotterie, es kostet Geld, Zeit, Energie und Nerven, nicht nur in Tasmanien. Aber die Branche verändere sich, erzählt Sherpa, immer häufiger werde der Bergbau durch künstliche Intelligenz unterstützt. „Für Menschen wie mich ist das ein Traum.“

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Queenstown
Das Empire Hotel wurde zur Zeit des Goldrauschs gegründet. Dahinter der Bahnhof von Queenstown. Von hier wurde das geschürfte Gold zum Meer gebracht

Für Roman Teslyuk ist es zunächst mal ein Geschäft. „Künstliche Intelligenz wird den Bergbau verändern“, sagt er, der es wissen muss: Europa, Naher Osten, arktisches Russland, Teslyuk hat überall auf der Welt nach Rohstoffen gegraben. Heute ist er CEO von Earth AI, einem Unternehmen für KI im Bergbau. Sein Büro liegt in Sydney, rund 1.000 Kilometer Luftlinie entfernt von der Henty-Goldmine. Auf dem Parkplatz steht ein weißer Toyota Land Cruiser, ein Pick-up mit Metallboxen auf der Ladefläche. „Unser Expeditionsmobil“, sagt Teslyuk und klopft mit der Hand auf das Blech der Motorhaube.

„Ohne KI stoßen wir alle zweihundert Probebohrungen auf ein Vorkommen, mit unserer KI bei jeder dreißigsten“

Bevor Teslyuks Expedition startet und er in die Wüste fährt, um nach Rohstoffen zu graben, arbeiten die Computer. „Hier in Australien gibt es Daten zu allen Gesteinsproben, die je im Land entnommen wurden“, erklärt Teslyuk. Earth AI lässt diese geophysischen Daten mit Satellitenbildern der NASA und Drohnenaufnahmen in einer Software zusammenlaufen. Sie lernt, wo in der Vergangenheit Vorkommen lagen, und schlussfolgert daraus, wo neue Vorkommen liegen könnten. Diese Methode reduziere die Plätze, an denen gebohrt werden muss, sagt Teslyuk. „Ohne KI stoßen wir alle zweihundert Probebohrungen auf ein Vorkommen, mit unserer KI bei jeder dreißigsten.“

Noch effizienter wird die Technik, wenn man verschiedene Softwares kombiniert. Zum Beispiel mit der von Tjaart de Wit. Er ist leitender Geophysiker am Institute of Mine Seismology, kurz IMS, das nahe der tasmanischen Hauptstadt Hobart ansässig ist. „Wir lauschen dem Klang der Erde“, sagt de Wit. „Unsere Böden sind voller Geräusche. Bautätigkeiten, Autos, die Wellen des Ozeans, die am Ufer brechen.“ Die Rohstoffe im Boden reagieren wegen ihrer unterschiedlichen Dichte sehr verschieden auf die Wellen. Das IMS setzt seismische Sensoren ein, die diese unterirdische Geräuschkulisse aufzeichnen. Eine künstliche Intelligenz wertet die Wellen aus. Am Ende steht ein 3-D-Modell. „Mit dem können wir bis zu zwei Kilometer tief in den Boden blicken“, sagt de Wit.

Alte Kupfermine in Queenstown
Das hier ist keine Rave-Location, sondern eine alte Kupfermine in Queenstown

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Bohrkerne von Probebohrungen
So sehen Bohrkerne von Probebohrungen aus

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Die Flüsse in Queenstown sind noch heute vergiftet

Die Flüsse in Queenstown sind noch heute vergiftet

Sind neue Vorkommen gefunden, fängt der eigentliche Bergbau an. Equipment und Personal anliefern, Buddeln, Bodenproben auswerten. Andrew Jobs hilft, diesen Vorgang effizienter zu gestalten. Seine Firma Plotlogic ist auf die Echtzeitauswertung von Gesteinen spezialisiert: Sensoren an Baggerschaufeln liefern Informationen über die abgebauten Felsbrocken, etwa über die Dichte des gewünschten Rohstoffs im Gestein. Zwischen Datenerfassung und Auswertung lägen höchstens zwei Minuten, sagt Jobs. Unternehmen hilft das, ihre Abbaupläne laufend zu verbessern und effizienter zu bohren.

Die Entwicklungen im Bergbau sieht Jobs erst als den Anfang eines Wandels in der Branche. „Der Bergbau“, sagt er, „wird durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz zunehmend autonom.“ In Zukunft werde künstliche Intelligenz die Entscheidungsprozesse übernehmen, der Bergbau werde dadurch effizienter und sicherer. Um Arbeitsplätze fürchtet er nicht: Man brauche weiterhin Personal, um die Maschinen zu warten, und andere Stellen würden durch den Einsatz von KI lediglich verlagert. „Ein Physiker, der Gesteinsproben auswertet, muss nicht mehr vor Ort sein. Er kann das aus der Ferne erledigen“, sagt Jobs. Roman Teslyuk von Earth AI sieht sogar neue Arbeitsplätze. „Wir könnten in Australien viel mehr Rohstoffe abbauen, es fehlt nur an Fachkräften.“

Roman Teslyuk

Roman Teslyuk
Für Roman Teslyuk hat der Wandel der Bergbaubranche gerade erst begonnen
 

Mehr Bergbau bedeutet auch: weniger Naturschutz. Die Branche gilt als der viertgrößte Entwaldungstreiber weltweit. Laut Untersuchungen der Wirtschaftsuniversität Wien und des WWF wurden im Umfeld von Rohstoffminen zwischen 2000 und 2020 Waldflächen von der doppelten Größe Deutschlands gerodet. Die Beratungsfirma McKinsey schreibt dem Bergbau bis zu sieben Prozent der globalen Treibhausgasemissionen zu.

Künstliche Intelligenz soll die Suche nach Vorkommen effizienter machen und dadurch den Einsatz fossiler Brennstoffe minimieren. Das lohnt sich vor allem für die Rohstoffproduzenten, die Milliarden sparen; sind die Mineralien aber erst mal gefunden, verändern Minen die Landschaft, schaffen Abraumhalden, setzen Feinstaub und klimaschädliche Gase frei. „Künstliche Intelligenz wird den Einsatz von Probebohrungen minimieren“, sagt Roman Teslyuk von Earth AI, „aber nie ersetzen.“

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.