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Selbstgedrehte: links. Schäferhunde: rechts.

Ob etwas politisch links oder rechts ist, versucht seit neuestem eine Künstliche Intelligenz zu beantworten. Nur: Ist diese Unterscheidung noch zeitgemäß?

Selbst gedrehte Zigaretten rauchen? Ziemlich links-versiffter Move, oder? Jemand mit Schäferhund? Muss ein Rechter sein. Lastenrad? Links. SUV? Rechts. Slackline? Eher links. Wrestling? Tendenziell rechts.

Habt ihr euch schon mal dabei erwischt, Menschen, Gegenstände, Handlungen oder Marken in ein politisches Links-rechts-Schema einzuordnen? Da seid ihr nicht die Einzigen – in Frankreich ist das sogar noch beliebter. Dort kommt es durchaus vor, dass Studierende darüber streiten, welche Biermarken eher links und welche eher rechts sind. Genau das brachte zumindest den Informatiker Théo Delemazure auf eine Idee: Warum nicht einfach eine künstliche Intelligenz entscheiden lassen, um solche Debatten ein für alle Mal zu klären?

In drei Tagen hatte die Seite eine Million Klicks

Also stellte der damals 23-Jährige im Oktober 2022 die Webseite „De gauche ou de droite?“ online. Sie spuckt für jeden eingegebenen Begriff aus, ob er „gauche“ (links) oder „droite“ (rechts) ist. Was als kleiner Spaß unter Freunden begann, entwickelte sich über Nacht zu einem Hit mit einer Million Abfragen in weniger als drei Tagen. Delemazure stellte seine Erfindung sogar live im Fernsehen vor, wo ein Journalist testete, wie das Tool verschiedene französische Politiker einordnet.

„De gauche ou de droite?“ basiert auf einer textbasierten KI namens GPT-3. Auf ihrer Grundlage wurde auch der viel beachtete Chatbot ChatGPT veröffentlicht, der auf viele Fragen verblüffend detaillierte Antworten gibt. Die GPT-3-KI kann mithilfe von ein paar Hinweisen Texte sinnvoll vervollständigen – sie wurde mit Unmengen von Quellen trainiert, darunter zum Beispiel Wikipedia-Artikel und Bücher.

Entsprechend funktioniert auch der Prozess, der unsichtbar im Hintergrund von „De gauche ou de droite?“ abläuft: Bei jeder einzelnen Anfrage wird der KI die relevante Frage – „Links oder rechts?“ – gestellt und ihr anhand mehrerer konkreter Beispiele (etwa: Fahrrad → links, Golf spielen → rechts, Sozialversicherung → links, Geld → rechts) gezeigt, welche Art der Antwort von ihr erwartet wird. Zuletzt kommt der Begriff, den der Nutzer eingegeben hat, wieder gefolgt von einem →. Die KI hat nun verstanden, dass von ihr die Antwort „rechts“ oder „links“ erwartet wird. Und sie kann die Informationen, die sie sich zuvor angelesen hat, derartig intelligent verarbeiten, dass sie zu einer Entscheidung kommt. Einzige Ausnahmen sind Begriffe wie „Sex“ oder „Frankreich“, die Théo Delemazure als rechts und links festgelegt hat. Bekommen die User ihr Ergebnis angezeigt, können sie mit Buttons abstimmen, ob sie der Einordnung zustimmen oder nicht.

Und so ist bei „De gauche ou de droite?“ beispielsweise die Playstation 5 rechts und die Nintendo Switch links. Blau ist rechts, Schwarz und Rot sind hingegen links. Wobei die User den Ergebnissen zustimmen oder sie ablehnen können und sie damit ebenfalls beeinflussen.

Links oder rechts? Alles begann mit der französischen Revolution

Dass die Idee für „De gauche ou de droite?“ aus Frankreich kommt, ist vielleicht kein Zufall. Es gilt als Geburtsland dieser Metapher, die – obwohl wissenschaftlich durchaus umstritten – so prägend für das Verständnis von Politik ist. Entstanden ist sie womöglich bereits im Sommer 1789, zur Zeit der Französischen Revolution, als die Nationalversammlung über eine neue Verfassung verhandelte. Eine der wichtigsten Fragen: Soll der König über ein absolutes Vetorecht verfügen? Die Befürworter setzten sich im Laufe der Debatte rechts des Präsidenten der Nationalversammlung – diejenigen, die für ein eingeschränktes Vetorecht waren, nach links.

Bis heute halten sich viele europäische Parlamente, darunter auch der Deutsche Bundestag, an die Sortierung von links nach rechts. Anders in Großbritannien: Hier sitzt jeweils die regierende Partei rechts und die Opposition immer links.

Nun ist die Frage, wie man zum König steht, heute selten relevant – von rechten und linken Parteien und Lagern hingegen ist permanent die Rede. Was genau aber ist mit „rechts“ und „links“ eigentlich gemeint? Das lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Historisch gesehen, das zeigt sich schon an der Geschichte mit dem französischen König, standen Rechte oft für eine stärkere Obrigkeit und für das Bewahren des Vorhandenen ein, während Linke oft mehr Mitspracherechte für benachteiligte Gruppen einforderten, was lange Zeit automatisch Wandel bedeutete – etwa im Zuge der Arbeiterbewegung. Ökonomisch gesehen gilt ein hoher Grad an staatlicher Planung mit der Forderung nach größerer Gleichheit der Lebensverhältnisse als links, ein freier Wettbewerb mit mehr Eigenverantwortung und weniger Ausgleichsleistungen für sozial Benachteiligte als rechts.

In der Querdenker-Szene vermischen sich öko-alternative Altlinke mit Neurechten und Reichsbürgern

Darüber hinaus versammeln links und rechts im Alltagsverständnis aber weitaus mehr Bedeutungen. So kam die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann einst auf Folgendes: Gleichheit, Gerechtigkeit, Nähe, das „Du“, das Internationale und Kosmopolitische würden als links verstanden, während Betonung der Unterschiede, Autorität, Distanz, das „Sie“ und das Nationale als rechts gelten.

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Heute scheinen sich viele politische Fragen und Phänomene dieser simplen Links-rechts-Binarität zu entziehen. Man denke nur an die Querdenker-Szene, die sich zu Teilen aus einem ökologisch-alternativen, gegenüber der Schulmedizin und damit auch Impfungen skeptischen Milieu gebildet hat, andererseits aber eine Nähe zu neurechten Reichsbürgern aufweist. Oder daran, dass Menschen aus der Arbeiterklasse, die über viele Jahrzehnte von linken Parteien repräsentiert wurden, in Ländern wie Deutschland, den USA oder Frankreich vermehrt rechtere Parteien wählen.

Und ist es eigentlich links, wenn man sich einen höheren Benzinpreis wünscht? Weil er die Verkehrswende beschleunigen und somit die Umwelt schützen könnte? Oder ist ein höherer Benzinpreis rechts, weil er für arme Menschen kaum noch finanzierbar ist und so Ungleichheiten verstärkt?

 

Es ist also kompliziert, und was Menschen politisch mit den Begriffen „rechts“ und „links“ verbinden, ist immer auch abhängig von aktuellen Konfliktlinien, von Zeit und Ort. So gilt es in den USA beispielsweise als links, eine Sozialversicherung für alle zu befürworten, was in Deutschland für die meisten Parteien jedweder Ausrichtung Konsens ist. Zudem sagen die einzelnen Dinge, Farben, Tätigkeiten an sich nichts über politische Einstellungen aus: Natürlich kann auch jemand, der sich politisch rechts verortet, jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder jemand aus der linken Szene Freude am Golfspielen haben.

Das zeigt spätestens ein Blick in die deutsche Version von „De gauche ou de droite?“. Die kommt mitunter auf andere Antworten als das Original: Französische Wölfe stehen politisch links, während deutsche Wölfe rechts sind. Es kommt halt immer auf den Kontext an.

Titelbild: Maria Sturm/Connected Archives – Ute Mahler/OSTKREUZ

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