Nonhle Mbuthumas rote Bluse leuchtet hell auf, als sie die saftige grüne Wiese überquert. Die 39-jährige zierliche Südafrikanerin ist auf dem Weg in ihre Gemeinde, die Amadiba Community in der Pondoland-Region an der östlichen Küste Südafrikas. Blühende Gräser neigen sich im Wind, ein Fluss durchquert die Wiesen, einige Meilen weiter wird er im Ozean münden.
Früher, als ihr Leben noch nicht kopfstand, führte Nonhle manchmal als Tourguide Touristen durch die Landschaft, die vereinzelt zum Wandern in die fast unberührte Natur kommen. „Unsere Gegend hat die schönste und ursprünglichste Natur Südafrikas“, sagt sie stolz. Doch für Nonhle und ihre Gemeinde hat das Land eine größere Bedeutung als seine bloße natürliche Schönheit.
Die Community lebt fast ausschließlich von den Erträgen ihres Bodens
„Das Land ist unsere Existenz. Es versorgt uns mit Nahrung, unser Vieh weidet darauf, selbst unsere Häuser bauen wir aus dem Lehm der Erde“, sagt Nonhle. Ihre Gemeinde lebt fast vollständig von Subsistenzwirtschaft, also von dem, was die Menschen zur Selbstversorgung anbauen. Und da die Region zu den fruchtbarsten Südafrikas gehört, deckt die Community mit Ackerbau und Fischerei nicht nur ihren Eigenbedarf, sondern beliefert auch einige Supermärkte des Landes. Neben der materiellen Bedeutung des Landes betont Nonhle aber auch die kulturelle: „Unsere Ahnen liegen hier begraben. Unser Glaube, unsere Traditionen und unsere Kultur sind untrennbar mit dem Land verbunden. Es ist nicht nur unsere Lebensgrundlage, sondern auch Teil unserer Identität.“
Für deren Erhaltung muss die Gemeinde jedoch schon seit Jahren kämpfen. Denn seit 1996 versucht das australische Bergbauunternehmen Mineral Commodities an Titanvorkommen im Boden der Pondoland-Region zu gelangen. Wird dem Großprojekt zugestimmt, müssten 70 Haushalte gegen ihren Willen umgesiedelt werden. 200 weitere würden durch den Tagebau den Zugang zu fruchtbarem Land, sauberer Luft, Trinkwasser und dem Ozean als Nahrungsquelle verlieren – was früher oder später auch sie zur Umsiedlung zwingen würde. Die Jobs im Tagebau, die das Unternehmen verspricht, sind Nonhles Einschätzung zufolge nur auf zwei Jahrzehnte angelegt: zu wenig, so sagen die Kritiker*innen des Projektes, um Familien nachhaltige finanzielle Sicherheit zu bieten, aber genug, um anhaltende gesundheitliche Schäden zu verursachen. Industrieller Bergbau, so die Befürchtung, würde alle Grundlagen der Gemeinde zerstören: ein wirtschaftlicher, ökologischer, sozialer und spiritueller Identitätsverlust.
Die weiße Bevölkerung macht nur acht Prozent der Bevölkerung aus, besitzt aber 72 Prozent des Landes
In Südafrika ist Land und seine ungleiche Verteilung ein großes Thema – ein Erbe des Apartheidsregimes, das schwarzen Menschen per Gesetz verbot, Land außerhalb der wenigen zugewiesenen Gebiete zu besitzen. Zwar wurden die Apartheidsgesetze in den 1990er-Jahren nach und nach außer Kraft gesetzt. Doch noch heute besitzt die weiße Minderheit, die nur gut acht Prozent der Bevölkerung ausmacht, laut dem staatlichen „Land Audit Report“ 2017 noch 72 Prozent des Landes. Das souveräne und selbstbestimmte Leben der Gemeinden in Pondoland ist somit eine Seltenheit, für die sie stets kämpfen mussten. Schon Ende der 1950er-Jahre formierte sich starker Widerstand gegen die Landpolitik der Regierung, der während der mehrere Jahre andauernden „Pondoland-Revolte“ zum Teil auch gewalttätig wurde. Doch nun droht durch die Bergbaupläne einzutreten, was selbst Gesetze der Apartheid nie schafften: die Entfremdung der Gemeinde vom eigenen Grund und Boden.
Also gründeten Nonhle und andere Bewohner*innen der Region 2007 das Amadiba Crisis Committee (ACC), um Widerstand gegen die geplante Entwicklung zu leisten. Als das südafrikanische Ministerium für Mineralrohstoffe dem australischen Bergbauunternehmen im Jahr 2008 eine Lizenz für Probebohrungen ausstellte, legte das Komitee Einspruch ein und blockierte das Projekt für einige Jahre erfolgreich.
Doch der lokale Widerstand ist nicht nur der Firma, sondern auch der investitionsorientierten Regierung ein Dorn im Auge. Um die Pondoland-Region besser an Handelsrouten anzubinden und das Bergbauprojekt zu vereinfachen, wurde ohne Zustimmung der lokalen Gemeinden der Ausbau der längsten Schnellstraße des Landes geplant. Als dagegen vehementer Protest aufkam, entthronte die Regierung 2011 kurzerhand den Pondo-König – das traditionelle Oberhaupt der Region – und ersetzte ihn durch einen Nachfolger, der den Bergbau und das Straßenprojekt befürwortet. Nach einem langwierigen Gerichtsprozess wurde die Aktion schließlich für verfassungswidrig erklärt. Doch in der Zwischenzeit war der alte Pondo-König verstorben.
„Was für eine Form von Entwicklung soll das sein, wenn wir durch sie alles verlieren?“
– Nonhle Mbuthuma
Zamile Qunya ist ebenfalls in der Region geboren und aufgewachsen. Er ist ein entfernter Cousin von Nonhle, doch im Bergbaukonflikt steht er auf der anderen Seite. „Wir müssen dem Bergbau eine Chance geben, denn er bedeutet Entwicklung“, sagt er. „Die Menschen in der Gegend sind arm, viele tragen noch nicht einmal Schuhe.“ Qunya arbeitet seit 2004 für Transworld Energy and Minerals Resources (TEM), die südafrikanische Tochterfirma des australischen Bergbauunternehmens. Gleichzeitig ist er Direktor und Mitgründer der regionalen Firma Xolco, die sich im Namen von TEM um die Bergbaulizenz bemüht. Er ist eine der treibenden Kräfte hinter der Realisierung des Großprojekts.
„Wie können wir ‚arm‘ sein, wenn wir unser Land besitzen?“, widerspricht Nonhle vehement. „Wir erwirtschaften Mais, Süßkartoffeln, Kartoffeln, Zwiebeln, Spinat, Karotten, Limonen und Guaven auf unseren Feldern; wir essen Fisch, Fleisch und Eier. Wir gehören definitiv nicht zu dem Teil der südafrikanischen Bevölkerung, der hungrig zu Bett geht.“ Für sie ist der Kampf gegen das Bergbauprojekt auch ein Kampf für das Recht auf eine selbstbestimmte Entwicklung ihrer Gemeinde. „Was für eine Form von Entwicklung soll das sein, wenn wir durch sie alles verlieren?“
2015 verstärkten sich von Neuem die Versuche, das Bergbauprojekt durchzusetzen. Immer häufiger tauchten nun Qunya und weitere Vertreter von TEM und Xolco in der Region auf, um technische Untersuchungen durchzuführen und Bodenproben zu entnehmen. Erneut gab es Widerstand. Als die Firmenwagen anrollten, blockierten Dutzende ACC-Aktivist*innen den Weg, Seite an Seite mit anderen Gemeindemitgliedern jeden Alters. Befreiungslieder aus den Zeiten der Apartheid ertönten. Mehrmals musste die Delegation unverrichteter Dinge abfahren.
Für das Projekt Postcards from Xolobeni porträtierte der britische, in Südafrika lebende Fotograf Thom Pierce 32 Bewohner und Bewohnerinnen der gleichnamigen Gemeinde in Pondoland – und fragte nach, wie sie zu dem geplanten Bergbau stehen. Die aus Xhosa ins Englische übersetzten Statements mussten ganz schön eingekürzt werden, um auf Postkarten zu passen. Adressiert wurden die Karten natürlich an: das australische Bergbauunternehmen Mineral Commodities
Doch der anhaltende Widerstand blieb nicht ohne Folgen. 2016 tauchten Fremde in der Gemeinde auf und erschossen Sikhosiphi Rhadebe, den Vorsitzenden des Krisenkomitees. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt. „Er ist nicht das erste Opfer des Bergbauprojekts“, sagt Mzamo Dlamini, ein weiteres ACC-Mitglied. „Auch andere Mitglieder des Komitees und der Dorfgemeinschaft starben schon auf rätselhafte Art und Weise.“ Laut Mzamo ist Sikhosiphi Rhadebe schon die fünfzehnte Person aus der Community, die sich gegen das Projekt aussprach und daraufhin eines unnatürlichen Todes starb.
„Sikhosiphi wusste, dass es eine ‚Todesliste‘ gab“, ergänzt Nonhle. Auch ihr Name stünde auf dieser Liste, habe er ihr damals erzählt. Seit seinem Tod wird Nonhle deshalb stets von einem Bodyguard begleitet und wechselt ständig ihren Wohnort. „Sie manipulieren die Dorfgemeinschaft und arbeiten mit Einschüchterungen. Immer wieder gibt es anonyme Todesdrohungen.“
Die Community ist mittlerweile gespalten. Der Amadiba-Chief Lunga Baleni, der dem Bergbau lange kritisch gegenüberstand, wurde 2014 zum Direktor von Xolco ernannt. Ein Jahr darauf wurde er auch Direktor von TEM. Seitdem bemüht er sich gemeinsam mit Geschäftsmann Qunya, das Bergbauprojekt durchzusetzen. Er sei von dessen Wichtigkeit für die Gemeinde überzeugt, sagt er. Er fahre plötzlich ein großes Auto, sagen kritische Gemeindemitglieder.
In Südafrika müssen Bergbaukonzerne die Zustimmung der jeweiligen Gemeinden einholen...
Dass lokale Führungspersonen mit lukrativen Positionen ins Vorhaben der Unternehmen eingegliedert werden, um ihre Einwilligung zu erhalten, sei keine Seltenheit, betont die Southern African Campaign To Dismantle Corporate Power – ein länderübergreifendes Bündnis, das sich für Rechte von Communitys einsetzt. „Es gibt zunehmend mehr Fälle, in denen lokale Anführer die Interessen ihrer Gemeinde missachten, wenn sie von den Aktivitäten transnationaler Konzerne profitieren“, kritisiert das Bündnis in einem Statement.
Das südafrikanische Gesetz schreibt vor, dass betroffene Gemeinden zuerst ihre Zustimmung geben müssen. Doch die komplexe, schwer verständliche Rechtslage, fehlende finanzielle Kapazitäten, geringe öffentliche Aufmerksamkeit und ein generell ungleiches Machtverhältnis zwischen multinationalen Bergbaukonzernen und lokalen Gemeinden machen es Konzernen leicht, die Verhandlungen mit den Gemeinden zu ihren Gunsten zu entscheiden. Deswegen mobilisieren das Amadiba-Krisenkomitee und Dutzende weitere Organisationen nun im Rahmen der Kampagne #Right2SayNO für ihr Recht, Nein zum Bergbau und zu fremden Entwicklungsplänen zu sagen.
…oft genug müssen Betroffene aber vor Gericht ziehen, damit ihr Einspruch auch gehört wird
„Wenn du in Südafrika recht bekommen willst“, sagt Nonhle, „dann musst du dein Recht vor Gericht einklagen.“ Deswegen klagte ihre Community letzten Monat gegen die südafrikanische Regierung. Wenn sie diesen Prozess gewinnen – das war allen im Voraus klar –, wäre das eine historisch bedeutende Entscheidung für betroffene Gemeinden nicht nur in Südafrika.
Am 25. April 2018, nach drei langen Tagen Gerichtsverhandlung vor dem Obersten Gerichtshof in Pretoria, beschließt die Richterin, die Urteilsverkündung zunächst auszusetzen, um weitere Perspektiven und Hintergrundinformationen sammeln zu können. „Reserved decision“ nennt sich solch ein Beschluss. Eine Entscheidung, die auf die Tragweite des Falles hinweist.
Nonhle und ihrer Community steht nun wahrscheinlich ein langer Weg durch die Gerichtsinstanzen bevor. Der jahrzehntelange Kampf für die Anerkennung ihrer Lebensgrundlage und Identität geht also weiter.