Das Heft – Nr. 91

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„Da bin ich ein bisschen ausgetickt“

Hat eine mehr zu melden als die andere, ist der Streit schnell vorbei. Eine Lehrerin und eine Schülerin über Machtpositionen und Prinzipienreiterei

Fight Club

fluter: Rechthaber, Hitzköpfe und People Pleaser: In der Schule treffen unterschiedliche Streittypen aufeinander. Wo würdet ihr euch selbst verorten?

Anne (61): Ich bin eher der Typ, der das Gespräch sucht. Ich habe ein starkes Bedürfnis, Lösungen zu finden, und kann nicht damit umgehen, wenn Unbehagen im Raum ist.

Malak (16): Das ist bei mir auch so, besonders bei nahestehenden Menschen. Bei anderen neige ich dazu, direkt in den Angriff zu gehen. Ich muss nicht jeden mögen, nicht jeder muss mich mögen.

Wie ist das, wenn du Stress mit deinen Lehrerinnen und Lehrern hast?

Malak: Kommt nicht oft vor. Aber wenn ich meine, irgendwas ist nicht fair, spreche ich es an. Bei der Notenvergabe habe ich meist das längste Gespräch: Ich will verstehen, warum ich so bewertet wurde. Einmal hatten eine Mitschülerin und ich dieselben Lösungen in einer Mathearbeit, trotzdem hatte ich eine Fünf und sie eine Vier. Der Lehrer hat sich rausgeredet, statt mir zu erklären, was falsch war. Da bin ich ein bisschen ausgetickt.

Trauen sich alle Schülerinnen und Schüler, so in den Konflikt zu gehen, Anne?

Anne: Durch das Leistungssystem, in dem die Schülerinnen und Schüler ständig beobachtet und bewertet werden, befürchten sie Nachteile und trauen sich nicht immer. Mir ist wichtig, dass sie wissen: Wir können über Unstimmigkeiten sprechen. Ich muss nicht für alles Verständnis haben, aber offen sein für Dialog. Es dauert, dieses Vertrauensverhältnis aufzubauen. Aber wenn man es vernünftig macht, verliere ich als Lehrerin nicht das Gesicht, auch wenn ich mal etwas nicht richtig mache.

„Das System macht uns zu Autoritäten. Das müssen wir auch vermitteln. Mir geht es aber viel mehr darum, dass wir uns gegenseitig respektieren“

Ist es dir wichtig, von deiner Klasse als Autoritätsperson wahrgenommen zu werden?

Anne: Das System macht uns zu Autoritäten. Das müssen wir auch vermitteln. Mir geht es aber viel mehr darum, dass wir uns gegenseitig respektieren.

Malak: Lehrer sollten Autoritätspersonen sein. Wenn der Unterricht nur aus Späßen besteht und der Lehrer bei jedem Satz unterbrochen wird, nimmt man ihn irgendwann nicht mehr ernst. Aber fürchten darf man sich auch nicht.

Anne: Ein Problem mit der Autorität ist, dass ich als Lehrerin manchmal Prinzipien umsetzen muss, von denen ich selbst nicht überzeugt bin. Bei uns ist es zum Beispiel verboten, den Hof zu verlassen. Schülerinnen und Schüler, die in der Pause zur Bäckerei gegenüber laufen, muss ich verwarnen. Ich würde den Jugendlichen gern auch erlauben, freitags zu den Klimademos zu gehen. Darf ich aber nicht. Es gibt einige Regeln, die ich mir anders wünsche, an denen ich aber nicht rütteln kann. Dieses Machtverhältnis kann man nicht völlig beiseiteschieben.

Bei Konflikten innerhalb der Klasse spielt das weniger eine Rolle. Welchen Unterschied macht es, mit wem man streitet?

Malak: Wenn wir mit Lehrern streiten, geht es meist um schulische Sachen. Dabei hat man immer im Kopf, der Lehrer steht über mir, wir sind keine Kumpels. Deswegen hätte ich auch nicht gewollt, dass meine Klassenlehrerin hier mit mir im Interview sitzt. Da festigt sich vielleicht ein Bild. Bei Konflikten mit Schülern kann man sich auch mal anschnauzen, da ist man auf Augenhöhe. Aber mit Lehrern musst du vorsichtig sein. Zumindest, wenn du noch gute Noten schreiben willst.

Dieser Text ist im fluter Nr. 91 „Streiten“ erschienen

Wie kann man trotz des Machtgefälles gut streiten?

Malak: Wenn ein Lehrer mitbekommt, der Schüler hat Angst, ein Problem anzusprechen, sollte er mal nachfragen. Das würde vielen Schülern zeigen, dass sich etwas ändern kann, wenn man es nur anspricht.

Anne: Uns Lehrerinnen und Lehrern muss unsere Machtposition bewusst sein. Wir haben für eine gleichberechtigte Streitatmosphäre zu sorgen. Dafür müssen die Strukturen stimmen: Wenn wir einen Streit haben, holen wir eine neutrale Person dazu. Oft hat man Sorge, dass andere etwas vom Streit mitbekommen. Aber es ist nie schlecht, sich Hilfe zu holen. Das müssen wir lernen.

Malak: Wenn wir Schüler uns unfair behandelt fühlen, sollten wir trotzdem versuchen, einander zu verstehen. Lehrer sind auch nur Menschen. Das vergisst man schon mal.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.