Das Heft – Nr. 78

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Schöne Idee (die wir uns gleich patentieren lassen)

Wenn Firmen Patente auf Pflanzen und Rezepte anmelden, wird das Wissen indigener Gruppen gern mal ausgebeutet

Die Brühe ist trüb und schmeckt bitter. Sie macht den Mund taub, sie löst den Stress und sorgt für Entspannung.

Seit Jahrhunderten trinken Menschen im Südpazifik Kava, auf Inseln wie Fidschi, Vanuatu oder Hawaii. Die Zubereitung ist je nach Region unterschiedlich. Grundlage ist die Wurzel des Kavastrauchs, klein gehackt oder zermahlen. Eine unscheinbare Pflanze mit herzförmigen Blättern, die überall in der Region wächst.

Für viele Ureinwohner ist Kava mehr als ein Getränk. Es ist Teil ihrer Identität. Es gibt unzählige Mythen, Geschichten und Rituale um die Kavapflanze. Als traditionelle Medizin wird Kava auch gegen Schlaflosigkeit, Beschwerden in den Wechseljahren und zur Behandlung von Harnwegsinfektionen eingesetzt. Die Bauern haben die Pflanze kultiviert, sie haben sie widerstandsfähig gemacht, den Ertrag erhöht, ihre Wirkung studiert.

Seit einigen Jahren taucht die Pflanze in immer mehr industrialisierten Ländern auf. In New York und Sydney trinken Menschen Kava mittlerweile in schicken Bars. Food-Firmen verkaufen es als Tee oder in Kapselform als Nahrungsergänzungsmittel, Pharmaunternehmen entwickeln Medikamente.

Der australische Wissenschaftler Daniel Robinson von der University of New South Wales fürchtet, dass die traditionellen Gemeinschaften durch die weltweite Vermarktung den Zugang zu ihrer Pflanze verlieren könnten. „Ich bin besorgt, dass sich Wissenschaftler das Wissen indigener Gruppen aneignen und Firmen dieses Wissen patentieren“, sagt Robinson, der bereits 200 Patente und Patentanträge rund um Kava in internationalen Datenbanken gefunden hat. Einige Anwendungen liegen verdächtig nah an der Art, wie die Menschen im Südpazifik traditionell Kava nutzen.

Was, wenn eine Firma den bestimmten Gebrauch einer Pflanze patentieren lässt, die zuvor alle frei nutzen konnten?

Patente garantieren ihren Anmeldern die ausschließlichen Rechte an einer Erfindung, niemand darf sie in derselben Art verwenden. Was aber, wenn eine Firma den bestimmten Gebrauch einer Pflanze patentieren lässt, die zuvor alle frei nutzen konnten? Oder den Prozess, mit dem sie einen Wirkstoff aus einer Pflanze gewinnen? Was, wenn dieser Prozess derselbe ist, den traditionelle Gemeinschaften seit Jahrhunderten praktizieren?

Aktivisten und Forscher sprechen dann oft von Biopiraterie und meinen damit die Aneignung von Pflanzen und traditionellem Wissen durch große Konzerne. Mehr als drei Viertel der weltweiten Biodiversität befinden sich im globalen Süden, vor allem in den Regenwäldern. Die meisten Patente werden jedoch von Firmen des globalen Nordens angemeldet.

Daniel Robinson forscht seit fast zwei Jahrzehnten zu Fällen von möglicher Biopiraterie, beispielsweise zu Jasminreis in Thailand oder Arganöl in Nordafrika. Vor Kurzem hat er sich mit einer Kosmetikfirma angelegt, weil das Unternehmen in Australien ein Patent rund um die Buschpflaume angemeldet hatte, die Frucht mit dem höchsten Vitamin-C- Gehalt weltweit. Sie wächst nur im Norden Australiens, indigene Gruppen kultivieren sie seit Langem.

Robinson hat grundsätzlich nichts dagegen, wenn Firmen Pflanzen und das Wissen traditioneller Gemeinschaften nutzen. Die Frage sei, ob und wie die Menschen beteiligt würden, die dieses Wissen seit Jahrtausenden hüten und weiterentwickeln.

„Access and Benefit Sharing“ heißt das im internationalen Recht: Zugang und Vorteilsausgleich. Dazu sind zum Beispiel Regeln im Internationalen Übereinkommen über die biologische Vielfalt festgeschrieben, dem sich über 190 Staaten, darunter auch Deutschland, verpflichtet haben. In einem zusätzlichen Dokument, dem Nagoya-Protokoll, werden die Regeln konkretisiert. Vor der kommerziellen Nutzung einer Pflanze muss etwa die Zustimmung indigener Gruppen eingeholt und eine Beteiligung an den Profiten ausgehandelt werden, zum Beispiel Geld oder Zugang zu Technologie.

Robinson hilft dabei, die Vorschriften aus dem Nagoya-Protokoll umzusetzen. Er legt Beschwerde gegen Patente ein. Und er versucht, wo es geht, alle Parteien an einen Tisch zu bekommen. Die Unternehmen, die traditionellen Gemeinschaften, die Regierungen. „Bei Kava ist die Sache schwierig“, sagt er. Die Pflanze sei einfach schon zu lange im Umlauf, man könne nicht genau sagen, wer sie wann aus dem Südpazifik mitgenommen hat.

Fragt man Mariam Mayet ein paar Tausend Kilometer weiter in Südafrika nach den internationalen Vorschriften, die Robinson anzuwenden versucht, wird sie laut. „Wir glauben nicht an diese Regeln“, sagt sie. „Sie ändern nichts an den ungleichen Machtverhältnissen.“

Mariam Mayet leitet das „African Centre for Biodiversity“ in Johannesburg, seit vielen Jahren kämpft sie für die Rechte indigener Gruppen und gegen die Saatgut- und Pharmaindustrie. Saatgutunternehmen haben mit Patenten etwa auf Reis, der gegen Schädlinge resistent ist und dessen Saat immer wieder neu gekauft werden muss, Millionen Bauern in Indien in eine existenzielle Krise getrieben. 2010 schaffte es Mariam Mayet gemeinsam mit anderen NGOs, dass ein deutsches Pharmaunternehmen mehrere Patente auf die Kapland-Pelargonie zurückzog, die vor allem in Südafrika wächst. Die Pflanze soll das Immunsystem stärken und gegen Erkältungen helfen. Mayet spricht mit Bauern und Gemeinschaften in ganz Afrika – und sie versucht, deren Stimme in internationale Diskussionen zu tragen.

„Was weltweit passiert, ist nicht weit weg von einer legalen Kolonisierung unserer Ressourcen im globalen Süden“, sagt sie. Am Ende dürfe ein einzelner Akteur, ein Unternehmen oder eine Universität, Geld mit der Natur verdienen. Mit etwas, das eigentlich allen gehört. Geld als Ausgleich sei nicht die Lösung, sagt sie. Es spalte die Gemeinschaften.

Vergangenes Jahr stieß Mayet auf eine mögliche neue Art der Biopiraterie. Es ging um eine Kartoffel, die ein britisch-US-amerikanisches Konsortium in Ostafrika exklusiv vertreiben wollte. In das Erbgut hatte man Gene anderer Kartoffelarten eingeschleust, um die Knollen gegen die Kartoffelfäule resistent zu machen. Die Gene stammen wohl von Kartoffeln, die in Argentinien und Mexiko gesammelt wurden. Nur: Das Institut besaß diese Kartoffeln gar nicht. Es lud sich die DNA-Sequenzen der Gene einfach aus einer öffentlichen Datenbank herunter, wie eine Bauanleitung.

Die Folgen dieser „digitalen Sequenzinformationen“ werden auf internationalen Konferenzen zwischen den Staaten gerade heftig diskutiert. Ist das Aneignung? Wer muss entschädigt werden? Wer zahlt die Entschädigung? Wer behält bei den vielen Datenbanken den Überblick? Die Ergebnisse sollen in internationale Verträge einfließen.

„Wir müssen so viele Ressourcen wie möglich im Besitz der Allgemeinheit halten“

Bei der Genkartoffel wurden weder Bauern in Mexiko noch in Argentinien oder Peru gefragt oder beteiligt. Mayet hat den Fall gemeinsam mit peruanischen NGOs aufgearbeitet, wo die Kartoffel für indigene Gruppen eine wichtige Rolle spielt. „Unsere Freunde in Peru waren empört“, sagt sie. Für Mayet und ihre Kollegen sind die Eigenschaften der Knollen das Resultat jahrhundertelanger Züchtungen südamerikanischer Bauern. „Das gehört den Unternehmen einfach nicht.“

Die Aktivistin Mayet und der Forscher Robinson verfolgen dasselbe Ziel. Sie wollen die Rechte traditioneller Gemeinschaften schützen. Und doch prallen bei ihnen zwei Welten aufeinander. Robinson glaubt an das internationale System, an Institutionen, die einen gerechten Vorteilsausgleich schaffen. An Firmen, die Ureinwohner an Gewinnen beteiligen. An die vorherige Zustimmung traditioneller Gemeinschaften. Wenn das System funktioniert, wäre das ein gerechter Zugang für alle.

Mayet lehnt das ab. Sie sieht den Menschen in einer Symbiose mit seiner Umwelt. Geben und Nehmen, alles ist mit allem verbunden, alles gehört allen. Ein Einzelner dürfe sich nicht zum Herrscher über die Natur aufschwingen. „Wir sind gegen die Inwertsetzung der Natur“, sagt Mayet. „Wir müssen so viele Ressourcen wie möglich im Besitz der Allgemeinheit halten.“ Das wäre ein gerechter Zugang für alle.

Der Forscher Robinson hat gerade mehrere Mails an ein Kosmetikunternehmen aus Los Angeles geschrieben, das für seine Cremes zwei Nussarten aus dem Südpazifik nutzt. Er sieht gute Chancen für eine Einigung, auch wenn das Unternehmen bisher nicht geantwortet hat. Mayet organisiert zurzeit einen Workshop mit einem Richter aus Ecuador. Dort sind die Rechte der Natur in der Verfassung verankert. Das, sagt sie, könnte ein Puzzleteil auf dem Weg zu einer Lösung sein.

Titelbild: Kirstin Scholtz/World Surf League via Getty Images

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