Mit der Biodiversität ist es eine merkwürdige Sache. Schon lange weiß man, dass sie massiv bedroht ist. Und eine Mehrheit der Menschen würde vermutlich sofort bestätigen, dass sie dringend erhalten werden sollte. Dennoch kommen alle Bemühungen, die nötigen Veränderungen einzuleiten und den Schutz der Biodiversität durch verbindliche Abkommen auf internationaler Ebene politisch voranzubringen, nur schleppend voran.
Was genau soll Biodiversität sein?
Biodiversität meint die genetische Vielfalt innerhalb und zwischen Arten sowie die Vielfalt der Ökosysteme und Landschaftsregionen. Sie ist in vielerlei Hinsicht die Grundlage für unser Leben als Menschen und das Gedeihen unserer Gesellschaft. Die Landwirtschaft, unsere Ernährung und Gesundheit, ja, unser schieres Überleben hängen langfristig davon ab, dass es auf der Erde funktionierende Ökosysteme mit einer Vielzahl von Arten gibt. Laut einer 2019 veröffentlichten Studie des Weltbiodiversitätsrats, der 2012 von den Vereinten Nationen gegründet wurde, ist aber eine Million der weltweit circa acht Millionen erfassten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.
Bei den Gründen dafür wird zwischen direkten und indirekten Treibern unterschieden. Direkte Treiber sind zum Beispiel die aktive Zerstörung der Lebensräume von Pflanzen und Tieren sowie der Klimawandel und auch die Übernutzung durch die Landwirtschaft. Indirekte Treiber sind Faktoren wie die Bevölkerungszunahme oder Konsumgewohnheiten. Auch durch die schiere Menge an Ressourcen, die durch uns Menschen genutzt werden, ist auf 75 Prozent der weltweiten Landoberfläche die Qualität der Böden inzwischen deutlich verändert, sind 66 Prozent der Meeresfläche in Mitleidenschaft gezogen und über 85 Prozent der Feuchtgebiete bereits verloren gegangen – alles Lebensräume für Tiere und Pflanzen.
Indem bei Ackerbau und Viehzucht mehrheitlich auf industrielle Methoden wie Massentierhaltung und großflächige Verwendung von Pestiziden gesetzt wird, kann zwar kurzfristig die Produktivität erhöht werden, langfristig gefährdet dieses Landwirtschaften aber die zukünftige Ernährung aller Menschen. Denn zu etwa drei Vierteln hängt die weltweite Nahrungsmittelproduktion von Bestäubern wie zum Beispiel Insekten, Vögeln oder Fledermäusen ab, denen durch das Vordringen der Landwirtschaft und ihren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln die Lebensgrundlage entzogen wird. Wichtige Obstbäume wie der Apfel- oder Birnbaum werden ausschließlich von Insekten bestäubt.
… und warum wird nicht genug für sie unternommen?
Bereits seit den 1970er-Jahren wird in der Politik über den dramatischen Verlust von Biodiversität diskutiert. Das erste bereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt trat Ende 1993 in Kraft. Diese „Biodiversitätskonvention“ zählt heute 196 Vertragspartner, nur der Vatikan und die USA haben sie bisher nicht ratifiziert. Alle zwei Jahre treffen sich die Vertragsstaaten, um den Stand der Umsetzung abzugleichen und sieweiter voranzutreiben. Im Jahr 2000 wurde Biodiversität auch in den Katalog der UN-Millenniumsentwicklungsziele aufgenommen. Doch trotz Absichtserklärungen ist eine Wende nicht in Sicht.
Experten können für das bisherige Scheitern konkrete Gründe benennen: Einerseits wird zu wenig Geld für den Naturschutz ausgegeben, andererseits stehen andere Politikfelder und ihre Lobbys im Weg. So werden Massentierhaltung, der großräumige Einsatz von Pestiziden und riesige Flächen mit Monokulturen mit Verweis auf die globale Konkurrenz gerechtfertigt. Und während das Bundesumweltministerium dringend anmahnt, eine schonendere Landwirtschaft verstärkt finanziell zu fördern, ist das Landwirtschaftsministerium zurückhaltender. Aber auch das Konsumverhalten der Menschen, das weiterhin auf großen Ressourcenverbrauch angelegt ist, steht einem Wandel entgegen.
Laut aktuellen Umfragen entwickeln jedoch wachsende Teile der Gesellschaft eine positive Haltung zum Schutz der Umwelt – ein Trend, der auch die Politik beeinflussen könnte, die Weichen für den Erhalt der Biodiversität anders zu stellen. Im chinesischen Kunming soll im Laufe dieses Jahres die nächste Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention stattfinden. Dort sollen nicht nur neue Ziele vereinbart werden. Im Kern geht es in dem Vertragsentwurf darum, wie die gelebten wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Modelle verändert werden müssen, um den weiteren Verlust von Biodiversität zu stoppen.