Mit sieben war ich bei meinem ersten Cheerleading-Training. Damals hatte ich gerade den Highschool-Cheerleading-Film „Girls United“ geschaut und war von den Choreos und dem Teamgeist total begeistert. Deshalb habe ich meiner Mutter gesagt: Das will ich auch machen.
Mittlerweile trainiere ich in Hamburg beim HSV und im deutschen Nationalteam. Insgesamt kommen da pro Woche in der Hochsaison 20 Trainingsstunden (inklusive Krafttraining) zusammen. Für mich ist der Sport neben meinem Studium genauso zeitaufwendig wie mein Werksstudentinnenjob bei einem Modelabel. Da Cheerleading ein Sport ist, bei dem man sehr aufeinander angewiesen ist, müssen Trainings auf Leistungsniveau hoch priorisiert werden. Entsprechend definiert es meinen Alltag, und ich muss auch mal andere Freizeitaktivitäten absagen. Es ist sehr schade, dass Cheerleading von vielen Menschen noch nicht als ein eigenständiger Sport wahrgenommen wird. Dahin gehend muss noch viel Aufklärung passieren. Wenn ich Leuten erzähle, wie viel und intensiv ich trainiere, höre ich oft, dass sie das gar nicht erwartet hätten.
„Die typischen Pompons, die man aus Highschool-Filmen kennt, spielen beim Wettkampf-Cheerleading keine große Rolle“
Ursprünglich habe ich mit Sideline-Cheerleading begonnen, also Cheerleading, das Spiele eines Footballteams begleitet. Durch meinen Vereinswechsel habe ich begonnen selbst an Cheerleading-Wettkämpfen teilzunehmen. In Deutschland werden diese beiden Arten von Cheerleading von verschiedenen Vereinen betreut. Die CVD (Cheerleader Vereinigung Deutschland) ist direkt an Football geknüpft. Der Unterschied zum CCVD, also dem Cheerleading und Cheerperformance Verband Deutschland, ist ähnlich wie bei den Netflix-Dokumentationen über die Cheerleader der Dallas Cowboys und des Navarro College. Die Dallas Cowboys Cheerleader führen einen „Cheer Dance“ während der Spiele ihres Footballteams auf , bei dem Akrobatik keine große Rolle spielt. Die Navarro College Cheerleader kommen dem Leistungssport im Deutschen Nationalteam deutlich näher. Die typischen Pompons, die man aus Highschool-Filmen kennt, spielen beim Wettkampf-Cheerleading keine große Rolle. Wir nutzen sie lediglich zu Beginn vor unserer Choreo, um das Publikum zu animieren. Diesen Unterschied kennen die meisten nicht.
Im Nationalteam kommen Leute aus ganz Deutschland einmal im Monat am Wochenende zusammen, um gemeinsam zu trainieren. Das ist total wichtig, damit die Choreo, Techniken und auch Pyramiden funktionieren. Der Kader für die Weltmeisterschaft steht noch nicht fest. Jedes Jahr im April finden die ICU Worlds in Orlando in den USA statt. 2023 hat Deutschland dort den fünften Platz belegt. Um ins Nationalteam zu kommen, müssen wir uns in Viererteams bewerben – eine Flyer, die bei den Stunts in die Luft geworfen wird, zwei Bases, die die Flyer werfen und fangen, und eine Backspot, die hinten steht und die Flyer auffangen kann, falls etwas schiefläuft. Beim Auswahltraining wird dann entschieden, ob man als Gruppe weiter zum Nationaltraining eingeladen wird. Auch dann steht man noch lange nicht in Orlando auf der Matte, genauso gut kann man Ersatz sein oder in den Perspektivkader kommen, der zwar mittrainiert und gefördert wird, aber nicht zur WM fährt.
„Die Kleidung, die wir zum Training und zu Meisterschaften tragen, ist immer wieder Thema. Der Rock ist nach wie vor relativ kurz, aber wir treten heute mit langen Ärmeln und bedecktem Bauch auf“
2025 wäre mein fünftes Jahr in Orlando. Gerade trainieren wir mit 14 Vierergruppen, im Wettkampfkader sind am Ende aber nur sechs. Natürlich stehen wir deshalb im Training in Konkurrenz. Diese Ungewissheit kann zu Spannungen führen, so wie in jedem Sport. Ich finde es wichtig, dass unsere Coaches die Verantwortung übernehmen und transparent und wertschätzend kommunizieren. Im Team Germany zu sein bedeutet, dass man auf jeden Fall mehr Zeit ins Training investieren muss.
Die Kleidung, die wir zum Training und zu Meisterschaften tragen, ist immer wieder Thema. In den vergangenen drei Jahren hat sich das geändert. Bis dato waren unsere Uniformen bauchfrei. Der Rock ist nach wie vor relativ kurz, aber wir treten heute mit langen Ärmeln und bedecktem Bauch auf. Das finde ich echt super. Ich fühle mich so viel wohler und bin nicht immer darauf bedacht, wie ich gerade aussehe. Das entspannt mich. Dass der Rock kurz ist, ergibt Sinn: Wir Flyer werden viel an der Hüfte und am Oberschenkel gegriffen, es ist eben ein Kontaktsport. Bei Stunts und Pyramiden wäre es gefährlich abzurutschen. Wir benutzen auch flüssiges Magnesium, um besser greifen zu können.
Der Sport vereint auf jeden Fall verschiedene Körpertypen. Die kleinsten Sportlerinnen in einem Viererteam sind meistens die Flyer, weil sie am einfachsten zu heben und zu werfen sind. Die zwei Bases haben mehr Kraft. Eine genaue Vorgabe, wie groß man sein sollte, gibt es nicht. Es kommt immer darauf an, wie eine Vierergruppe zusammengesetzt ist. Ich gehöre mit 1,67 Meter zu den großen Flyern im Nationalteam. Backspots sind meistens die größten in einer Stuntgroup.
„Ich kenne viele, die Kalorien zählen und wenig essen“
Flyer ist die beliebteste Rolle im Team. Ich finde das schade, da Cheerleading ein Teamsport und nicht nur die eine Position ist. Zudem bringt die Flyer-Position auch die meisten Schwierigkeiten mit sich, zum Beispiel das Gefühl, gesehen zu werden, wenn etwas nicht funktioniert. Das Körperbild ist besonders bei den Flyern ein großes Thema. Da ist es wichtig, dass man ein gesundes Verhältnis zu seinem eigenen Körper behält. Ich kenne viele, die Kalorien zählen und wenig essen. Auch die Trainerinnen oder die Abteilungsleitung des Teams bekommen so was mit und fragen dann nach. In den letzten Jahren gab es einige Fälle, in denen sie sich deshalb mit den Eltern in Verbindung gesetzt haben. Ich habe beschlossen, mich nicht mehr zu wiegen. Mir ist es am wichtigsten, mich gesund und stark zu fühlen, und ich ernähre mich dementsprechend. Ich bin echt froh darüber, dass es mir leichtfällt, mich nicht so sehr mit den anderen zu vergleichen.
Es wäre schon ein Traum von mir, als Cheerleaderin für Deutschland antreten zu dürfen. Der Weltverband International Cheer Union (ICU) wurde 2021 vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als vollwertiges Mitglied anerkannt. Der nächste Schritt nach der IOC-Aufnahme ist die Anerkennung von Cheerleading als olympische Disziplin, um damit ein Teil der Olympischen Spiele werden zu können. Dieses Jahr in Paris hat das leider noch nicht geklappt. Die Hoffnung für Olympia gebe ich noch nicht auf.
Fotos: Jonas Wicker