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So ist es, ich zu sein: Fußballschiedsrichter

Patrick Ittrich pfeift seit vielen Jahren Bundesligaspiele. Dafür muss man führungsstark, selbstkritisch und entscheidungsschnell sein, sagt er. Und auch den Hass mancher Fans ertragen

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Patrick Ittrich

Ich sage immer: Man merkt beim ersten Mal Pfeifen, ob es einem Spaß macht oder nicht. Mit Fußball angefangen habe ich als Fünfjähriger beim Mümmelmannsberger SV in Hamburg. Mit 15 Jahren, das war 1994, habe ich dann den Schiedsrichterschein gemacht, weil zwei Mannschaftskollegen meinten, das sei so toll. Man lernt an einem Wochenende die Theorie und muss dann ein Spiel pfeifen, irgendwo in der Jugendliga. Damals wusste ich sofort, dass mir das richtig gut gefällt!

Beim zweiten oder dritten Spiel war dann zufällig ein Talentförderer dabei, und so bin ich in ein Förderprogramm gekommen. Ich habe jede Liga gepfiffen, von unten nach oben durch. Das muss so.


„Auf dem Platz hat man mit unterschiedlichen Charakteren zu tun, die man alle führen muss, damit es nicht eskaliert“

Am Anfang geht es gar nicht darum, alle Regeln sicher zu kennen. Viel wichtiger ist ein Gefühl fürs Spiel. Auf dem Platz hat man mit unterschiedlichen Charakteren zu tun, die man alle führen muss, damit es nicht eskaliert. Dafür braucht man bestimmte Eigenschaften: Man muss selbstkritisch und selbstbewusst sein, Entscheidungen treffen, Organisationstalent haben und das alles sofort abrufen können.

2016 wurde ich vom DFB in die Fußballbundesliga berufen. Da war ich schon 36 Jahre alt, einer der ältesten Aufsteiger seit vielen Jahren. Man könnte dann davon leben, aber als Schiedsrichter ist man selbstständig, und wenn man krank ist, bekommt man kein Geld. Ich arbeite deshalb noch immer 20 Stunden die Woche  als Polizist – in meinem eigentlichen Beruf. 

Das schönste Spiel meiner Karriere war mein erstes Bundesligaspiel, Wolfsburg gegen Ingolstadt, im Februar 2016. Das lief unfassbar gut, ohne Gelbe Karten. Nicht so gut lief es zum Beispiel bei einem anderen Spiel in Wolfsburg, auch Bundesliga, damals gegen Schalke. Da gab es viele Situationen mit dem Videoassistenten, und ich wurde später von der Presse zerfleischt. Das hat mich schon deprimiert, weil ich sehr ehrgeizig und perfektionistisch bin.

Durch den Videoassistenten bekomme ich ja immer sofort mit, was richtig oder falsch war. Ich muss die Situation dann für mich abschließen und mich auf die nächste konzentrieren. Das Schlimmste, was dir als Schiri während eines Spiels passieren kann, ist Akzeptanzverlust. Dann wirst du praktisch ausgelacht von Trainern, Mannschaften, Spielern. In solchen Momenten wünscht man sich einfach, dass das Spiel bald vorbei ist.

„Wenn ein Spiel nicht gut gelaufen ist, gebe ich mir zwei Tage Zeit um das zu analysieren, dann mache ich einen Haken dran. Das ist professionelles Arbeiten“

Ich bin natürlich auch nicht fehlerfrei. Wenn ein Spiel wirklich nicht gut gelaufen ist, gebe ich mir zwei Tage Zeit, um das zu analysieren, und dann mache ich einen Haken dahinter, denn sonst könnte ich gar nicht mehr pfeifen. Das ist professionelles Arbeiten.

Wenn ich nicht gut war, gebe ich das aber auch vor den Spielern zu. Es geht immer darum, sie gerecht zu behandeln und berechenbar zu sein. Wenn das kippt, kann es laut werden auf dem Spielfeld. Dann kommen sie an und wollen etwas erklärt bekommen. Manche bleiben ruhig, andere brüllen. Das ist sehr speziell an diesem Job: Die Selbstverständlichkeit, mit der gebrüllt wird auf dem Platz. In anderen Kontexten wäre das undenkbar.

Ich kann damit umgehen, meine Arbeit sind Ermessensentscheidungen, das bringt viel Emotionalität mit sich. Ein gängiger Spruch auf dem Feld ist: Du hast jede 50:50-Entscheidung gegen uns getroffen. Das sagt aber meistens nur der Verlierer zu mir. Manchmal kommt es auch in den Stadionkatakomben oder in der Kabine zu Gesprächen nach dem Spiel, dann zeige ich gerne mal die Foulstatistik: „Guck mal, was erzählst du mir da eigentlich?“ Um ein bisschen Objektivität reinzubringen. 

„Was geht in Menschen vor, die ins Internet schreiben, Schiri, ich weiß, wo du wohnst oder parkst?“

Die neue Regelung bei der EM, dass nur noch die Kapitäne zum Schiedsrichter kommen, finde ich gut, um Rudelbildung zu vermeiden. Allerdings verliert man so auch ein bisschen den Bezug zu den anderen Spielern, das kann auch zu schlechter Stimmung auf dem Platz führen. Mit 45 Jahren bin ich aber schon ein alter Hase, so oft passiert es mir nicht mehr, dass Spieler diskutieren oder ich von ihnen angeschrien werde.

Bei Fans gibt es das hingegen immer wieder. Oft gucke ich in wütende Gesichter. Wenn ich zum Spielertunnel gehe, rennen manchmal Fans von der Tribüne dorthin und beschimpfen mich. Ich denke, sie sind eigentlich mit ihrer Mannschaft unzufrieden und kanalisieren das dann so. Manchmal bleibe ich auch stehen und frage: Was habe ich heute falsch gemacht? Als Antwort kommt dann nur ein Pöbeln: Ist doch egal, das war alles scheiße. Und ich frage zurück: Was war denn ganz konkret scheiße? Was habe ich falsch gemacht, dass dein Verein verloren hat?

Fußball hat sich in den letzten Jahren noch mal mehr emotionalisiert, weil da mittlerweile so viel Geld im Spiel ist. Sieg und Niederlage entscheiden über Auf- und Abstieg, über viel Kohle für einen Verein, und dadurch heizt sich die Stimmung noch mehr auf.

Für meine Social-Media-Kanäle habe ich eine Person, die Kommentare vorfiltert. Ich versuche, die sachliche Kritik daraus schon ernst zu nehmen. Wenn sich die bei einem Spiel häuft, mache ich mir Gedanken. Aber ich lese mir nicht jeden Scheiß durch. Harte Beleidigungen und Morddrohungen zeige ich auch an. Was geht in Menschen vor, die schreiben, Schiri, ich weiß, wo du wohnst oder parkst, wenn es einfach nur um Fußball geht?

Titelbild: Alexander Hassenstein/Getty Images

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.