Der Eingang zum Camp der Bauarbeiter ist ein Tor, wie man es sonst an buddhistischen Tempeln findet. Blau und irgendwie fremd steht es in der Berglandschaft von Montenegro. Auf dem Gelände dahinter reihen sich weiße Containergebäude mit blauen Dächern aneinander. Was aussieht wie ein modernes Flüchtlingslager, ist für viele Jahre das Zuhause von gut 3.000 Arbeitern, die China nach Montenegro gebracht hat. Sie sollen die Bar-Boljare-Autobahn bauen, ein gigantisches Infrastrukturprojekt, das dem Balkanstaat Wohlstand bringen soll.
Highway to Hell?
Das Land ist etwas kleiner als Schleswig-Holstein, hat rund 620.000 Einwohner und gehört zu den ärmsten Staaten Europas. Lange schon träumte man von einer Autobahn, die quer durchs gebirgige Land führt und die Küste mit dem Nachbarland Serbien verbindet. Wer mit dem Auto aus dem Norden in die knapp 100 Kilometer entfernte Hauptstadt Podgorica fahren will, braucht für die Strecke ungefähr fünf Stunden. Auf der Straße, die in scharfen Kurven verläuft, sind schon über 500 Menschen gestorben.
Als eine staatliche chinesische Bank 2008 anbot, den Bau zu finanzieren, zögerte man nicht lange. Ein infrastrukturell dringendes Projekt, sagte die montenegrinische Regierung. Die Autobahn ermögliche es nicht nur, Waren zu transportieren, sie werde auch Tourismus bringen und Investoren für andere wirtschaftliche Projekte anlocken.
Milka Tadić Mijović (54), Journalistin und Begründerin des Centre for Investigative Journalism Montenegro:
Wenn wir den Kredit der Chinesen nicht zurückzahlen können, haben sie das Recht, sich alles außer diplomatischem Besitz in Montenegro anzueignen. Der Deal hat unsere Auslandsverschuldung um 30 Prozent erhöht. Sie war davor schon hoch. Aber jetzt ist sie weit über der Grenze, die wir laut Maastricht-Vertrag erreichen dürfen, wenn wir Mitglied der EU werden wollen.
Miloš Konatar (37), ehemaliger Parlamentsabgeordneter der Oppositionspartei URA:
Die Autobahn ist das größte Bauprojekt der modernen Geschichte Montenegros. Im Großen und Ganzen sind alle Montenegriner dafür. Aber die Frage ist: Wer bezahlt das und wovon? Unsere Staatsverschuldung belief sich im Jahr 2006 auf 700 Millionen, jetzt liegt sie bei 3,4 Milliarden Dollar. Wir Parlamentsabgeordnete haben den Vertrag mit den Chinesen nie gesehen, er wird wie ein Staatsgeheimnis gehütet.
Die chinesische Exim-Bank leiht vielen Ländern Geld für infrastrukturelle Projekte – bevorzugt denen, die selber keines haben. China verfolgt damit seine Belt-and-Road-Initiative, ein Netz aus Straßen, Schienen und Seeverbindungen, das es ermöglicht, chinesische Waren in alle Welt zu transportieren.
Von China aus führen Wege über Kasachstan, Russland, die Ukraine und den Balkan bis nach Mitteleuropa. Eine andere Strecke verläuft über eine Entfernung von 11.000 Kilometern über Weißrussland und Polen bis nach Duisburg – dem bisherigen Endpunkt. Für China ist der dortige Hafen ein wichtiger Logistikpunkt. 35 chinesische Züge kommen dort inzwischen jede Woche an.
Weil Duisburg wirtschaftlich unabhängig von China ist, profitiert die Stadt von der „Neuen Seidenstraße“, wie die Belt-and-Road-Initiative auch genannt wird. Anders sieht es in Montenegro aus. Der Kredit hat die Verschuldung des Landes stark erhöht, sie könnte den geplanten EU-Beitritt gefährden. Sollte Montenegro seine Schulden nicht zurückzahlen können, könnte es dem Hafen von Bar genauso gehen wie dem größten Hafen von Sri Lanka: China erließ dem Land einen Teil seiner Schulden, erhielt dafür einen „Pachtvertrag“ über 99 Jahre. In Kirgistan, wo China Straßenprojekte verwirklichte, sind die Schulden bei der Exim-Bank von neun Millionen auf 1,7 Milliarden Dollar gestiegen. China hält nun 42 Prozent der kirgisischen Auslandsverschuldung.
Liu Jin, Chinas Botschafter in Montenegro:
Ich verstehe nicht, warum es so viel Kritik gibt. Wir helfen Montenegro, wirtschaftlich voranzukommen. Es bekommt von uns nicht nur einen Kredit, sondern auch unsere Expertise, um diese Autobahn in schwierigem Gelände zu bauen. Sie wird dem Land einen wirtschaftlichen Schub geben, mit den Einnahmen daraus kann das Land den Kredit zurückzahlen. Wir haben das alles mit der montenegrinischen Regierung durchgerechnet. Wir übernehmen große Verantwortung in der Welt.
Hier entsteht die teuerste Autobahn Europas
Das Versprechen der Regierung, dass das teure Autobahnprojekt Wohlstand für alle bringt, verblasst spätestens, wenn man sich einige Kilometer von der vorgesehenen Trasse entfernt und über schlecht asphaltierte und enge Straßen in die Bergdörfer fährt. Verlassen stehen hier die Häuser, es gibt keine Läden, keine Schule, wenig Leben. Vom Tourismusboom, den Montenegro besonders an seiner Küste in den vergangenen Jahren erlebt hat, ist hier nichts zu spüren.
Kojo Lakušić (67), Bauer im Dorf Lijeva Rijeka:
Ich habe 127 Euro Rente aus meiner Zeit als Fabrikarbeiter. Wir bauen alles, was wir brauchen, selber an, wir halten Schweine, Kühe und Hühner. Manchmal kommen unsere Kinder und bringen uns Dinge, die wir nicht bezahlen können, vor allem Medikamente. Im Radio haben sie gesagt, die Autobahn würde allen nützen, auch jenen, die wie wir in den Dörfern wohnen. Sie würde Tourismus bringen. Aber unser Dorf liegt weitab an einer schlechten Landstraße. Die müssten sie sanieren, aber das wird nicht passieren. Wenn wir Glück haben, kommt mit der neuen Autobahn Elektrizität in unser Dorf.
Slobodan Vešović (62), Restaurantbesitzer im Dorf Veruš:
Ich bin für die Autobahn. Wir alle wissen, wie schön Montenegro ist, aber ohne eine vernünftige Straße ist all die Schönheit verschwendet. Ich habe eine Forellenzucht, und seit sich das im Camp der Chinesen rumgesprochen hat, kommen die Chinesen jedes Wochenende, um frischen Fisch zu kaufen. Nicht die einfachen Arbeiter, die bleiben immer im Camp. Dort gibt es alles, was sie brauchen, die sind vollkommen autark. Für mich ist es gut, dass die Chinesen hier sind. Aber da bin ich die Ausnahme: Normale Leute profitieren nicht von denen, nur die mit der Regierung verwandten oder befreundeten Unternehmer.
Im September sollen die ersten 43 der insgesamt 163 geplanten Autobahnkilometer fertig sein. Bislang ist unklar, wie Montenegro die zwei weiteren Bauabschnitte finanzieren will. Wenn die Trasse fertig ist, werden 1.000 Meter Höhenunterschied überwunden, 40 Brücken und 90 Tunnel gebaut sein. Mit 25 Millionen Euro Kosten pro Kilometer entsteht hier die teuerste Piste Europas.
Sowohl die Europäische Union als auch die Weltbank sehen eine zu große Diskrepanz zwischen Kosten und wirtschaftlichem Nutzen, sie wollen sich nicht an der Finanzierung beteiligen. Außerdem haben in- und ausländische Wirtschaftsexperten errechnet, dass eine Rückzahlung des ersten Kredits, die ab diesem Jahr erfolgen soll, kaum möglich ist. Der einzige Interessent für den zweiten Bauabschnitt ist bislang die chinesische Exim-Bank.