
„Wie haben die es geschafft, Freundschaften im echten Leben zu finden?”
Viele junge Menschen fühlen sich einsam. Unser Autor hat drei von ihnen gefragt, wie sich diese Einsamkeit anfühlt und warum sie so schwer loszuwerden ist
„Bei meinem Bruder wurden Depressionen diagnostiziert. Und bei mir auch. Das ist etwas, worin Einsamkeit münden kann“
Milena*, 17
Einsamkeit ist schwer zu beschreiben. Manchmal kickt sie abends, wenn ich allein bin. Aber manchmal – und das ist noch viel schlimmer – in Situationen, in denen ich von anderen Leuten umgeben bin. Das fühlt sich so surreal an. Als ob ich in dem Moment gar nicht wirklich lebe, sondern von außen auf mich und die Situation blicke.
Wenn ich merke, dass ich mich einsam fühle, suche ich mir Menschen, bei denen ich mich schnell wohlfühle. Zum Beispiel meine beste Freundin, mein Freund, mein Bruder oder meine Mutter. Weil ich es hasse, dann allein zu sein. Das versuche ich zu vermeiden.
In meiner Schule gab es ein paar Sozialpädagogen. Mit einem habe ich mich einmal die Woche getroffen und gequatscht. Ich konnte mit ihm über alles reden, das war schon fast freundschaftlich. Irgendwann habe ich ihn als Vorbild gesehen. Er hat mich sogar auf meinen Job im Jugendzentrum gebracht und dazu inspiriert, Musik zu machen. Jetzt spiele ich Gitarre und habe angefangen zu singen.
Wenn es dir über Wochen hinweg psychisch schlecht geht, du suizidale Gedanken hast oder glaubst, sie bei anderen festzustellen: Hol dir Hilfe. Zum Beispiel anonym, kostenlos (und egal zu welcher Uhrzeit) bei der Telefonseelsorge: 0800/1110111 oder 0800/1110222 oder online.
In den letzten Jahren ist viel passiert. Meine Mutter leidet an Depressionen. Bei meinem Bruder wurden Depressionen diagnostiziert. Und bei mir auch. Das ist etwas, worin Einsamkeit münden kann.
Leider sind viele im Umgang mit emotional vorbelasteten Kindern überhaupt nicht aufgeklärt, auch das Lehrpersonal nicht. Sie sagen dann „Stellt euch nicht so an, früher gab es das auch nicht. Da ist man einfach weiter zur Schule gegangen“ und stellen psychische Probleme mit einer Erkältung gleich. Das ist so vermessen. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe einen Selbstmordversuch hinter mir.
Aber es ist nicht nur Schlechtes passiert. Ich habe meinen Mittleren Schulabschluss geschafft, habe einen richtig tollen Freund an meiner Seite, einen Job im Jugendzentrum, bei dem ich sehr gut ankomme. Dort verstehe ich mich mit allen richtig gut. Das gibt mir sehr viel im Moment.
„Manchmal glaube ich, dass Menschen gar nicht realisieren, wie doll es wehtut, ersetzt zu werden“
Sebastian*, 19
Wenn ich auf Instagram sehe, wie andere mit ihren Freunden abhängen und zusammen lachen, während ich nur in meinem Zimmer sitze, werde ich eifersüchtig. Wie haben die es geschafft, Freundschaften im echten Leben zu finden?
Ich habe eigentlich nur Online-Freunde, die ich beim Spielen von Survival Games auf dem Computer kennengelernt habe. Und wenn man schon mehrmals zusammen gespielt hat und sich die Leute dann plötzlich nicht mehr melden, ist das hart für mich. Diese Leute sind für mich mehr als nur eine User-ID. Manchmal glaube ich, dass Menschen gar nicht realisieren, wie doll es wehtut, ersetzt zu werden. Oder ausgenutzt zu werden. Wenn man jemanden nicht mehr braucht, dann schmeißt man ihn einfach weg.
Wenn die Einsamkeit mich besonders belastet, dann hilft es mir, mit dem Hund meiner Eltern spazieren zu gehen, ihn zu streicheln oder manchmal auch ein bisschen zu ärgern. Das lenkt halt ab. Außerdem habe ich mich schon mal an eine professionelle Gruppe gewandt. Aber da sind auch keine längeren Bekanntschaften entstanden.
Ich war schon immer einsam. Auch schon als junger Schüler. Ich traue mich aber auch nicht so sehr, auf Leute zuzugehen. Aus Angst, enttäuscht zu werden. Umso schöner ist es, wenn die Initiative von der anderen Person kommt und jemand Interesse an mir zeigt.
Gerade bin ich der Psychiatrie, hier gibt es eine Person, der es genauso geht wie mir, die auch sehr einsam ist. Wir sind kürzlich zusammen auf ein Zimmer gezogen. In der Klinik gehen wir gemeinsam zu Therapien. Wenn es in den Gruppentherapien Teamaufgaben gibt, dann gucken wir uns immer direkt an. Ich verstehe mich wirklich gut mit ihm, wir sind auf einem guten Stand. Vielleicht erwächst daraus ja sogar eine Freundschaft.

Foto: Chiara Bonetti / Connected Archives
„Ironischerweise hilft mir gegen die Einsamkeit manchmal das Alleinsein“
Tamara*, 17
Einsamkeit ist für mich, wenn man sich ausgeschlossen fühlt. Als Kind war es bei mir besonders schlimm. Ich habe die zweite Schulklasse übersprungen, war dadurch immer ein oder zwei Jahre jünger als die anderen. Ich habe aber auch sehr nischige Interessen. Zum Beispiel habe ich fünf Jahre lang in einem Orchester Blockflöte gespielt. Es gibt echt wenige Menschen, die so was machen. Und ohne gemeinsame Interessen ist es schwierig, eine tiefere Bindung zu anderen aufzubauen. Das fällt mir auch heute noch schwer.
Eigentlich bin ich gerne allein. Aber in dem Moment, wo ich das Gefühl bekomme, zu wenig mit Leuten zu machen, fühle ich mich einsam. Auch jetzt im Studium. Wenn ich sehe, dass andere schon nach einem Semester eine gute Verbindung zueinander haben, frage ich mich: Warum habe ich diese Connection nicht?
Ironischerweise hilft mir gegen die Einsamkeit manchmal das Alleinsein. Ich kann in dieser Zeit sehr gut reflektieren und denke an die Menschen, die ich schon länger kenne. So mache ich mir bewusst: Um andere besser kennenzulernen, brauche ich einfach länger als andere und muss Geduld haben.
Als ich professionelle Angebote am meisten gebraucht hätte, war ich noch viel zu jung, um meine Einsamkeit überhaupt zu begreifen. Damals habe ich viel gelesen. Die Figuren aus meinem Lieblingsbuch sind immer ins Jugendzentrum gegangen. Ich glaube, so was hätte mir als Kind gutgetan. Einfach hingehen, mit anderen abhängen, Spaß haben.
Mein Papa hat gesagt, ich solle lieber nicht öffentlich so persönlich über Einsamkeit sprechen. Weil es für mein Image nicht gut sei, falls ich später mal in die Politik gehen sollte. Und das hat mich ehrlicherweise schockiert. Auch wenn ich weiß, dass er es nicht böse meint. Aber er hat eben die Auffassung, dass es nicht gut angesehen ist, wenn man mit Einsamkeit in Verbindung gebracht wird. Und das sagt ja eigentlich alles über das Stigma in der Gesellschaft aus.
* Anm. d. Red.: Zum Schutz der Privatsphäre haben wir die Namen der Protagonist:innen geändert.
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Titelbild: Ronja-Elina Kappl / Connected Archives