Clit. Mackablut. Hoes b4 Bros. PMS Ultras. Viele Botschaften sind simpel, sie müssen simpel sein: Beim Graffiti geht es darum, sich in die Stadt einzuschreiben. Für Max (ein Pseudonym, der echte Name soll hier geheim bleiben) und zwei Freundinnen begann alles im ersten Corona-Lockdown. „Wir waren viel mehr draußen. Da fiel uns auf, wie viel rassistischer und antisemitischer Mist an die Wände getaggt war“, sagt Max. „Den konnten wir nicht stehen lassen.“ Also: Dosen raus, den Kiez korrigieren. Heute hat ihre Graffiti-Crew zehn Mitglieder.
Sie sind Azubis, Studierende und Mütter, Servicekräfte, Wohlsituierte und Prekäre; und allesamt FLINTA*, also Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender Personen. Mehrmals im Monat geht die Crew zusammen los. Religiöse Orte sind tabu, Einfamilienhäuser auch. Sie besprühen Wände und Innenräume, auch mal ein Dach oder einen ganzen Waggon. „Ein Motiv über die ganze Länge, bestimmt 25 Meter“, erzählt Max. Viele halten das für Vandalismus, Graffiti kann strafbar sein. Für andere sind solche Bilder öffentliche Kunst.
Für ein Motiv, das an prominenter Stelle ein paar Tage stehen bleibt, riskieren Sprayer viel: Geldbußen und hohe Anwaltskosten, Jugendstrafen, manchmal, wenn sie auf U-Bahnen surfen oder über Starkstromleitungen klettern, ihr Leben. „Rennen, klettern, sich was trauen: Sprühen verlangt viele Attribute, die unsere Gesellschaft Männern zuschreibt“, sagt Max. Lange schien die Graffitiszene one big boys’ club zu sein. Junge Männer, die oberkörperfrei vor ihren Pieces posieren, die ihre Skizzen ausstellen, deren Aktionen zigtausendfach auf YouTube angeschaut werden. Dabei waren Frauen schon immer dabei, oft stilprägend – wie Lady Pink oder die Frankfurterin Hera von Herakut. „Der weibliche Einfluss wird sichtbarer“, sagt Max. „Aber wir leben im Patriarchat. Und Graffiti ist wie jede Subkultur irgendwie auch nur die Gesellschaft im Kleinen.“
Das Sprühen kam in den 1980er-Jahren aus den USA. Wie so oft waren Unternehmen schnell dabei, sich die Gegenkultur einzuverleiben. Heute wird Graffiti als Form moderner Malerei besprochen, Banksy ist einer der bekanntesten Künstler, Street-Artists gestalten Seidenschals für Louis Vuitton. Diese Kommerzialisierung reicht bis Neukölln: Viele Sprayer machen Auftragsarbeiten und geben Workshops. Max ist das egal. Sprühen sei nun mal ein teures Hobby. „Und ich kenne niemanden, der nur legal malt.“
Dieser Text ist im fluter Nr. 88 „Neukölln” erschienen.
Das ganze Heft findet ihr hier.
Anmerkung, September 2024: Wir haben aus der Leserschaft den Hinweis bekommen, dass das Graffiti im Titelbild von einer anderen Crew stammt – und bitten um Entschuldigung.