Bald wird wieder getrauert – die Vorfreude ist groß. Es ist Mitte Juli, und bis Aschura fehlen nur wenige Tage. Dann beklagen weltweit Millionen schiitische Muslime den Tod von Imam Husain, eines Enkels des Propheten Mohammed, der bei der Schlacht von Kerbela im heutigen Irak gefallen ist.
In der Imam-Riza-Moschee in Berlin-Neukölln laufen die Vorbereitungen schon auf Hochtouren. Manche verzieren die Wände mit Bannern, andere kaufen Lebensmittel für die Aschura-Speisen oder prüfen die Lautsprecher. Mansour, einer der Moscheebesucher, Anfang 30, zeigt mir Videos vom letzten Aschura-Fest. Ein großer Raum voller schwarz gekleideter Männer ist zu sehen, sie schlagen sich zum Rhythmus hypnotischer Klänge mit den Fäusten auf die Brust und stoßen dabei kehlige Trauerrufe aus. Der dunkle, überfüllte Raum, die rhythmischen Bewegungen und die Musik haben für einen Westeuropäer etwas von einem Tanzclub.
Die Gläubigen finanzieren die Imam-Riza-Moschee selbst
Für Mansour ist Imam Husain ein Vorbild für Gerechtigkeit und Freiheit. Und der Gedenktag seines Todes der Höhepunkt des Jahres. Trotz der Trauer freut er sich auf das Fest. Er fühle sich danach gereinigt, wie neugeboren.
Von außen ist die Imam-Riza-Moschee unauffällig. Nur die orientalisch verzierten Fenster und eine LED-Anzeigetafel mit der Inschrift „Islamisches Zentrum Imam Riza“ über dem Eingang weisen darauf hin, dass sich in dem Haus in der Reuterstraße in Berlin-Neukölln ein Gebetsort befindet.
Im Gegensatz zu einigen anderen Moscheen in Deutschland steht hinter der Imam-Riza-Moschee laut eigener Aussage kein großer Geldgeber – keine Stiftungen, keine Staaten wie Saudi-Arabien, Türkei oder Iran –, sondern die Moscheebesucher selbst: schiitische Türken, Aserbaidschaner, Afghanen und Iraner. Sie finanzieren die Moschee durch einen freiwilligen Beitrag an einen Solidaritätsverein: Wer kann, der gibt. Neben religiösen Veranstaltungen gibt es in der Moschee auch kulturelle Events, etwa das persische Neujahrsfest und Sprachkurse.
Doch außerhalb ihrer Mauern hat die Moschee keinen guten Ruf. 2020 wurde laut Medienberichten eine Gedenkfeier für den von den USA getöteten iranischen General Qassem Soleimani, der auf der EU-Terrorliste stand, abgehalten. „Die Moscheebesucher huldigen einem Mörder und Terroristen“, titelte „Die Welt“. Der „Tagesspiegel“ zitierte deutsche Sicherheitskreise, wonach sich in der Moschee auch Anhänger der Hisbollah treffen, einer radikalschiitischen Organisation aus dem Libanon, gegen die in Deutschland ein Betätigungsverbot gilt. Auf Nachfrage bestätigt der Bundesverfassungsschutz, weiterhin Hinweise zu haben, dass einzelne Mitglieder und Besucher der Moschee dem iranischen Regime und der Hisbollah nahestehen.
Als ich im Februar dieses Jahres zum ersten Mal in der Imam-Riza-Moschee bin, weiß ich nichts davon. Mansour hat mich eingeladen, ich komme als Freund. Ich kenne ihn seit mehreren Jahren, auch seine Geschichte: die Privatschule, die er in Afghanistan leitete, sein Motto, Männer und Frauen gemeinsam studieren zu lassen, die Drohungen der Taliban, schließlich die Flucht nach Deutschland.
„Ihr könnt nicht sagen: ‚Ich bin zugleich Demokrat und Schiit.‘ Nein, das geht nicht“
Wir sind spät dran. Das Gebet ist zu Ende, aber einige Gläubige, Jugendliche mit Oberlippenflaum und Männer im Alter von Mansour, sitzen noch auf den Teppichen rund um den Ältesten der Gruppe versammelt, einen bärtigen Mann Mitte 40, der Fragen rund um den Glauben beantwortet. Auch ich darf Fragen stellen, selbst heikle Fragen, etwa über die politische Vereinnahmung des Glaubens durch die Mullahs im Iran. Er sagt, das stehe außerhalb seines Urteilsvermögens.
Ganz anders läuft es bei meinem zweiten Besuch Mitte Juli – dieses Mal komme ich als Journalist. In einem karg eingerichteten Büroraum sitzt ein türkischer Imam vor mir, der zu den Vorsitzenden des Moscheevereins gehört. „Wir sprechen mit Medienvertretern grundsätzlich nicht“, weist er mich sofort ab. Zwei Gründe nennt er dafür. Erstens: Journalisten hätten in der Vergangenheit Tatsachen und Aussagen der Moscheevertreter verdreht. Konkrete Beispiele dafür nennt er nicht.
Der zweite Grund: Journalisten würden ständig nur politische Fragen stellen. Das hier sei eine Gebetsstätte, kein Ort für politische Auseinandersetzungen. Ich frage nach der Gedenkveranstaltung für Qassem Soleimani: Wenn die Moschee mit Politik nichts zu tun haben will, warum hat man damals einen iranischen Regimevertreter geehrt? Die Stimmung, die zuerst noch höflich distanziert war, wird nun feindlich: „Sehen Sie? Sie machen alles politisch!“ Auf eine nachfolgende Anfrage per E-Mail bekomme ich keine Antwort.
Moscheen in Deutschland werden oftmals als verschlossene Welten beschrieben. Für sein Buch „Inside Islam“ aus dem Jahr 2017 hat der Journalist Constantin Schreiber einige Moscheen in Deutschland besucht und aufgezeichnet, was dort gepredigt wird. Dabei gab es an dem Buch auch viel Kritik; unter anderem, dass der Autor auf der Grundlage weniger Moscheen ein zu negatives Bild zeichne.
Verschiedene Sprachen, verschiedene Prediger
Die Predigt, die er in der Imam-Riza-Moschee in Neukölln dokumentiert, stammt ausgerechnet von Sabahattin Türkyilmaz, jenem Imam, der meine Fragen nicht beantworten wollte. Seine Predigt, die man in Schreibers Buch nachlesen kann, ist hochpolitisch. Er macht aus seiner Abneigung gegen die Demokratie keinen Hehl: „Ihr könnt nicht sagen: ‚Ich bin zugleich Demokrat und Schiit.‘ Nein, das geht nicht.“
Auf seinem Facebook-Profil teilt Türkyilmaz bis heute regelmäßig die Reden von Ali Khamenei, dem obersten Führer des islamistischen Regimes in Iran, das allein im letzten Jahr über 500 Demonstranten und Dissidenten töten beziehungsweise hinrichten ließ. Vor Jahren trat Türkyilmaz als Imam einer Frankfurter Moschee zurück, weil er wegen seiner Teilnahme an einer antisemitischen Veranstaltung in die Kritik geraten war.
Die Predigten von Türkyilmaz habe er nie gehört, sagt Mansour. Weil er kein Türkisch spricht, würde er sie gar nicht verstehen. Auch sonst habe er nie erlebt, dass in der Moschee von Politik gesprochen wird: „Wir wurden sogar dazu ermahnt, politische Diskussionen nicht im Moscheebereich auszutragen.“ Die medialen Berichte über die Nähe zur Hisbollah und zum Mullah-Regime im Iran seien ihm neu.
Das könnte daran liegen, dass die Afghanen, wie Mansour, hier ihre eigenen persischsprachigen Gelehrten haben. Gegen einen freiwilligen Unkostenbeitrag dürfen sie die Räumlichkeiten der Moschee nutzen, ihre Veranstaltungen finden getrennt von der türkischsprachigen Gemeinschaft statt. Mansour betont auch mehrmals, dass er nicht für die anderen Moscheebesucher, sondern nur für sich selbst spricht.
„Statt auf der Straße rumzuhängen und auf die schiefe Bahn zu geraten,
kommen junge Männer zu uns“
Die Moschee ist für ihn ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. Jede Woche kommt er einmal zum Gebet, danach sitzen er und die anderen Gläubigen oft noch zusammen, trinken Tee oder gehen gemeinsam mit ihrem Imam eine Shisha rauchen.
Doch welche Botschaften hören die Moscheebesucher bei den afghanischen Gelehrten? „Es geht meistens um rein religiöse Themen“, berichtet Mansour, „aber manchmal auch um unser Leben als Muslime in Deutschland.“ Der Prediger beziehe Deutschland oft in seine Gebete mit ein, es möge frei und friedlich bleiben. Er halte die Gläubigen dazu an, dankbar zu sein, dass man hier aufgenommen wurde. Er ermahne sie, sich anzupassen und nach außen ein gutes Bild vom Islam zu zeigen.
„Wir sollen beispielsweise unsere schwarzen Aschura-Fahnen mit den arabischen Inschriften nicht auf den Balkon hängen, weil Deutsche, die den Brauch nicht kennen, das missverstehen und uns für Extremisten halten könnten“, erzählt Mansour. Als ich ihn einmal als „strenggläubig“ bezeichne, lehnt er den Begriff ab: „Strenggläubig heißt für mich radikal. Das sind die, die zum Beispiel einer Frau nicht die Hand geben.“
Dieser Text ist im fluter Nr. 88 „Neukölln“ erschienen
Mansour zeigt mir ein anderes Bild von der Moschee als jenes, das man von den Medien kennt. In seinen Berichten wird die Moschee zu einem Ort, wo Menschen abgeholt und auf eine neue Gesellschaft vorbereitet werden, ohne ihre eigenen Glaubenssätze ablegen zu müssen.
Für viele – vor allem für die, die als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kamen – sei die Gemeinschaft der Moscheebesucher wie eine Familie. In ihrer Freizeit gehen sie zusammen Fußball spielen, schwimmen oder grillen. „Statt auf der Straße herumzuhängen und auf die schiefe Bahn zu geraten, kommen sie zu uns“, sagt Mansour.
Die Moschee als Ort der Integration, nicht nur des Gebets. Dass das gelingen kann, ist eine Ansicht, die zahlreiche Islamwissenschaftler und Integrationsexperten mit Mansour teilen. Wie es gelingen kann, bleibt aber eine offene Frage: Initiativen für mehr Dialog zwischen Moscheen und Öffentlichkeit gibt es schon, wie etwa das Projekt „Moscheen für Integration“. Auch staatliche Förderungen, falls bestimmte Kriterien erfüllt werden, oder Sanktionen im Falle von demokratiefeindlichen Predigten sind Ideen, die diskutiert werden. Andernfalls bleibt es, wie in der Imam-Riza-Moschee, den einzelnen Imamen und Moscheeältesten überlassen, wie sie ihren Einfluss auf die Gläubigen nutzen.
Titelbild: Robin Hinsch