Schon lange kämpfen Frauen dagegen an, wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Bereits vor 120 Jahren forderten etwa die Suffragetten in Großbritannien und den USA lautstark das, was Männer schon Jahrzehnte davor durften: zu wählen. Selbst Verfolgungen, Verhaftungen und harte Strafen hielten die Frauen nicht von ihrem Ziel ab.
Heute, in Iran, erleben wir eine ähnliche Entschlossenheit im Kampf für die eigenen Rechte. Nachdem Mahsa Amini in Polizeigewahrsam starb – sie wurde allein deshalb verhaftet, weil sie ihr Kopftuch nicht ordentlich trug – entbrannten dort die größten Demonstrationen seit Ende der 1970er-Jahre. Ob junge oder alte Menschen, reich oder arm, Frau oder Mann, Iraner*in oder Kurd*in, aus allen Lebensbereichen sind Menschen auf den Straßen, um unter Lebensgefahr gegen das Regime zu demonstrieren. Der Massenprotest, der den Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ trägt, könnte sich zum ersten feministischen Umsturz in der jüngeren Geschichte entwickeln.
Deshalb braucht es dieses Heft. Feminismus ist kein Wohlfühlthema, sondern es geht um die Grundpfeiler unseres Denkens und Zusammenlebens. Natürlich hat sich eine Menge getan, und viele Frauen können heute freier leben und mehr entscheiden als noch ihre Mütter und Großmütter. Doch es gibt in manchen Ländern sogar wieder Rückschritte. Zum Beispiel beim Abtreibungsrecht, das in den USA oder Polen gerade wieder eingeschränkt wurde.
Wir hoffen, dass unser Heft euch einen Einblick gibt, wie es sich anfühlt, als Frau* in dieser Welt zu sein. Es soll Schlaglichter auf feministische Kämpfe werfen – hier in Deutschland, aber auch anderswo.
Feminismus gibt es nicht ohne Diskussionen. Und die gab es auch bei der Erstellung dieses Heftes. Beim Titel ging es schon los. Wir hatten überlegt, das Heft Feminismen zu nennen, denn schließlich geht es uns darum, zu zeigen, wie unterschiedlich feministische Kämpfe sind, je nachdem von wem und wo sie gefochten werden. Am Ende einigten wir uns aber darauf, dass das Wort Feminismus lebensnaher ist, denn um solche Geschichten, die einen in das Unrecht des Alltags hineinfühlen lassen, geht es uns ja.
Die nächste Baustelle war die Sprache. Wie können wir möglichst alle Menschen in unseren Worten unterbringen? Denn Sprache schafft Realität und zeigt politische Einstellungen. Deshalb sollten unsere Autor*innen selbst darüber entscheiden, wie sie gendern. Und wir? Wir haben uns für den Genderstern entschieden. Ein bisschen zähneknirschend zwar, weil noch barrierefreier besser wäre, aber zumindest bezieht er alle Geschlechter ein.
Die Suffragetten haben ihr Wahlrecht in den USA übrigens im Jahr 1920 bekommen. Während sie wählen gingen, wurden jedoch viele Schwarze Frauen gewaltsam davon abgehalten. Darauf, dass weiße, wohlhabende Heterofrauen es oft einfacher haben, und ihre Forderungen nicht für alle gelten, machen heute immer mehr Aktivist*innen aufmerksam. Unser Heft könnte ein Startpunkt dafür sein, die eigene Position auszuloten – oder aber zu spüren, was fehlt. Hier im Heft. Oder da draußen in der Welt.
Marion Bacher und Sabrina Gaisbauer
(Wir sind Referentinnen bei der bpb und haben die Chefredaktion für diese Ausgabe von Thorsten Schilling übernommen.)