Daniel Donskoy, Jahrgang 1990, ist in Moskau geboren und in Deutschland und Israel aufgewachsen. Er spielt in Theater- und Fernsehproduktionen (unter anderem in der Serie „Barbaren“ auf Netflix), macht Musik und moderiert. Für die WDR-Show „Freitagnacht Jews“ erhielt er 2021 den Deutschen Fernsehpreis, 2022 folgte der Grimme-Preis.
fluter.de: Du hast mal gesagt: „In Deutschland macht es am wenigsten Spaß, Jude zu sein.“ Warum?
Daniel Donskoy: Deutschland ist in einem neurotischen Verhältnis zu Jüd:innen und dem Judentum gefangen: irgendwo zwischen Antisemitismus auf der einen Seite und Philosemitismus (Anm. d. Red.: eine sehr wohlwollende Haltung gegenüber Jüd:innen und dem Judentum) auf der anderen. Eine Balance oder noch eher Normalität ist nicht in Sicht. Mir begegnen oft Menschen, die sich damit brüsten, dass sie viele jüdische Freund:innen haben. Oder solche, die direkt, wenn sie hören, dass ich jüdisch bin, mit mir über israelische Politik diskutieren wollen. Man wird leider schnell aufs Jüdischsein reduziert.
Und trotzdem hast du eine Show gemacht, in der du deine jüdische Identität sehr in den Vordergrund stellst.
Vor allem stehen die jüdischen Identitäten meiner Gäst:innen im Vordergrund. Aber ja, die Show war für mich eine Möglichkeit, der Community, aus der ich komme, etwas zurückzugeben: Repräsentation. Aber es war und ist auch eine Möglichkeit, selbstbestimmt zu zeigen, wie jüdisches Leben in Deutschland aussehen kann, wie lebendig es ist – und dass mehr dazugehört als Antisemitismus, Holocaust und Israel. Ich habe das Glück, durch meine weiteren künstlerischen Tätigkeiten Menschen zum Zuhören zu bringen, die bei Themen wie Juden und Antisemitismus sonst nicht direkt einschalten würden. Vor allem aber hatte ich eine große Abneigung gegenüber den schon vorhandenen Formaten über das jüdische Leben in Deutschland.
Das musst du genauer erklären.
Wenn Menschen etwas in Deutschland über Jüd:innen vermittelt bekommen, dann ist es etwas über tote Menschen in Auschwitz – denn so werden sie in Film und Fernsehen meistens abgebildet. Vergangenes Jahr zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gab es eine Sondersendung nach der nächsten. In jeder Doku ging es direkt im zweiten Satz darum, wer in welchem Konzentrationslager gestorben ist. Andere Formate haben mit bedrückter Stimme davon erzählt, wie Menschen in jüdischen Gemeinden heute leben. Und wieder andere haben darüber diskutiert, ob man nicht endlich mal einen Schlussstrich beim Holocaustgedenken ziehen sollte. Über alldem liegt etwas Belastendes – für die Macher:innen und die Zuschauenden, ob sie nun nichtjüdisch sind oder jüdisch. Sie prägen das Bild, das nichtjüdische Menschen von jüdischem Leben haben. Ich habe da aber ein ganz anderes Bild im Kopf.
„Wir wollten herausfinden, wie viel lockerer Menschen in anderen Ländern mit ihrem Jüdischsein umgehen“
Wie sieht das aus?
Für mich persönlich hat Jüdischsein in erster Linie nichts mit Religion zu tun, ich bin nicht gläubig. Man sieht mir auch nicht an, dass ich jüdisch bin, ich trage keinen Davidstern. Und ich bewege mich nicht in exklusiv jüdischen Kreisen. Ich verbinde Jüdischsein eher mit meiner Familie in Israel, mit einer warmherzigen „Schicksalsgemeinschaft“, wie ich sie gern nenne, die am Schabbat gut isst und viel trinkt. So wie wir das auch in der Show machen. Uns ging es darum, die Perspektive junger jüdischer Menschen in Deutschland in ihrer ganzen Vielfalt abzubilden – von einer angehenden Rabbinerin, die sich der LGBTQI*-Community zugehörig fühlt, bis hin zu einem Publizisten, der Essays über Desintegration schreibt. Ich wollte eine Show machen, die unterhaltend ist und in der es weniger zentral darum gehen sollte, dass die Gäst:innen jüdisch sind.
Trotzdem geht es in der Show ja dann auch um den Holocaust und Antisemitismus.
Natürlich waren wir uns der Verantwortung bewusst: Wenn wir eine Show über jüdisches Leben in Deutschland machen, dann muss das Thema sein, denn wir wollen auch bilden. Es hat aber nicht die Konzeption der Show bestimmt. Die Gäst:innen konnten und sollten ihre Perspektive zum Jüdischsein einbringen. Da spielt Antisemitismus – leider – zwangsweise eine Rolle.
Für die zweite Staffel warst du jetzt im Ausland unterwegs – unter anderem in Istanbul, Buenos Aires und London.
Wir wollten herausfinden, ob und wie viel lockerer Menschen in anderen Ländern mit ihrem Jüdischsein umgehen. Die meisten der in Deutschland lebenden Jüd:innen sind Migrant:innen aus der ehemaligen Sowjetunion, so wie ich. Viele fühlen sich doppelt nicht zugehörig: als Jüd:innen und als Migrant:innen. In Großbritannien hingegen, wo die weltweit fünftgrößte jüdische Community lebt, sind Jüd:innen schon seit Generationen in der Gesellschaft verwurzelt, denn sie waren nicht dem Holocaust ausgesetzt. Was nicht heißt, dass es dort keinen Antisemitismus gibt. Aber Jüd:innen sind präsenter in der Öffentlichkeit: Sie bekleiden Führungspositionen in der Politik und prägen die Kunstszene. Wir haben zu Beginn jeder Folge einen kleinen Dokumentationsteil, um solche Hintergründe zu erklären. Dadurch ist die Staffel politischer als die erste. Und: Wir sind noch frecher unterwegs – gerade weil wir nicht mehr in Deutschland sind.
„Ein Safe Space für jüdische Menschen ist wichtig – auch im Fernsehen“
Dabei war ja die erste Staffel schon an vielen Stellen sehr satirisch, mitunter erschien sie auch zynisch. Manche fanden das unangemessen und haben es kritisiert. Warum hast du dich für diese Form entschieden?
Humor ist eine der Sachen, die mich durchs Leben bringen. In der Show habe ich Humor gebraucht, um an die Emotionen meiner Gäst:innen zu kommen. Außerdem glaube ich, dass man bestimmte Themen in Deutschland eher mit Humor vermittelt bekommt, weil Menschen es nicht gewohnt sind, dass sie humoristisch behandelt werden. Ich würde Humor aber nie benutzen, um jemanden zu degradieren, und ich glaube nicht, dass wir geschmacklos waren. Unsere Gäst:innen sollten sich sicher fühlen und konnten daher mitreden, was im Beitrag bleibt und was nicht. Ein Safe Space für jüdische Menschen ist wichtig – auch im Fernsehen.
Sollte man diese Räume auch für nichtjüdische Menschen öffnen?
Na klar, aber ich glaube, für meine Sendung war es genau richtig, die Themen vorwiegend mit jüdischen Menschen zu besprechen, denn nichtjüdische Menschen haben schon genug Räume. Und es ging ja eben um das Gefühl des Jüdischseins. Ich wüsste nicht, wie ein Nichtjude das erklären soll, wenn er es nicht fühlt. Da die Sendung im öffentlichen Raum zugänglich ist, werden nichtjüdische Menschen ohnehin in den Diskurs miteinbezogen. Wir sollten aber grundsätzlich weg von allgemeinen Zuschreibungen wie jüdisch oder nicht-jüdisch und Menschen vor allem als Individuen sehen.
Braucht es denn aktuell eher mehr Safe Spaces für jüdische Menschen?
Ich würde das nicht nur auf jüdische Menschen beschränken. Es sollte insgesamt mehr „Minderheitenfernsehen“ geben. Und diese Sendungen sollten dann auch von Angehörigen der jeweiligen Minderheit gemacht werden. Ich sehe es viel zu oft, dass zum Beispiel jemand, der nicht der Sinti- und Roma-Community angehört, einen Beitrag über sie macht, ohne mit jemandem aus dieser Minderheit selbst zu sprechen. Deswegen war unsere Show so wichtig – für das jüdische Leben, für Deutschland. Wenn mich jetzt jüdische Jugendliche auf der Straße ansprechen und mir sagen: „Hey Digga, voll gut mit deiner Show, richtig nice!“, dann bin ich sehr froh, dass ich das gemacht habe.
Die zweite Staffel von „Freitagnacht Jews“ läuft ab dem 21. Oktober in der ARD und derzeit schon in der ARD-Mediathek.
Titelbild: WDR/Fynn Freund