Emma ist die Erste, die heult. Dann Sonami. Dann Maxi, Loui, Khaled, Nils … Wie Dominosteine reißt es einen nach dem anderen um.
Dieser Text ist im fluter Nr. 89 „Liebe“ erschienen
Ich stehe in meinem gold-beigefarbenen Jumpsuit auf einer Bühne, schaue in ein Meer aus bunten Kleidern und Anzügen und Hüten. Mir gegenüber: Sophie, hochgesteckte Haare, rosa Einteiler, wunderschön. Hinter uns ragt ein Traubogen in den Himmel, an dessen Spitze ein Schild hängt: Barti & Sophie. Ich muss aufpassen, dass meine Stimme nicht bricht, als ich Sophie verspreche: „Es ist bedingungslos, und es ist für immer. Und deshalb werden wir, no matter what, uns in diesem Leben noch eine Million Mal streiten, immer mit der Gewissheit, dass wir uns eine Million Mal wieder zusammenraffen – und so scheißunromantisch das klingt: Das ist der Kern des Ganzen, die Essenz.“ Wir küssen uns. Die Band spielt „Primadonna Girl“ von Marina and the Diamonds. Bengalos werden gezündet, blaurosa Nebel. Dann heule auch ich.
Ich habe geheiratet. Mit Zeremonie, Hochzeitstorte und Brautstrauß und gezapftem Bier und Gästen, angereist aus Paris und London, Italien und Australien. Dabei sind Sophie und ich kein Paar, zumindest nicht im klassischen Sinn. Es muss 2010 gewesen sein, wir waren 15 und saßen in Französisch nebeneinander, als wir beschlossen, dass wir beste Freunde sind und bleiben – ohne wirklich zu wissen, was das eigentlich bedeutet (außer gemeinsam Schule zu schwänzen und sich auf Punkfestivals zu betrinken). Als wir mit 18 immer noch dicke waren, haben wir einander gesagt: Wenn wir 40 sind und Single, heiraten wir. Als Notnagel sozusagen, damit wir nicht allein sterben.
Irgendwann mit Mitte 20, als wir längst zusammen von zu Hause ausgezogen waren, als unsere Liebe andere Crushes und Partnerinnen überdauert hatte und wir noch immer beste Freunde waren, da haben wir uns gesagt: Wir wollen kein Notnagel sein, und es ist völlig wurst, ob wir Single sind oder nicht. Und dass wir schon gar nicht bis 40 warten wollen, um das zu feiern, was wir aneinander haben. Wir haben uns auf das Jahr 2023 fest gelegt und Karten entworfen: Sophie & Bartholomäus – Einladung zur Hochzeit.
Und klar, jetzt fragt man sich: Da ist kein Staat, kein Standesamt involviert, die beiden schlafen ja nicht mal miteinander, also why call it Hochzeit? Warum nennen sie’s nicht Freundschaftsparty oder Liebesfest? Um es kurz zu machen: genau deshalb. Die Ehe ist ein Trick. Das sagt auch Emilia Roig, die sich als Politologin und Autorin mit der Ehe befasst – oder besser: mit der Abschaffung der Ehe. Denn während uns Popkultur mit Songs, Filmen und Insta-Storys einbläut, dass die Ehe der höchste Ausdruck von Liebe ist, erfülle sie in Wahrheit einen ganz anderen Zweck. „Die Ehe“, sagt Roig, „ist eine der wichtigen Säulen des Patriarchats. Sie ist nicht nur ein Stück Papier beim Standesamt, sondern ein gesamtes politisches, wirtschaftliches System.“
Ehe und Kleinfamilie hätten die Haus- und Sorgearbeit wie selbstverständlich ins Private ausgelagert, wo sie meist gratis von Frauen erledigt wird. Nur so kann das kapitalistische Wirtschaftssystem am Laufen gehalten werden. Der Staat habe also ein Interesse daran, dass die Ehe die „hauptsoziale Einheit in der Gesellschaft bleibt“, sagt Roig. „Ehen oder Kernfamilien aus zwei Erwachsenen mit zwei bis vier Kindern sind viel einfacher kontrollierbar als größere Gemeinschaften.“ Sozialer Fortschritt gehe von Bewegungen aus, nicht von Kernfamilien.
Die Ehe steht im Grundgesetz – die Freundschaft nicht
Manchmal verlieren Sophie und ich uns in Träumereien von einer Gesellschaft, die auf Freundschaften baut statt auf Ehen und Kleinfamilien. Einer, in deren Grundgesetz Artikel 6 steht: „Freundschaft steht unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Wir machen Listen mit Städten, in die wir ziehen wollen, wenn wir einmal Kinder haben. Dass wir sie gemeinsam großziehen, steht außer Frage. Wir überlegen, wie wir unser Geld teilen; nicht zu zweit, sondern zu dritt, viert oder fünft, damit alle unsere Freunde und Freundinnen so viel haben, wie sie brauchen, egal ob sie als Ärztin, in der Pflege oder als freie Journalisten arbeiten. Neulich hat mich Sophie gefragt, ob ich mir zutrauen würde, zu entscheiden, was das Beste für sie wäre, wenn sie das nach einem Unfall nicht mehr kann.
All das sind Fragen, die wir womöglich nicht stellen müssten, wären wir eine traditionelle Zweierromanze. Aber die Gegenerzählungen, die eine freundschaftszentrierte Lebensweise vorlegen, sind immer noch rar. Wenn überhaupt, höre ich sie von queeren Friends, die im herkömmlichen Liebesskript nicht vorgesehen und dadurch gezwungen sind, eigene Erzählungen und Abmachungen zu finden.
Und, ganz ehrlich: Wer wäre gekommen, hätten wir unsere Hochzeit Freundschaftsfest genannt? Wie viele hätten uns abgesagt, weil sie zeitgleich auf einer „richtigen“ Hochzeit eingeladen gewesen wären? Ich glaube, wir mussten die Hochzeit hopsnehmen, um ernst genommen zu werden. Uns die Institution aneignen, um sie ins Gegenteil zu verkehren. Wir wollten ein Fest feiern wider die Exklusivität und für die Freundschaft.
„Ich werde dich immer daran erinnern, warum wir heute heiraten“, schließt Sophie ihr Eheversprechen. „Weil wir unsere eigenen Regeln machen, weil wir Menschen mitreißen. Weil wir nicht vergessen, groß zu träumen …“
Erst unsere Freunde machen uns zu dem, was wir sind
Während ich mir wieder und wieder die wackeligen Handyaufnahmen davon ansehe, muss ich daran denken, was die Autorin Lisa Krusche in ihrem berührenden Freundschaftsessay „Hab von dir geträumt, du hast meinen Kaktus abgebrochen“ schreibt: „Die Liebe bringt nicht Individuen miteinander in Verbindung, sondern vollzieht einen Schnitt in jedem von ihnen. Als wären sie plötzlich von einer neuen Ebene durchzogen, in der sie nun gemeinsam durch die Welt ziehen. Liebe ist nie miteinander sein – sondern miteinander werden.“
Durch Sophie bin ich die Person geworden, die ich heute bin. Aber auch durch Maxi, Loui, Nils. Und Sophie ist Sophie nicht nur wegen mir, sondern auch wegen Sonami, Emma und Khaled. So ziehen wir, ob wir uns kennen oder nicht, gemeinsam durch die Welt, verbunden durch ein unsichtbares Band, das sich Liebe nennt. Und am Ende ist unsere Hochzeit auch das: ein Feiern des Gemeinsam-durch-die-Welt-Ziehens. Nicht mehr und nicht weniger als ein Fest der wahren Liebe.