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Auswärtsspiel

Manouchehr Shamsrizi berät als Gamingexperte das Auswärtige Amt. Im Interview erklärt er, warum Saudi-Arabien E-Sport-Events ausrichtet und was Diplomaten zocken sollten

  • 7 Min.
Gaming Minister

fluter.de: Wie sieht deine Tätigkeit als Gamingexperte des Auswärtigen Amtes genau aus? Zockst du mit Diplomaten aus China oder Saudi-Arabien?

Manouchehr Shamsrizi: Leider nein. In erster Linie bin ich Gesprächspartner. Ich erkläre, wie vielfältig Gaming ist und welche Auswirkungen es auf die internationale Politik hat. Letztes Jahr habe ich sechs Monate fest dort gearbeitet, weil das Auswärtige Amt verstehen wollte, was Gaming im Bereich der Public Diplomacy leisten kann.

Hintergrund

Das Auswärtige Amt soll die Interessen Deutschlands in der Welt vertreten, den internationalen Austausch fördern und Deutschen im Ausland helfen. Manouchehr Shamsrizi schrieb für die Behörde 2018 die erste Studie zu Chancen und Risiken von Gaming, 2022 wurde er als erster Gamingexperte für sechs Monate dorthin entsandt. Shamsrizi ist Co-Gründer der Entwicklungsplattform gamelab.berlin an der Humboldt-Universität zu Berlin und spielt am liebsten „Baldur's Gate 3“ oder analoge Pen-und-Paper-Spiele.

Also bei der Vermittlung von Außenpolitik.

Beispielsweise, ja. Außenpolitik im Jahr 2023 bedeutet auch, dass die Behörden ihre Politik erklären müssen – nicht nur im Inland, sondern auch gegenüber den Bevölkerungen anderer Länder. Gaming spielt da eine große Rolle, logisch: Videospiele sind das reichweitenstärkste Kulturmedium unserer Zeit. Wir haben zum Beispiel den CIV-Gipfel organisiert, auf dem Gaming-Influencer „Civilization 6“ gespielt haben. Im Spiel geht es dauernd um Fragen internationaler Politik, um Krieg und Frieden, Handel und Bündnisse. Wir haben einen echten Diplomaten danebengesetzt, der kommentiert hat, wie realistisch bestimmte Szenarien sind und wie das in der „echten“ Diplomatie gehandhabt würde. Wir wollten schauen, ob man Games nutzen kann, um über Außenpolitik ins Gespräch zu kommen.

Und?

Kann man! Und zwar am besten nicht mit selbstentwickelten, „verschulten“ Spielen. Sondern mit den erfolgreichen Games, die draußen schon Millionen Personen erreichen. Die Spieler sind ja meist weder außenpolitisch ausgebildet, noch beschäftigen sie sich den ganzen Tag mit internationalen Beziehungen, sie entscheiden also ganz instinktiv: Wie gewinne ich das Spiel, mit Zusammenarbeit oder Konfrontation? Will ich nur mit Staaten kooperieren, die meine Werte teilen? Die meisten Spiele, darunter auch „Civilization“, stellen solche Fragen, bieten den Spielern aber keinen Raum, ihre Entscheidungen zu reflektieren. In diesem Sinne bereiten Games den Boden auf dem das Auswärtige Amt helfen kann, politische Prozesse zu verstehen.

„Ab 2022 wurden militärische Geheimnisse aus den USA geleakt – und
zwar auf der Gamingplattform Discord“

Hat sich deine Rolle mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert?

Ich bekam plötzlich auch Anfragen zu eher sicherheitspolitischen Aspekten: Es war vielen im Auswärtigen Amt sehr wichtig zu verstehen, welche anderen Staaten Gaming als außenpolitisches Instrument nutzen und was das für Deutschland bedeutet. Es ging also um die Frage, ob mit Gaming auch Risiken verbunden sind.

Was für Risiken habt ihr euch dabei angeschaut?

Es war viel los. Ab Ende 2022 wurden über Monate militärische Geheimnisse aus den USA geleakt – und zwar auf der Gamingplattform Discord. Lange hat das keiner bemerkt, weil viele Gaming noch nicht ernst nehmen. Seit dem russischen Angriffskrieg wurden Games noch mal mehr für Desinformationskampagnen und Fake News benutzt. Viele Games sehen ja total realistisch aus. Wer will, kann dort sehr leicht militärische Situationen nachstellen, sogenannten In-Game-Content erstellen, und diesen dann als echte Foto- oder Videoaufnahmen ausgeben. Ziemlich schnell tauchten Videos auf, die scheinbar aus der Ukraine, in Wahrheit aber aus Videospielen stammen. Es war die Gaming-Community, die das zuerst erkannt und davor gewarnt hat.

Also hat sich das Auswärtige Amt nach dem russischen Angriffskrieg mit Desinformationen durch Videospiele beschäftigt?

Ja, das war aber im Grunde schon zu spät. Eigentlich müsste die Außenpolitik vorbereitet sein, bevor solche Fakes aufkommen. Dafür braucht es mehr Austausch mit den Gaming-Communitys. Viele digitale Entwicklungen entstehen im Gaming oder nehmen dort zumindest Fahrt auf, etwa künstliche Intelligenz oder virtuelle Realitäten. Gaming ist gelebte Zukunft. Die zu verstehen ist immer nützlich, auch und gerade für Außenpolitiker.

Viele Staaten investieren massiv in die Industrie. Saudi-Arabien allein will 38 Milliarden Euro für eigene Gamingstudios lockermachen. Warum?

Das ist zunächst mal einfach Wirtschaftspolitik: Wer eine starke Gamingindustrie aufbaut, hat schnell auch eine überdurchschnittlich digital qualifizierte Gesellschaft. Aber solche Länder wollen natürlich auch die öffentliche Diskussion beeinflussen und ihr Image aufbessern. Wenn Saudi-Arabien ein E-Sport-Event organisiert, dann aus denselben Gründen, aus denen Katar eine Fußball-WM ausrichtet.

„Viele digitale Entwicklungen nehmen im Gaming Fahrt auf, etwa Cyberspionage oder künstliche Intelligenz. Gaming ist gelebte Zukunft“

Nehmen solche Länder auch Einfluss auf die Spielinhalte?

Diese Art der Zensur gibt es in Autokratien leider, beispielsweise in Russland, dem Iran, und insbesondere China. Da wurde vor gut 15 Jahren bereits strategisch mit Gaming gearbeitet: „Anti-Japan War Online“ gilt als eines der ersten propagandistischen Videospiele überhaupt. Es handelt von einem chinesisch-japanischen Krieg. Die Japaner werden sehr negativ dargestellt, ihnen wird regelrecht die Menschlichkeit abgesprochen. Die Entwickler haben offen ein Feindbild aufgebaut. Das Beispiel ist alt. Aber es zeigt, wie früh das Thema in China ernst genommen wurde.

 

Wie sollte Deutschland auf solche Manipulationen in Games reagieren?

In einer Demokratie wie unserer ist das für den Staat kompliziert, wir wollen keine Zensur oder Propaganda betreiben. Ich glaube, der Staat muss vor allem die Gesellschaft empowern. Zivilgesellschaftlich ist viel möglich. Eine finnische Zeitung hat zum Beispiel einen versteckten Raum in eine „Counterstrike“-Karte programmieren lassen. In dem bekommen auch russische Spieler Informationen über den Krieg und Kriegsverbrechen der russischen Armee. Das Spiel ist in Russland sehr populär und die Zeitung konnte so die Zensur umgehen. Oder die „Uncensored Library“ bei „Minecraft“: eine Bibliothek, die Spielern in Iran, Belarus oder Russland zensierte Texte von Oppositionellen und Zeitungen zugänglich macht.

Welches Spiel würdest du jedem Diplomaten empfehlen?

Kommt sehr auf den Bereich an, aber das neueste „Zelda“ könnte für alle funktionieren. Es zeigt, was Open-World-Spiele heute leisten können, ist dabei aber niedrigschwellig – eine gute Einführung ins Gaming. Und „Zelda“ zeigt als japanische Produktion, was Spiele noch können: kulturelle Botschafter sein für das Land, aus dem sie kommen.

„Wird ein E-Sportler von einem Turnier ausgeschlossen, weil er Freiheit für Hongkong fordert, sollte die deutsche Außenpolitik reagieren“

Sollte das Auswärtige Amt eigene Games entwickeln?

Ich glaube nicht, dass solche Produktionen ein großes Publikum finden. Dann lieber auf die Spiele konzentrieren, die bereits ein großes Publikum haben. Wir brauchen nicht mehr Serious Games, sondern mehr Diskussionen, müssen mehr mit der Community im Austausch sein, und zwar dort, wo sie abhängt. Gerade dauert es noch viel zu lange, bis Neuigkeiten aus der Gamesbranche überhaupt registriert und gesellschaftlich diskutiert werden. Wenn ein propagandistisches Buch rauskommt oder ein Hollywoodfilm problematisch mit geschichtlichen Zusammenhängen umgeht, wird darüber in Talkshows, auf Panels und in Schulen diskutiert. Wenn ein Gamestudio Falschnachrichten zur Pandemie publiziert oder einen Spieler von einem E-Sport-Turnier ausschließt, weil er Freiheit für Hongkong fordert, bekommt das ein halbes Jahr kaum einer mit. Darauf sollte die deutsche Außenpolitik reagieren, mit Aufmerksamkeit, mit Diskussionen, mit Protest. So wie beim Ausschluss von Sportlern anderer Wettbewerbe auch.

Was heißt das konkret?

Wir haben kürzlich in einer Studie vorgeschlagen, dass Diplomaten da präsent sein müssen, wo Gaming stattfindet: beispielsweise auf Twitch oder Discord.

Können sich Gamer selbst einbringen?

Klar, und zwar nicht erst, wenn in Talkshows mal wieder besorgt und empirisch fragwürdig über den Suchtfaktor Games oder „Killerspiele“ gesprochen wird. Macht zum Thema, was euch in Games auffällt, und diskutiert das, ob nun bei Reddit oder in der Schule. Mischt euch ein, nur so werden Debatten besser.

Illustration: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.