Verdienen Frauen wirklich weniger als Männer?
Laut Statistischem Bundesamt verdienten Frauen in Deutschland zuletzt 21 Prozent weniger als Männer. Diese Berechnung schert sämtliche Branchen, Berufe und Positionen über einen Kamm. Nun verdienen aber Maschinenbau-Ingenieure mehr als Altenpfleger und Abteilungsleiter mehr als ihre Untergebenen – egal welchen Geschlechts sie sind. Die Statistiker ermitteln daher zusätzlich den „bereinigten Gender Pay Gap“. Dabei rechnen sie aus der durchschnittlichen Lohnlücke verschiedene Faktoren heraus, etwa dass Frauen seltener Führungspositionen innehaben oder in schlechter vergüteten Branchen tätig sind. Oder anders formuliert: Es werden nur Männer und Frauen verglichen, deren Situation auf dem Arbeitsmarkt einigermaßen ähnlich ist. Dabei lag der Verdienstabstand zuletzt bei sechs Prozent.
„Eine Streitfrage, die keine Statistik beantworten kann: Wo fängt die Benachteiligung an?“
Werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt also diskriminiert?
Die Statistiker warnen davor, die verbleibende Lücke vorschnell als Beleg für offene Diskriminierung zu deuten. Hinter den sechs Prozent müssen nicht unbedingt Chefs stehen, die Frauen aus reinem Chauvinismus für den gleichen Job weniger zahlen. Laut Statistischem Bundesamt könnten auch einfach die Daten fehlen, um weitere Einflussfaktoren wie zum Beispiel Erwerbsunterbrechungen herauszurechnen. Die bereinigte Lohnlücke bezieht sich auf Männer und Frauen, bei denen die Umstände zwar ähnlich sind – aber eben nicht völlig gleich. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt mit anderen Daten und weiteren Faktoren auf eine bereinigte Lohnlücke von 3,8 Prozent. Eine Streitfrage, die keine Statistik beantworten kann: Wo fängt die Benachteiligung an? Erst wenn eine Frau für dieselbe Tätigkeit weniger Geld bekommt als ihr männlicher Kollege? Oder sind bereits Unterschiede in der Berufswahl ein Ausdruck ungleicher Chancen?
Sind Frauen selbst schuld, wenn sie weniger verdienen?
In Diskussionen hört man immer wieder, niemand zwinge junge Frauen dazu, sich für einen Ausbildungsplatz im Friseursalon zu bewerben statt im Chemielabor. Wählt andere Berufe, dann verschwindet das Problem – dieser Rat schwingt mit. Aber so einfach ist es nicht, wie eine Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung zeigt: Frauen haben vor allem dann gute Chancen auf eine Lehrstelle, wenn sie sich für einen „Frauenberuf“ bewerben – und vergleichsweise schlechte, wenn sie in einen „Männerberuf“ gehen wollen. Die Klischees sitzen tief, bei den Bewerberinnen und Bewerbern selbst – aber ebenso bei den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Selbst wenn Frauen tatsächlich in „Männerberufe“ strömen würden, heißt das noch nicht, dass sie dort auch Männergehälter bekommen: Eine Studie deutscher Soziologinnen stellt fest, dass Frauen ihren Einkommensnachteil in die Männerdomänen mitnehmen.
Sind heute nicht wesentlich mehr Frauen berufstätig als früher?
Die Erwerbsquote der Frauen ist nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) seit 1995 um zehn Prozentpunkte gestiegen. Bei den Männern stieg die Erwerbsquote um lediglich einen Prozentpunkt. Aber ist das automatisch ein Sieg der Emanzipation? Nur bedingt. Denn gleichzeitig arbeiten Frauen immer seltener Vollzeit: Anfang der 90er-Jahre war nur jede dritte arbeitende Frau eine Teilzeitkraft. 2016 war fast die Hälfte aller berufstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt. Der Abstand zu den männlichen Kollegen, deren Teilzeitquoten viel weniger stark gestiegen sind (von gut zwei auf gut neun Prozent), hat sich in dieser Hinsicht sogar vergrößert.
„Beruflich erfolgreiche Frauen leisten paradoxerweise manchmal sogar mehr Hausarbeit, wenn ihr Partner hinter sie zurückfällt“
Leisten Männer und Frauen die gleiche Arbeit im Haushalt und in der Familie?
Der hohe Anteil der Frauen in Teilzeitjobs hängt damit zusammen, dass es immer noch vor allem Frauen sind, die sich um Haushalt, Kindererziehung und Pflege kümmern. Konkret verbringen Frauen rund 52,4 Prozent mehr Zeit mit solchen Tätigkeiten als Männer. Wie könnte man diese sogenannte Gender Care Gap schließen? Zum Beispiel, indem man Männer belohnt, die ihre Arbeitszeit der Familie zuliebe reduzieren, und es Frauen erleichtert, ihre Stundenzahl im Job zu erhöhen. Die Ergebnisse der Soziologin Cornelia Koppetsch dämpfen aber vorschnelle Erwartungen an solche Maßnahmen: Beruflich erfolgreiche Frauen leisten paradoxerweise manchmal sogar mehr Hausarbeit, wenn ihr Partner hinter sie zurückfällt. Die vertauschten Geschlechterrollen auf dem Arbeitsmarkt sollen im Privaten gewissermaßen wieder zurechtgerückt werden.
Ist der Lohnunterschied das einzige Problem?
Die Lücke bei den Stundenlöhnen mag klein erscheinen. Viel größer wird der Abstand, wenn man zum Beispiel auf die Rente schaut: Westdeutsche Seniorinnen erhielten zuletzt etwa 42 Prozent weniger Rente als Männer, in Ostdeutschland waren es 23 Prozent. Die Rente ergibt sich aus den Einkommen, die man während seiner Arbeitsjahre erzielen konnte. Im Laufe eines Lebens kann aus einer kleinen Lücke also ein riesiger Graben werden.
Titelbild: Jan Q. Maschinski