Es ist das Jahr 1975 und die DDR kommt näher. Wenn auch nur im Schritttempo. Der rostige Citroën nähert sich dem Kontrollpunkt Dreilinden-Drewitz. Die Fenster sind unten, warme Sommerluft weht hinein und Rafael Klust nimmt eine Hand vom Lenkrad. Er und seine Freundin kennen das Prozedere am Grenzübergang.
Aus dem Fenster des Kontrollhäuschens streckt sich eine offene Hand dem Auto entgegen. Rafael reicht ihr die Reisepässe. Mit geübtem Blick gleicht der Grenzsoldat Passfotos und Gesichter ab. „Den Kopf nach links wenden. Nach rechts. Können Sie bitte die Brille abnehmen?“ Routine. Wie viele seiner Kommilitonen von der Freien Universität Berlin hat Rafael Verständnis für die DDR, auch wenn ihm nicht gefällt, wie sie mit ihren Bürgern umgeht. Sie hat die richtigen Ideale, sagt man sich unter Studenten: Die DDR versucht, Konsumterror und Kapitalismus zu überwinden. Für manche ist das ein Versuch, die Menschheit zu retten. Nur Spießer lehnen die Ostzone ab, sagt Rafael. Die haben am Grenzübergang dann auch die Hosen voll.
Die DDR-Grenzer: eine Mischung aus preußischer Disziplin und kommunistischer Diktatur
„Den Kopf nach links drehen“, brüllt der Mann aus dem Kontrollhäuschen. Das hat Rafael gemacht, ist etwas falsch? Vielleicht zur falschen Seite. Die DDR-Grenzer sehen aus wie die Wehrmachtsoldaten, findet Rafael. Eine Mischung aus preußischer Disziplin und kommunistischer Diktatur. „Ich habe gesagt, den Kopf nach links drehen!“ Bevor Rafael seinen Kopf noch mal dreht, will er den Kasernenton kontern. „Das mache ich“, sagt er. „Und dann küsse ich Ihnen die Füße.“ Bevor er den Satz zu Ende gesprochen hat, bereut er ihn schon.
Das Gesicht des Grenzers verzieht sich. Er schweigt. Ein zweiter Grenzsoldat umrundet das Auto, Rafael sieht ihn nicht. Dann steht er direkt vor der Tür. „Aussteigen!“ Rafaels Lockerheit ist dahin. Wie von fremder Hand am Kragen gepackt steigt er aus, seine Freundin und er stehen vor den Grenzern. Was ist los? Wie man sich jetzt verhält, weiß Rafael nicht.
„Die Grenzer können mit dir machen was sie wollen“, sagt Rafaels Freundin.
„Die Banane“, flüstert seine Freundin. Auf der Ablage über dem Lenkrad liegt eine Banane, das Symbol des Mangels in der DDR, wo Normalbürger nur schwer an Südfrüchte herankamen. Für die Grenzer muss sie eine leuchtend gelbe kapitalistische Provokation sein. Rafael wirft die Banane in den Fußraum. War’s das? Der Volkspolizist schnauft. „Rechts ranfahren!“
Am Rand sinkt langsam der Adrenalinspiegel, während links die Schlange der Wartenden an ihnen vorbeirollt. Rafaels Freundin macht ihm Vorwürfe. „Die können mit dir machen was sie wollen“, sagt sie. Im Hintergrund prüfen die Grenzer die Pässe. Die Hand aus dem Kontrollhäuschen winkt, Rafael bekommt die Ausweise zurück. Anscheinend finden die Beamten keine Hinweise, die ein Transitverbot auslösen könnten. Die Transitkommission hat über Schmuggler oder Fluchthelfer zu befinden, also große Verstöße. Eine Südfrucht und eine flapsige Bemerkung reichten an diesem Tag aber aus, um einen gestandenen Grenzsoldaten aus der Fassung zu bringen.
Titelbild: ZDFinfo