Quentin Tarantinos letzter Film „Once Upon a Time in Hollywood“ ist so lang, am Ende der Premiere war Leonardo DiCaprios Freundin zu alt für ihn.
Diesen Witz hat der Comedian Ricky Gervais gemacht, als er die Golden Globes moderierte. DiCaprio – seine Freundin, das Model Camila Morrone, ist 23 Jahre jünger als er – saß im Publikum, nickte und lachte. Hollywood nickte und lachte. Hach, der Leo und seine jungen Dinger.
Diese Haare! Dieser Oberkörper! Diese 31 Jahre jüngere Flamme!
Ein paar Wochen später sitzen DiCaprio und Morrone bei der Oscar-Verleihung in der ersten Reihe. Vor ihnen auf der Bühne steht Joaquin Phoenix, der den Oscar als bester Hauptdarsteller in „Joker“ gewonnen hat. Die Frau, in die sich Phoenix als psychopathischer Außenseiter im Film verliebt, wird von der 17 Jahre jüngeren Zazie Beetz gespielt.
Den Preis für die beste männliche Nebenrolle gewann an diesem Abend Brad Pitt. Die Presse feierte seinen Cliff Booth aus „Once Upon a Time in Hollywood“ als gut erhaltenes Sexsymbol. Diese Haare. Dieser Oberkörper. Von der Frau, die Booth in seinen Cadillac einlädt, trennen ihn 31 Jahre. Zugegeben: Booth fragt sie im Film, wie alt sie ist. Nicht nach ihrem Alter gefragt hat Brad Pitt die deutlich jüngeren Frauen in seinen anderen Blockbustern.
Immer wieder berichten weibliche Hollywoodstars, dass sie für Rollen mit der Begründung „zu alt“ abgelehnt werden. Das „zu alt“ bezieht sich dabei meist auf Rollen als „Love Interest“: die Angebeteten von hauptdarstellenden Männern. Ein extremes Beispiel: Maggie Gyllenhaal war eigenen Angaben zufolge mit 37 „zu alt“ für eine Rolle, deren männlicher Gegenpart 55 war. Eine 18 Jahre jüngere Frau – zu alt?
Alte Männer, junge Frauen, das kann ein spannendes filmisches Motiv sein. So ziemlich jeder Woody-Allen-Film zielt auf das nagende „Aber was will die wunderschöne Frau mit diesem alten Sack“-Gefühl ab. Schwierig wird es, wenn diese Altersdifferenz – wie in den meisten Hollywoodfilmen – nicht thematisiert wird. Natürlich kann sich jede*r verlieben, in wen er oder sie will, auch im Film. Nur gilt genau das in Hollywood nicht.
Dreht man den Spieß um, werden aus Frauen plötzlich „Cougars“
Dafür muss man sich nur einmal ansehen, was passiert, wenn man den Altersunterschied umdreht: Ältere Frau trifft auf jüngeren Mann. Solche Fälle scheinen für die Filmindustrie so exotisch zu sein, dass sich die Handlung des Films kaum mit anderem beschäftigen kann als mit eben dieser Altersdifferenz.
„Die Reifeprüfung“ von 1967 ist die Mutter solcher Filme: Dustin Hoffman spielt den Collegestudenten Benjamin Braddock, der mit einer Freundin seiner Eltern turtelt: Mrs. Robinson (Anne Bancroft). Noch Jahrzehnte später wurde der Begriff „Mrs. Robinson“ für Frauen verwendet, die Liebesbeziehungen mit jüngeren Männern eingehen. Bis „American Pie“ in die Kinos kam: Aus Mrs. Robinson wird „Stifler’s Mom“, eine „Milf“. Wiederum ein Jahrzehnt später heißen Frauen, die auf jüngere Männer stehen, „Cougar“. Eine männliche Version zum „Puma“ gibt es nicht: Manche Medien schreiben von „Rhinos“ (Nashörnern), wirklich geläufig ist der Begriff aber nicht.
In Google veritas: Frauen, die auf jüngere Männer stehen, heißen „Cougar“ (Puma), …
… Männer, die auf jüngere Frauen stehen, „Rhinos“ (Nashörner). Googelt man die Begriffe, wird das strukturelle Problem deutlich.
Das Durchschnittsalter der oscar-nominierten Haupt- oder Nebendarstellerinnen lag dieses Jahr bei 40,5 Jahren, das der männlichen bei 61,4 Jahren. Die Zahlen sind kein Zufall: Laut einer Studie der Fachzeitschrift „Journal of Management Inquiry“ verdienen Schauspielerinnen im Alter von 34 Jahren im Durchschnitt am meisten (pro Film). Bis zu diesem Alter steigen die Gagen junger weiblicher Hollywoodstars; sie verdienen sogar etwas mehr als Männer desselben Alters. Dafür fallen die Gagen für Frauen ab Mitte 30 rapide, während Männer im Alter von 52 Jahren am besten verdienen.
„Frauen werden mehr an ihrer Schönheit gemessen als Männer“, sagte einer der Studienautoren der Zeitschrift „Variety“. „Und wenn Schönheit teilweise mit ‚Jugend‘ definiert wird, erklärt das, warum junge Frauen mehr verdienen als junge Männer – in Berufen, in denen es vor allem ums Aussehen geht.“ Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass ältere Frauen weniger verdienen als ältere Männer. Oder dass sie einfach weniger Rollen kriegen. Anne Hathaway etwa fragte in einem Interview bereits vor einigen Jahren: „Als ich um die 20 war, bekam ich Rollen, in denen ich Frauen um die 50 spielte. Jetzt bin ich Anfang 30 und frage mich: Warum hat die 24-Jährige diese Rollen bekommen?“
Abgesehen von der Altersdiskriminierung sind überhaupt nur 29 Prozent der Charaktere in Hollywoodfilmen Frauen
Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ findet eine Antwort auf diese Frage: Meist spielen Männer die Hauptrolle in Hollywoodfilmen – und zwar die alleinige. Nur 29 Prozent der Charaktere in Hollywoodfilmen sind Frauen, weniger als ein Drittel also. Das belegt die jährliche Diversitätsstudie der Annenberg School for Communication and Journalism der University of Southern California. Diesen vermeintlichen weiblichen Co-Stars bleibt selten mehr als die Rolle des „Love Interest“ dieser Männer. Deren Aufgabe: schön sein. Und deshalb: jung sein.
Immerhin gab es laut der Diversitätsstudie 2018 in 39 der 100 profitabelsten Filme eine weibliche Hauptfigur. Doch auch das ist noch deutlich weniger als der in der Realität vorkommende relative Anteil an Frauen. Warum in der großen Mehrheit der Hollywoodfilme Männer die Hauptrolle spielen? Weil Männer diese Filme machen. Die Diversitätsstudie gibt an, dass bei den 1.200 untersuchten Filmen 47 Frauen und im Gegensatz dazu 657 Männer Regie führten. Auch bei den diesjährigen Oscars war keine Frau in der Kategorie „Beste Regie“ nominiert.
Natalie Portman erschien deshalb mit einem Mantel, auf den die Namen von Regisseurinnen gestickt waren. Unter dem Hashtag #OscarsSoMale wurde über die strukturelle Benachteiligung von Frauen in Hollywood diskutiert. Und die 82-jährige Jane Fonda erschien mit neuer Haarfarbe: grau. Eine Veränderung, die von vielen als klares Zeichen für einen positiveren Umgang mit dem Älterwerden in Hollywood gedeutet wurde. Zumindest was die Aufmerksamkeit für dieses Thema angeht, tut sich also was.
Quellen: imdb und vulture // Collage: Bureau Chateau / Jannis Pätzold