Rotes old school Telefon mit Stickern

„Die meisten sind erst einmal froh, dass ihnen jemand zuhört“

Jetta Schega arbeitet als Lehrerin in Brandenburg. Gemeinsam mit anderen vom Bündnis „Schule für mehr Demokratie“ hat sie eine Hotline gegründet – für alle, die Rechtsextremismus an Schulen erleben

Interview: Doreen Reinhard
Thema: Bildung
6. Juni 2025

fluter.de: Frau Schega, warum haben Sie diese Hotline ins Leben gerufen?

Jette Schega: Das Ganze ist aus einem Brandbrief heraus entstanden, der vor zwei Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Darin ging es um rechtsextreme Vorfälle an einer Schule in Burg im Spreewald. Weitere Lehrerinnen und Lehrer und ich aus unserem Team haben damals an dieser Schule gearbeitet, inzwischen sind wir an andere Schulen gewechselt. Aus dieser Zeit hat sich eine Initiative entwickelt, ein Zusammenschluss von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und anderen Interessierten, die sich mit Themen wie Vielfalt und Demokratie an Schulen beschäftigen. Uns ist wichtig, dass Menschen, die mit den unterschiedlichsten Angriffen konfrontiert sind, ein offenes Ohr finden und das besprechen können.

Wer berät an der Hotline?

Wir sind zehn aktive Menschen, die die Hotline bedienen. Alle machen das ehrenamtlich. Die Hotline gibt es seit Ende vergangenen Jahres, wir sind also noch im Aufbau. Momentan haben wir zwei Mal in der Woche Beratungszeiten. Wir haben uns einen Kodex gegeben, wie wir beraten. Eine Checkliste, damit wir alle denselben Gesprächsleitfaden nutzen und es qualitativ einen Standard gibt.

Von welchen Problemen hören Sie?

Bei uns melden sich Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer oder Eltern. Auch Menschen, die im Umfeld von Fällen an Schulen gehört haben. Bei den geschilderten Fällen geht es um Extremismus, meist um Rechtsextremismus. Viele Fälle haben auch einen Bezug zu Mobbing. Oft sind die Grenzen dabei fließend. Wenn zum Beispiel Menschen durch rechtsextreme Äußerungen auf dem Schulhof oder in der Klasse niedergemacht werden. Wir sind vorrangig für die Region Brandenburg da, weil wir dort arbeiten. Wir hatten aber auch schon Anrufe aus Sachsen, aus Nordrhein-Westfalen, aus Bayern oder Schleswig-Holstein, um die wir uns auch kümmern.

„Ich frage in den Gesprächen oft: Wer aus deinem Umfeld weiß noch von den Vorfällen?“

Welche Tipps können Sie geben?

Es gibt kein Patentrezept. Es hängt davon ab, was die jeweilige Person braucht. Wir bieten ein niedrigschwelliges Angebot. Wir sind keine Therapeuten und Therapeutinnen und ersetzen auch nicht andere Anbieter wie die Opferhilfe. Wir können auf solche Stellen verweisen, Wege aufzeigen. Die meisten, die bei uns anrufen, sind erst einmal froh, dass ihnen jemand zuhört. Ich frage in den Gesprächen oft: Wer aus deinem Umfeld weiß noch von den Vorfällen? Gibt es eine Vertrauenslehrerin, einen Schulsozialarbeiter, sonderpädagogische Angebote? Viele wissen nicht, welche Stellen es gibt, an die man sich wenden kann. Sollten Leute mit Bedrohungen und körperlicher Gewalt umgehen müssen, kann man fragen, ob schon eine Anzeige gemacht wurde. Und erklären, wie man das machen kann. Die meisten wollen erst mal nicht selbst zur Polizei gehen, sondern den Vorfall digital anzeigen, was ja möglich ist. Die Hemmschwelle, gleich persönlich zur Polizei zu gehen, ist bei vielen groß.

Die Menschen, die anrufen, sind allein mit ihren Problemen?

Die meisten fühlen sich allein. Zum Beispiel, wenn man am nächsten Tag wieder in die Schule muss und dort wieder die Leute sieht, die einen als „linke Zecke“ beschimpfen. Die meisten, die sich melden, haben keine Ansprechpartner. Sie fühlen sich ohnmächtig, weil sie nicht wissen: Was mache ich denn jetzt? Wenn man miteinander redet, kann man Wege finden, wie es weitergeht.

Woran scheitern Schulen beim Umgang mit Extremismus?

Was nicht funktioniert beim Umgang mit Extremismus: wenn keine Regeln eingehalten werden. Denn Regeln schaffen Vertrauen. Man muss Wissen über Extremismus haben, sei es Rechts- oder Linksextremismus oder islamistischer Extremismus. Und man muss Tabus benennen, Grenzen setzen. Wenn die Regeln dazu in Schulen nicht eindeutig sind, wenn sie nicht vom ganzen Kollegium zusammen beschlossen wurden, wird es schwierig. Und es geht natürlich auch ums Umsetzen. Man kann noch so eine tolle Hausordnung haben, wenn sie nicht umgesetzt wird. Am Ende liegt es auch am Engagement der Menschen, die eine Schule betreiben. Und man braucht Rückendeckung aus der Politik. Meine Erfahrung an der Schule in Burg war, dass die politische Rückendeckung nach den rechtsextremen Vorfällen länger auf sich warten ließ. Die Politik wollte erst prüfen, ob die Dinge wirklich sind, wie sie sind. Ich verstehe das. Aber wenn Menschen Anzeigen wegen solcher Vorfälle machen, dann gehe ich davon aus, dass die Politik sich kümmert und den Menschen Rückhalt gibt.

Portrait Jette Schega

Jette Schega unterrichtet an einer Gesamtschule im Raum Cottbus Deutsch, Geschichte und politische Bildung

Foto: privat

Was wäre sonst noch wichtig, um Rechtsextremismus an Schulen zu bekämpfen?

Es ist wichtig, dass wir politische Bildung nicht nur als Unterrichtsfach von ein, zwei Stunden nutzen, sondern dass es ein interdisziplinäres Fach wird. Also raus aus dem Unterricht, machen, beteiligen, erleben. Ich beobachte, dass es gut funktioniert, wenn sich Schülerinnen und Schüler in Projekten vernetzen, selbst etwas auf die Beine stellen. Das ist etwas sehr Wichtiges, was junge Leute lernen müssen.

 

Die Hotline ist jeden Dienstag von 13.30 bis 16.30 Uhr und jeden Donnerstag von 18 bis 21 Uhr unter 0800 0060108 zu erreichen.

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Illustration: Renke Brandt